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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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nicht enthalten kann . . . Woran es mir noch fehlt, das ist der Muth. Sie
wissen gar nicht, wie hypochondrisch und furchtsam ich bin. Ich zittere immer¬
fort für mein Leben und meine Gesundheit und das ist schlimm für Einen, der
sich täglich der Ansteckung aussetzen soll." Er bleibt auf der Universität bis
Ostern 1807. und bei seiner Abreise erfährt er von einem Freunde, er sei in
der ganzen Stadt als ein halber Narr und in der halben Stadt als ein
ganzer Narr bekannt. "Wahrhaftig, nicht erschrocken, aber ganz verwundert
war ich darüber."
'

Wie mansieht, sind diese Briefe sehr geeignet, über den Charakter uns
die Entwicklung Börne's Aufschlüsse zu geben; wenn man aber seine Liebes¬
geschichte tragisch auffaßt, so ist das, gelinde gesagt, lächerlich.


Julian Schmidt.


Vincke und die Nationalzeitung.

Wir haben den Ausfall Vincke's gegen Waldeck mit dem äußersten
Mißmut!) gelesen, aus folgenden Gründen.

Erstens scheint uns die Aufgabe des Landtags nicht, über Perioden,
welche bereits der Geschichte angehören, ein Gutachten abzugeben, sondern die
Geschäfte des Tags zu besorgen und die Zukunft vorzubereiten. Wenn es
1848 zeitgemäß war. die Überschreitungen der Demokratie zu bekämpfen, so
liegt dazu heute nicht die mindeste Veranlassung vor. Heute gilt es, den Un-
rath. welchen die Reaction seit zehn Jahren zusammengehäuft, fortzuschaffen,
und jeder, der uns dabei behilflich ist, muß uns ein willkommener Bundes¬
genosse sein. Wenn wir alte vergessene Geschichten wieder aufwärmen, so
unterbrechen wir die nothwendigen Geschäfte des Jahres.

Zweitens hat Waldeck diesen Angriff in keiner Weise provocirt. Er hat
offen und würdig, wie es einem Mann geziemt, seine Stellung zur Politik
der Gegenwart bezeichnet. Er hat die Verfassung, gegen deren Nechtsgiltig-
knt er vor zehn Jahren mit seinen politischen Freunden protestirte, unum¬
wunden als rechtsgültig anerkannt. > Er hat den Männern, welche aus dem
Boden dieser Verfassung zehn Jahre lang gegen das Ministerium Man-


nicht enthalten kann . . . Woran es mir noch fehlt, das ist der Muth. Sie
wissen gar nicht, wie hypochondrisch und furchtsam ich bin. Ich zittere immer¬
fort für mein Leben und meine Gesundheit und das ist schlimm für Einen, der
sich täglich der Ansteckung aussetzen soll." Er bleibt auf der Universität bis
Ostern 1807. und bei seiner Abreise erfährt er von einem Freunde, er sei in
der ganzen Stadt als ein halber Narr und in der halben Stadt als ein
ganzer Narr bekannt. „Wahrhaftig, nicht erschrocken, aber ganz verwundert
war ich darüber."
'

Wie mansieht, sind diese Briefe sehr geeignet, über den Charakter uns
die Entwicklung Börne's Aufschlüsse zu geben; wenn man aber seine Liebes¬
geschichte tragisch auffaßt, so ist das, gelinde gesagt, lächerlich.


Julian Schmidt.


Vincke und die Nationalzeitung.

Wir haben den Ausfall Vincke's gegen Waldeck mit dem äußersten
Mißmut!) gelesen, aus folgenden Gründen.

Erstens scheint uns die Aufgabe des Landtags nicht, über Perioden,
welche bereits der Geschichte angehören, ein Gutachten abzugeben, sondern die
Geschäfte des Tags zu besorgen und die Zukunft vorzubereiten. Wenn es
1848 zeitgemäß war. die Überschreitungen der Demokratie zu bekämpfen, so
liegt dazu heute nicht die mindeste Veranlassung vor. Heute gilt es, den Un-
rath. welchen die Reaction seit zehn Jahren zusammengehäuft, fortzuschaffen,
und jeder, der uns dabei behilflich ist, muß uns ein willkommener Bundes¬
genosse sein. Wenn wir alte vergessene Geschichten wieder aufwärmen, so
unterbrechen wir die nothwendigen Geschäfte des Jahres.

Zweitens hat Waldeck diesen Angriff in keiner Weise provocirt. Er hat
offen und würdig, wie es einem Mann geziemt, seine Stellung zur Politik
der Gegenwart bezeichnet. Er hat die Verfassung, gegen deren Nechtsgiltig-
knt er vor zehn Jahren mit seinen politischen Freunden protestirte, unum¬
wunden als rechtsgültig anerkannt. > Er hat den Männern, welche aus dem
Boden dieser Verfassung zehn Jahre lang gegen das Ministerium Man-


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[0481] nicht enthalten kann . . . Woran es mir noch fehlt, das ist der Muth. Sie wissen gar nicht, wie hypochondrisch und furchtsam ich bin. Ich zittere immer¬ fort für mein Leben und meine Gesundheit und das ist schlimm für Einen, der sich täglich der Ansteckung aussetzen soll." Er bleibt auf der Universität bis Ostern 1807. und bei seiner Abreise erfährt er von einem Freunde, er sei in der ganzen Stadt als ein halber Narr und in der halben Stadt als ein ganzer Narr bekannt. „Wahrhaftig, nicht erschrocken, aber ganz verwundert war ich darüber." ' Wie mansieht, sind diese Briefe sehr geeignet, über den Charakter uns die Entwicklung Börne's Aufschlüsse zu geben; wenn man aber seine Liebes¬ geschichte tragisch auffaßt, so ist das, gelinde gesagt, lächerlich. Julian Schmidt. Vincke und die Nationalzeitung. Wir haben den Ausfall Vincke's gegen Waldeck mit dem äußersten Mißmut!) gelesen, aus folgenden Gründen. Erstens scheint uns die Aufgabe des Landtags nicht, über Perioden, welche bereits der Geschichte angehören, ein Gutachten abzugeben, sondern die Geschäfte des Tags zu besorgen und die Zukunft vorzubereiten. Wenn es 1848 zeitgemäß war. die Überschreitungen der Demokratie zu bekämpfen, so liegt dazu heute nicht die mindeste Veranlassung vor. Heute gilt es, den Un- rath. welchen die Reaction seit zehn Jahren zusammengehäuft, fortzuschaffen, und jeder, der uns dabei behilflich ist, muß uns ein willkommener Bundes¬ genosse sein. Wenn wir alte vergessene Geschichten wieder aufwärmen, so unterbrechen wir die nothwendigen Geschäfte des Jahres. Zweitens hat Waldeck diesen Angriff in keiner Weise provocirt. Er hat offen und würdig, wie es einem Mann geziemt, seine Stellung zur Politik der Gegenwart bezeichnet. Er hat die Verfassung, gegen deren Nechtsgiltig- knt er vor zehn Jahren mit seinen politischen Freunden protestirte, unum¬ wunden als rechtsgültig anerkannt. > Er hat den Männern, welche aus dem Boden dieser Verfassung zehn Jahre lang gegen das Ministerium Man-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/481>, abgerufen am 05.05.2024.