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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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letzte kann er nicht über mich, und das erste kann ich nicht gegen ihn; denn
Faulheit und Eitelkeit sind mir an jungen Leuten ekelhaft und verhaßt. Ein
interessanter Mensch, wenn Du es so nennen willst, kann er wol immer bleiben,
aber weiter glaube ich nicht,,daß er etwas wird; zumal ich auch nicht einmal
ein entschiedenes, bestimmtes tüchtiges Talent an ihm bemerkt habe, auf
welches ich meine Hoffnung setzen konnte, daß es Herr über ihn werden und
ihn durcharbeiten könnte." --

Louis -- in dem sich beiläufig um diese Zeit ein tüchtiges Talent zur
Satyre herausbildet, wie namentlich sein Bericht über die Frankfurter Juden
und die Madame La Roche zeigt -- klagt in einem Brief vom l. September
l80S über Schleiermachers Kälte. "Ich bin wahrhaftig nicht schlimmer ge¬
worden, aber er halte mich an sich gezogen um mich zu bessern, und da er
das nicht vermochte, ärgerte er sich darüber und jagte mich fort. Aber mein
Gott! wie würde ich mich vor solche Freunde stets bedanken, die mir meiner
vortrefflichen Tugenden und nützlichen Eigenschaften wegen anhingen, daß ich
sittlich, ordentlich, fleißig, mäßig, witzig und verständig und weiß der Himmel
was mehr bin, und die mich nicht darum liebten, weil ich Louis bin und
kein Anderer!,, -- Beiläufig sind das Grundsätze, die keiner lebhafter verfochten
hat als -- Schleiermacher selbst in seinen Monologen 1802. Das Verhältniß
zu Schleiermacker ist der Mittelpunkt auch der folgenden Briefe; wir heben
noch eine Stelle heraus, 20. Januar 1806. "Schleiermacher hat ein Etwas,
das mich immer abhalten wird, ihm ganz zu vertrauen und mich ihm warm
und innig aufzuschließen. Aber halten Sie dieses Etwas nicht für ein anti-
pathischcs Gefühl, das mich abschrecke, es ist vielmehr die Reflexion, die mich
warnt. Denn mit der höchsten Ausbildung des Verstandes, der uns zum
Bewußtsein unserer Individualität und der Kraft sie zu behaupten bringt,
auch jenes Gefühl zu verbinden, bei dem, wenn es uns beiwohnt, wir uns
nur als Glieder eines Ganzen erkennen: das ist den Männern nie, den Frauen
selten nur gegeben. So ists mit Schleiermacher. Was ich mit Gefühl rede,
fürchte ich, wird er für Declcunation, was ich mit Verstand sage, für Eloquenz
halten, so daß ich selbst nie meine Befriedigung dabei finde. Darum entsank
mir auch immer der Muth, wenn er im Dialog mich so bedächtig mit seinen
dialektischen Augen ansah, und mein Vertrauen war zu Ende."

Das ist doch viel besser ausgedrückt, als wenn er Jeanpaulisirt! Aber
die dialektischen Augen waren doch ganz an ihrem Ort.

Den 20. Juli 1806 bekennt er: "Mir ist das Bewußtsein sehr übel be¬
kommen, daß meines Vaters Vermögensumstände es mir verstatten würden,
so lange als ich nur will aus der Universität zu bleiben, es hat mich sehr faul
gemacht ... Ich fange jetzt an mich mit der praktischen Medicin zu beschäf¬
tigen und habe so viel Lust daran, daß ich mich oft des Lächelns darüber


letzte kann er nicht über mich, und das erste kann ich nicht gegen ihn; denn
Faulheit und Eitelkeit sind mir an jungen Leuten ekelhaft und verhaßt. Ein
interessanter Mensch, wenn Du es so nennen willst, kann er wol immer bleiben,
aber weiter glaube ich nicht,,daß er etwas wird; zumal ich auch nicht einmal
ein entschiedenes, bestimmtes tüchtiges Talent an ihm bemerkt habe, auf
welches ich meine Hoffnung setzen konnte, daß es Herr über ihn werden und
ihn durcharbeiten könnte." —

Louis — in dem sich beiläufig um diese Zeit ein tüchtiges Talent zur
Satyre herausbildet, wie namentlich sein Bericht über die Frankfurter Juden
und die Madame La Roche zeigt — klagt in einem Brief vom l. September
l80S über Schleiermachers Kälte. „Ich bin wahrhaftig nicht schlimmer ge¬
worden, aber er halte mich an sich gezogen um mich zu bessern, und da er
das nicht vermochte, ärgerte er sich darüber und jagte mich fort. Aber mein
Gott! wie würde ich mich vor solche Freunde stets bedanken, die mir meiner
vortrefflichen Tugenden und nützlichen Eigenschaften wegen anhingen, daß ich
sittlich, ordentlich, fleißig, mäßig, witzig und verständig und weiß der Himmel
was mehr bin, und die mich nicht darum liebten, weil ich Louis bin und
kein Anderer!,, — Beiläufig sind das Grundsätze, die keiner lebhafter verfochten
hat als — Schleiermacher selbst in seinen Monologen 1802. Das Verhältniß
zu Schleiermacker ist der Mittelpunkt auch der folgenden Briefe; wir heben
noch eine Stelle heraus, 20. Januar 1806. „Schleiermacher hat ein Etwas,
das mich immer abhalten wird, ihm ganz zu vertrauen und mich ihm warm
und innig aufzuschließen. Aber halten Sie dieses Etwas nicht für ein anti-
pathischcs Gefühl, das mich abschrecke, es ist vielmehr die Reflexion, die mich
warnt. Denn mit der höchsten Ausbildung des Verstandes, der uns zum
Bewußtsein unserer Individualität und der Kraft sie zu behaupten bringt,
auch jenes Gefühl zu verbinden, bei dem, wenn es uns beiwohnt, wir uns
nur als Glieder eines Ganzen erkennen: das ist den Männern nie, den Frauen
selten nur gegeben. So ists mit Schleiermacher. Was ich mit Gefühl rede,
fürchte ich, wird er für Declcunation, was ich mit Verstand sage, für Eloquenz
halten, so daß ich selbst nie meine Befriedigung dabei finde. Darum entsank
mir auch immer der Muth, wenn er im Dialog mich so bedächtig mit seinen
dialektischen Augen ansah, und mein Vertrauen war zu Ende."

Das ist doch viel besser ausgedrückt, als wenn er Jeanpaulisirt! Aber
die dialektischen Augen waren doch ganz an ihrem Ort.

Den 20. Juli 1806 bekennt er: „Mir ist das Bewußtsein sehr übel be¬
kommen, daß meines Vaters Vermögensumstände es mir verstatten würden,
so lange als ich nur will aus der Universität zu bleiben, es hat mich sehr faul
gemacht ... Ich fange jetzt an mich mit der praktischen Medicin zu beschäf¬
tigen und habe so viel Lust daran, daß ich mich oft des Lächelns darüber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/480>, abgerufen am 18.05.2024.