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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Das Intermezzo in Tirol.

Aurora legt ihre Rosensinger zwar noch nicht auf die Spitzen unserer
Gletscher, doch die Laute, die durch die Nacht in unser Ohr drangen, lernen
wir allmälig unterscheiden. Der fromme Levit hätte nie so muthig und un¬
erschütterlich vor allem Volke um die Erhaltung der Glaubensfreiheit gebetet,
wäre er nicht der Krone sicher gewesen, die ihm ein befreundeter Geist schon
in den Wolken zeigte. Nun dieser von ihm genommen, ist es auch aus mit
dem salbungsvollen Gebete, den Donnerkeilen der Zunge und dem Opferungs¬
eifer der Märtyrer. Als der unersetzliche Verlust nahe bevorstand, riethen die
stets durch geheime Vertraute von den Dingen in Wien unterrichteten "Tiroler
Stimmen" in ihrer namenlosen Angst zu einer Petition an den Kaiser: "daß
man uns den Erzher zog nicht auch, rend -- Alles nehme." Auf ihm beruhte
alle und jede Hoffnung der Glaubcnskämpfer. Die "Tiroler Stimmen" kann¬
ten seine wahre Gesinnung wol besser als irgend Jemand. Dieses Organ
mit dem Wahlspruch "Für Gott, Kaiser und Vaterland" besteht seit dem
1. April d. I. und wäre bereits aus Mangel patriotischer Theilnahme ein¬
gegangen, hätte nicht der Erzherzog-Statthalter seinen Ausfall gedeckt. So
war es ihm denn bisher vergönnt, sich zum Träger der ächten "Volksfreiheit"
zu machen, die Fackel der Glaubensorgien mit Lust zu schwingen, zu klatschen,
was man im Lande zur größern Ehre Gottes veranstaltete, Jesuitenkünste zu
üben und den Staatsminister mit dem Lobe eines "Kautschuckmanns" zu ehren.
"Gott sei mit unserm Vaterlande!" riefen die kindlichen "Tiroler Stimmen",
als man den wehrlosen Geistlichen ihren Schutzherrn, ihnen selbst aber den
Brodvater nehmen wollte.

Es stand aber eine gute Weile an, bis es gelang, den edlen Prinzen, dem
das Scheiden vom treuen Tirol so schwer wurde, zur Abdankung zu vermögen.
Was er früher angestrebt, begünstigt, gefördert, schien theils im früheren Sy¬
stem, theils im gerechten Mißtrauen in den Bestand ixr neuesten Dinge Ent¬
schuldigung zu finden. Vertrauliche Worte, wenngleich bei jener feierlichen
Audienz, doch bloß im Weggehen an or. Haßlwandter allein gerichtet und
von ihm unbescheiden ausgeplaudert, konnten kaum eine Anklage verfassungs-


Grenzbotcn IV. 1861. 6
Das Intermezzo in Tirol.

Aurora legt ihre Rosensinger zwar noch nicht auf die Spitzen unserer
Gletscher, doch die Laute, die durch die Nacht in unser Ohr drangen, lernen
wir allmälig unterscheiden. Der fromme Levit hätte nie so muthig und un¬
erschütterlich vor allem Volke um die Erhaltung der Glaubensfreiheit gebetet,
wäre er nicht der Krone sicher gewesen, die ihm ein befreundeter Geist schon
in den Wolken zeigte. Nun dieser von ihm genommen, ist es auch aus mit
dem salbungsvollen Gebete, den Donnerkeilen der Zunge und dem Opferungs¬
eifer der Märtyrer. Als der unersetzliche Verlust nahe bevorstand, riethen die
stets durch geheime Vertraute von den Dingen in Wien unterrichteten „Tiroler
Stimmen" in ihrer namenlosen Angst zu einer Petition an den Kaiser: „daß
man uns den Erzher zog nicht auch, rend — Alles nehme." Auf ihm beruhte
alle und jede Hoffnung der Glaubcnskämpfer. Die „Tiroler Stimmen" kann¬
ten seine wahre Gesinnung wol besser als irgend Jemand. Dieses Organ
mit dem Wahlspruch „Für Gott, Kaiser und Vaterland" besteht seit dem
1. April d. I. und wäre bereits aus Mangel patriotischer Theilnahme ein¬
gegangen, hätte nicht der Erzherzog-Statthalter seinen Ausfall gedeckt. So
war es ihm denn bisher vergönnt, sich zum Träger der ächten „Volksfreiheit"
zu machen, die Fackel der Glaubensorgien mit Lust zu schwingen, zu klatschen,
was man im Lande zur größern Ehre Gottes veranstaltete, Jesuitenkünste zu
üben und den Staatsminister mit dem Lobe eines „Kautschuckmanns" zu ehren.
„Gott sei mit unserm Vaterlande!" riefen die kindlichen „Tiroler Stimmen",
als man den wehrlosen Geistlichen ihren Schutzherrn, ihnen selbst aber den
Brodvater nehmen wollte.

Es stand aber eine gute Weile an, bis es gelang, den edlen Prinzen, dem
das Scheiden vom treuen Tirol so schwer wurde, zur Abdankung zu vermögen.
Was er früher angestrebt, begünstigt, gefördert, schien theils im früheren Sy¬
stem, theils im gerechten Mißtrauen in den Bestand ixr neuesten Dinge Ent¬
schuldigung zu finden. Vertrauliche Worte, wenngleich bei jener feierlichen
Audienz, doch bloß im Weggehen an or. Haßlwandter allein gerichtet und
von ihm unbescheiden ausgeplaudert, konnten kaum eine Anklage verfassungs-


Grenzbotcn IV. 1861. 6
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[0051] Das Intermezzo in Tirol. Aurora legt ihre Rosensinger zwar noch nicht auf die Spitzen unserer Gletscher, doch die Laute, die durch die Nacht in unser Ohr drangen, lernen wir allmälig unterscheiden. Der fromme Levit hätte nie so muthig und un¬ erschütterlich vor allem Volke um die Erhaltung der Glaubensfreiheit gebetet, wäre er nicht der Krone sicher gewesen, die ihm ein befreundeter Geist schon in den Wolken zeigte. Nun dieser von ihm genommen, ist es auch aus mit dem salbungsvollen Gebete, den Donnerkeilen der Zunge und dem Opferungs¬ eifer der Märtyrer. Als der unersetzliche Verlust nahe bevorstand, riethen die stets durch geheime Vertraute von den Dingen in Wien unterrichteten „Tiroler Stimmen" in ihrer namenlosen Angst zu einer Petition an den Kaiser: „daß man uns den Erzher zog nicht auch, rend — Alles nehme." Auf ihm beruhte alle und jede Hoffnung der Glaubcnskämpfer. Die „Tiroler Stimmen" kann¬ ten seine wahre Gesinnung wol besser als irgend Jemand. Dieses Organ mit dem Wahlspruch „Für Gott, Kaiser und Vaterland" besteht seit dem 1. April d. I. und wäre bereits aus Mangel patriotischer Theilnahme ein¬ gegangen, hätte nicht der Erzherzog-Statthalter seinen Ausfall gedeckt. So war es ihm denn bisher vergönnt, sich zum Träger der ächten „Volksfreiheit" zu machen, die Fackel der Glaubensorgien mit Lust zu schwingen, zu klatschen, was man im Lande zur größern Ehre Gottes veranstaltete, Jesuitenkünste zu üben und den Staatsminister mit dem Lobe eines „Kautschuckmanns" zu ehren. „Gott sei mit unserm Vaterlande!" riefen die kindlichen „Tiroler Stimmen", als man den wehrlosen Geistlichen ihren Schutzherrn, ihnen selbst aber den Brodvater nehmen wollte. Es stand aber eine gute Weile an, bis es gelang, den edlen Prinzen, dem das Scheiden vom treuen Tirol so schwer wurde, zur Abdankung zu vermögen. Was er früher angestrebt, begünstigt, gefördert, schien theils im früheren Sy¬ stem, theils im gerechten Mißtrauen in den Bestand ixr neuesten Dinge Ent¬ schuldigung zu finden. Vertrauliche Worte, wenngleich bei jener feierlichen Audienz, doch bloß im Weggehen an or. Haßlwandter allein gerichtet und von ihm unbescheiden ausgeplaudert, konnten kaum eine Anklage verfassungs- Grenzbotcn IV. 1861. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/51>, abgerufen am 26.04.2024.