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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Der Schillerpreis lind die projectirten Statuen in Berlin.

Am 10. November 185" wurde von dem Prinzregenten ein Preis für
das beste Drama höhern Stiles ausgesetzt, welcher sich von ähnlichen Zeichen
fürstlicher Theilnahme dadurch unterscheidet, daß er in periodischer Wiederkehr
jedes dritte Jahr vertheilt werden soll.- Die Methode der Vertheilung ist
damals lebhast erörtert worden. Man hat sich gegen alle Preise für poetische
Werke ausgesprochen, und wieder hat man einzelne Bestimmungen des Sta¬
tuts angegriffen. Vielleicht ist der dramatische Preis keine so erste und
gefährliche Angelegenheit, um Zorn heraufzubeschwören, wol aber ein recht
angenehmer Schmuck der poetischen Production, liebenswürdig für den, welcher
den Preis erhält, und keine üble Veranlassung zu guter Laune für alle die,
welche den Preis nicht erwerben. Man soll nur nicht Unbilliges von ihm
verlangen.

Ob er einen wesentlichen Einfluß auf Hebung des dramatischen Schaffens
ausüben wird, darf bezweifelt werden. Die Blüte der dramatischen Poesie
ist bei allen Culturvölkern spät, selten, nur auf kurze Zeit sichtbar geworden.
Viele günstige Umstände müssen zusammentreffen, die Volkskraft nach dieser
Richtung zu entwickeln und den Schaffenden die eigenthümliche Methode der
poetischen Empfindung zu geben, welche das in der Darstellung Wirksame
reichlich und mannigfaltig auszudrücken vermag. Wir Deutsche aber mußten
nach einem kurzen Vorfrühling eine um so größere Dürftigkeit der dramatischen
Literatur beklagen. Offenbar haben wir die^ Zeit eines nationalen Dra¬
mas noch zu erwarten, und man darf zweifeln, ob in ,der Gegenwart be¬
reits alle Bedingungen dazu vorhanden sind. Noch ist die unmittelbare Em¬
pfindung des Volks, seit dasselbe aus der epischen Zeit des Mittelalters heraus¬
getreten ist, viel mehr lyrisch, als dramatisch, und wie es allen Einzelnen
noch schwer wird, im Verkehr mit Andern, auf der Kanzel, auf der Tri¬
büne, bei Festen und Aufzügen, die Wucht eines starken Gefühls mit
charakteristischem und imponirenden Ausdruck verbunden zu zeigen, so wird
auch dem deutschen Dichter die souveräne Herrschaft über leidenschaftlich be¬
wegte Charaktere, welche das Drama in starkem, höchst zweckvollem Gegensatz und
in unaufhörlicherer Entwicklung zu zeigen hat, nicht leicht. Und obgleich keinem
Sterblichen vergönnt ist, die Gesetze, nach welcher die bildende Volkskraft in
den Individuen zur Erscheinung kommt, prophetisch zu erkennen, so scheint doch
die Annahme wohlbegründet, daß eine energische Entwicklung des deutschen
Dramas abhängig ist von einer kräftigen Ausbildung des deutschen Charac-


Der Schillerpreis lind die projectirten Statuen in Berlin.

Am 10. November 185» wurde von dem Prinzregenten ein Preis für
das beste Drama höhern Stiles ausgesetzt, welcher sich von ähnlichen Zeichen
fürstlicher Theilnahme dadurch unterscheidet, daß er in periodischer Wiederkehr
jedes dritte Jahr vertheilt werden soll.- Die Methode der Vertheilung ist
damals lebhast erörtert worden. Man hat sich gegen alle Preise für poetische
Werke ausgesprochen, und wieder hat man einzelne Bestimmungen des Sta¬
tuts angegriffen. Vielleicht ist der dramatische Preis keine so erste und
gefährliche Angelegenheit, um Zorn heraufzubeschwören, wol aber ein recht
angenehmer Schmuck der poetischen Production, liebenswürdig für den, welcher
den Preis erhält, und keine üble Veranlassung zu guter Laune für alle die,
welche den Preis nicht erwerben. Man soll nur nicht Unbilliges von ihm
verlangen.

Ob er einen wesentlichen Einfluß auf Hebung des dramatischen Schaffens
ausüben wird, darf bezweifelt werden. Die Blüte der dramatischen Poesie
ist bei allen Culturvölkern spät, selten, nur auf kurze Zeit sichtbar geworden.
Viele günstige Umstände müssen zusammentreffen, die Volkskraft nach dieser
Richtung zu entwickeln und den Schaffenden die eigenthümliche Methode der
poetischen Empfindung zu geben, welche das in der Darstellung Wirksame
reichlich und mannigfaltig auszudrücken vermag. Wir Deutsche aber mußten
nach einem kurzen Vorfrühling eine um so größere Dürftigkeit der dramatischen
Literatur beklagen. Offenbar haben wir die^ Zeit eines nationalen Dra¬
mas noch zu erwarten, und man darf zweifeln, ob in ,der Gegenwart be¬
reits alle Bedingungen dazu vorhanden sind. Noch ist die unmittelbare Em¬
pfindung des Volks, seit dasselbe aus der epischen Zeit des Mittelalters heraus¬
getreten ist, viel mehr lyrisch, als dramatisch, und wie es allen Einzelnen
noch schwer wird, im Verkehr mit Andern, auf der Kanzel, auf der Tri¬
büne, bei Festen und Aufzügen, die Wucht eines starken Gefühls mit
charakteristischem und imponirenden Ausdruck verbunden zu zeigen, so wird
auch dem deutschen Dichter die souveräne Herrschaft über leidenschaftlich be¬
wegte Charaktere, welche das Drama in starkem, höchst zweckvollem Gegensatz und
in unaufhörlicherer Entwicklung zu zeigen hat, nicht leicht. Und obgleich keinem
Sterblichen vergönnt ist, die Gesetze, nach welcher die bildende Volkskraft in
den Individuen zur Erscheinung kommt, prophetisch zu erkennen, so scheint doch
die Annahme wohlbegründet, daß eine energische Entwicklung des deutschen
Dramas abhängig ist von einer kräftigen Ausbildung des deutschen Charac-


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[0026] Der Schillerpreis lind die projectirten Statuen in Berlin. Am 10. November 185» wurde von dem Prinzregenten ein Preis für das beste Drama höhern Stiles ausgesetzt, welcher sich von ähnlichen Zeichen fürstlicher Theilnahme dadurch unterscheidet, daß er in periodischer Wiederkehr jedes dritte Jahr vertheilt werden soll.- Die Methode der Vertheilung ist damals lebhast erörtert worden. Man hat sich gegen alle Preise für poetische Werke ausgesprochen, und wieder hat man einzelne Bestimmungen des Sta¬ tuts angegriffen. Vielleicht ist der dramatische Preis keine so erste und gefährliche Angelegenheit, um Zorn heraufzubeschwören, wol aber ein recht angenehmer Schmuck der poetischen Production, liebenswürdig für den, welcher den Preis erhält, und keine üble Veranlassung zu guter Laune für alle die, welche den Preis nicht erwerben. Man soll nur nicht Unbilliges von ihm verlangen. Ob er einen wesentlichen Einfluß auf Hebung des dramatischen Schaffens ausüben wird, darf bezweifelt werden. Die Blüte der dramatischen Poesie ist bei allen Culturvölkern spät, selten, nur auf kurze Zeit sichtbar geworden. Viele günstige Umstände müssen zusammentreffen, die Volkskraft nach dieser Richtung zu entwickeln und den Schaffenden die eigenthümliche Methode der poetischen Empfindung zu geben, welche das in der Darstellung Wirksame reichlich und mannigfaltig auszudrücken vermag. Wir Deutsche aber mußten nach einem kurzen Vorfrühling eine um so größere Dürftigkeit der dramatischen Literatur beklagen. Offenbar haben wir die^ Zeit eines nationalen Dra¬ mas noch zu erwarten, und man darf zweifeln, ob in ,der Gegenwart be¬ reits alle Bedingungen dazu vorhanden sind. Noch ist die unmittelbare Em¬ pfindung des Volks, seit dasselbe aus der epischen Zeit des Mittelalters heraus¬ getreten ist, viel mehr lyrisch, als dramatisch, und wie es allen Einzelnen noch schwer wird, im Verkehr mit Andern, auf der Kanzel, auf der Tri¬ büne, bei Festen und Aufzügen, die Wucht eines starken Gefühls mit charakteristischem und imponirenden Ausdruck verbunden zu zeigen, so wird auch dem deutschen Dichter die souveräne Herrschaft über leidenschaftlich be¬ wegte Charaktere, welche das Drama in starkem, höchst zweckvollem Gegensatz und in unaufhörlicherer Entwicklung zu zeigen hat, nicht leicht. Und obgleich keinem Sterblichen vergönnt ist, die Gesetze, nach welcher die bildende Volkskraft in den Individuen zur Erscheinung kommt, prophetisch zu erkennen, so scheint doch die Annahme wohlbegründet, daß eine energische Entwicklung des deutschen Dramas abhängig ist von einer kräftigen Ausbildung des deutschen Charac-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/26>, abgerufen am 05.05.2024.