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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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reich geradezu aufgegeben. Ja es stellt sich schon jetzt heraus, daß die deutsch¬
östreichische Vertretung ein Centrum für die großdeutsche Partei hergeben wird.

Das ist immer ein Erfolg, und wenn man in Bezug auf die nächste
Zukunft noch völlig im Dunkeln tappt, so muß sich die preußische Regierung
doch sagen, daß Oestreichs Lage sich seit einem halben Jahr wesentlich ge¬
ändert hat. (Dem Leser, der sich genauer unterrichten will, empfehlen wir die
Broschüre: Oesterreichs Desorganisation und Reorganisation; sie ist weitschwei¬
fig und schwülstig geschrieben, enthält aber bedeutende Details.) Die preußische
Regierung muß sich sagen, daß die liberalen und nationalen Ideen, gegen¬
wärtig die mächtigsten Hebel in Europa, Waffen sind, die nicht ihr allein zu
Gebote stehen; daß sie auch gegen sie gewandt werden können. So sehr alle
Voraussetzungen darauf hinweisen, daß ihnen Preußen einst seine Größe ver¬
danken wird, muß dennoch die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden, daß
auch über Preuße", wenn es seinen Beruf fortwährend verkennt, die Geschichte
-j- 1- einst zur Tagesordnung übergeht.




Der Ultramontanismus.

Wenn man den Kaiser Napoleon wegen der zweideutigen Politik tadelt,
die er in den römischen Angelegenheiten verfolgt, so muß man bedenken, daß
es sich hier um eine der verwickeltsten Fragen handelt, die Europa je in Be¬
wegung gesetzt haben, ja vielleicht um die folgenschwerste Entscheidung der
neueren Geschichte. Wie tief aber auch das Dunkel sein möge, welches die
Zukunft Roms verhüllt, so viel leuchtet ein. daß die römische Hierarchie einer
wesentlichen Veränderung entgegengeht. Selbst wenn das neue Königreich
Italien in der nächsten Zeit seine natürliche Hauptstadt noch nicht gewinnen
sollte, so bildet es doch vermöge seiner liberalen Einrichtungen einen Wall
um den Kirchenstaat, der ihn von seinen Anhängern diesseit der Berge isolirt.
Da wir Deutsche zu der Entscheidung der Frage wenig beitragen können, so
haben wir die Pflicht, von unserm Standpunkt aus. vom Standpunkt des
Staats und der bürgerlichen Gesellschaft, unser Verhältniß zur römischen
Kirche zu untersuchen.

Unter den vielen politische" Stichwörtern des Tages, die alle mehr oder


reich geradezu aufgegeben. Ja es stellt sich schon jetzt heraus, daß die deutsch¬
östreichische Vertretung ein Centrum für die großdeutsche Partei hergeben wird.

Das ist immer ein Erfolg, und wenn man in Bezug auf die nächste
Zukunft noch völlig im Dunkeln tappt, so muß sich die preußische Regierung
doch sagen, daß Oestreichs Lage sich seit einem halben Jahr wesentlich ge¬
ändert hat. (Dem Leser, der sich genauer unterrichten will, empfehlen wir die
Broschüre: Oesterreichs Desorganisation und Reorganisation; sie ist weitschwei¬
fig und schwülstig geschrieben, enthält aber bedeutende Details.) Die preußische
Regierung muß sich sagen, daß die liberalen und nationalen Ideen, gegen¬
wärtig die mächtigsten Hebel in Europa, Waffen sind, die nicht ihr allein zu
Gebote stehen; daß sie auch gegen sie gewandt werden können. So sehr alle
Voraussetzungen darauf hinweisen, daß ihnen Preußen einst seine Größe ver¬
danken wird, muß dennoch die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden, daß
auch über Preuße», wenn es seinen Beruf fortwährend verkennt, die Geschichte
-j- 1- einst zur Tagesordnung übergeht.




Der Ultramontanismus.

Wenn man den Kaiser Napoleon wegen der zweideutigen Politik tadelt,
die er in den römischen Angelegenheiten verfolgt, so muß man bedenken, daß
es sich hier um eine der verwickeltsten Fragen handelt, die Europa je in Be¬
wegung gesetzt haben, ja vielleicht um die folgenschwerste Entscheidung der
neueren Geschichte. Wie tief aber auch das Dunkel sein möge, welches die
Zukunft Roms verhüllt, so viel leuchtet ein. daß die römische Hierarchie einer
wesentlichen Veränderung entgegengeht. Selbst wenn das neue Königreich
Italien in der nächsten Zeit seine natürliche Hauptstadt noch nicht gewinnen
sollte, so bildet es doch vermöge seiner liberalen Einrichtungen einen Wall
um den Kirchenstaat, der ihn von seinen Anhängern diesseit der Berge isolirt.
Da wir Deutsche zu der Entscheidung der Frage wenig beitragen können, so
haben wir die Pflicht, von unserm Standpunkt aus. vom Standpunkt des
Staats und der bürgerlichen Gesellschaft, unser Verhältniß zur römischen
Kirche zu untersuchen.

Unter den vielen politische» Stichwörtern des Tages, die alle mehr oder


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[0046] reich geradezu aufgegeben. Ja es stellt sich schon jetzt heraus, daß die deutsch¬ östreichische Vertretung ein Centrum für die großdeutsche Partei hergeben wird. Das ist immer ein Erfolg, und wenn man in Bezug auf die nächste Zukunft noch völlig im Dunkeln tappt, so muß sich die preußische Regierung doch sagen, daß Oestreichs Lage sich seit einem halben Jahr wesentlich ge¬ ändert hat. (Dem Leser, der sich genauer unterrichten will, empfehlen wir die Broschüre: Oesterreichs Desorganisation und Reorganisation; sie ist weitschwei¬ fig und schwülstig geschrieben, enthält aber bedeutende Details.) Die preußische Regierung muß sich sagen, daß die liberalen und nationalen Ideen, gegen¬ wärtig die mächtigsten Hebel in Europa, Waffen sind, die nicht ihr allein zu Gebote stehen; daß sie auch gegen sie gewandt werden können. So sehr alle Voraussetzungen darauf hinweisen, daß ihnen Preußen einst seine Größe ver¬ danken wird, muß dennoch die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden, daß auch über Preuße», wenn es seinen Beruf fortwährend verkennt, die Geschichte -j- 1- einst zur Tagesordnung übergeht. Der Ultramontanismus. Wenn man den Kaiser Napoleon wegen der zweideutigen Politik tadelt, die er in den römischen Angelegenheiten verfolgt, so muß man bedenken, daß es sich hier um eine der verwickeltsten Fragen handelt, die Europa je in Be¬ wegung gesetzt haben, ja vielleicht um die folgenschwerste Entscheidung der neueren Geschichte. Wie tief aber auch das Dunkel sein möge, welches die Zukunft Roms verhüllt, so viel leuchtet ein. daß die römische Hierarchie einer wesentlichen Veränderung entgegengeht. Selbst wenn das neue Königreich Italien in der nächsten Zeit seine natürliche Hauptstadt noch nicht gewinnen sollte, so bildet es doch vermöge seiner liberalen Einrichtungen einen Wall um den Kirchenstaat, der ihn von seinen Anhängern diesseit der Berge isolirt. Da wir Deutsche zu der Entscheidung der Frage wenig beitragen können, so haben wir die Pflicht, von unserm Standpunkt aus. vom Standpunkt des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft, unser Verhältniß zur römischen Kirche zu untersuchen. Unter den vielen politische» Stichwörtern des Tages, die alle mehr oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/46>, abgerufen am 05.05.2024.