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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Verhältniß von Regierung und Volksvertretung sich ein den concreten Fragen
entscheiden zu lassen. Könnten wir eine Form finden, um wie in England
die Adreßdebatte auf einen Tag zu beschränken, so möchte die Adresse immer¬
hin als eine vorläufige Probe der Stärke der Parteien gelten können. Aber
dazu würde vor allen Dingen eine Abänderung unserer ganz büreaukratischen
G ? eschäftsordnung erforderlich sein.




Die Einstellung der Baarzahlungen in Neuyork.

Wallstreet ist das Gehirn oder Herz, oder wenn man will, das Thermo¬
meter des amerikanischen Geldmarkts. So geschah es, daß die Nachricht
von der in der ersten Woche dieses Jahrs erfolgten Einstellung der Specie-
zahlungen von Seiten der Neuyorker Banken in England bedeutendes Auf¬
sehen machte. Die Sache verdient aber als Zeichen der Zeit in der That
allgemeine Beachtung. Die Londoner Zeitungen, namentlich "Times" und
"Herald", sehen in der Maßregel, die beiläufig bei den Finanzplänen Chase's
vorauszusagen war, schon den Anfang des Endes. Der "Herald" weissagt,
daß die amerikanischen Staatsnoten bald nicht mehr werth sein werden, als
das Papier, das zu ihnen verwendet wird, die "Times" nimmt als bereits
eingetreten an. was sie den Uankees wünscht, und vergleicht den Zustand der
Union mit der Finanznoth Oestreichs.

Dergleichen Redensarten sind offenbare Ausflüsse des Verdrusses, den
England darüber empfindet, daß der Krieg in Amerika fortdauert. Man haßt
jeden Krieg, da jeder den englischen Interessen schadet, und man haßt diesen
ganz besonders, weil er England ganz besonders schwer trifft, und in diesem
Haß übertreibt man und vergißt, daß, wenn England zwanzig ganze Jahre
hindurch seine Baarzahlungen eingestellt hat, ohne deshalb bankerott zu
werden, dies zwar nicht ganz, aber doch in gewissem Maaß auf Amerika
paßt.

Im Folgenden geben wir eine kurze Uebersicht der wahren Sachlage, die
allerdings bedenklich, aber nichts weniger als hoffnungslos ist. Das in
Rede stehende Ereigniß hat seine Ursache darin, daß der amerikanische Finanz¬
minister, als es mit den zur Bestreitung der Kriegskosten nöthigen Anleihen
stockte, sich zur Ausgabe uneinlösbarer Noten entschloß, und daß das Pu-


Verhältniß von Regierung und Volksvertretung sich ein den concreten Fragen
entscheiden zu lassen. Könnten wir eine Form finden, um wie in England
die Adreßdebatte auf einen Tag zu beschränken, so möchte die Adresse immer¬
hin als eine vorläufige Probe der Stärke der Parteien gelten können. Aber
dazu würde vor allen Dingen eine Abänderung unserer ganz büreaukratischen
G ? eschäftsordnung erforderlich sein.




Die Einstellung der Baarzahlungen in Neuyork.

Wallstreet ist das Gehirn oder Herz, oder wenn man will, das Thermo¬
meter des amerikanischen Geldmarkts. So geschah es, daß die Nachricht
von der in der ersten Woche dieses Jahrs erfolgten Einstellung der Specie-
zahlungen von Seiten der Neuyorker Banken in England bedeutendes Auf¬
sehen machte. Die Sache verdient aber als Zeichen der Zeit in der That
allgemeine Beachtung. Die Londoner Zeitungen, namentlich „Times" und
„Herald", sehen in der Maßregel, die beiläufig bei den Finanzplänen Chase's
vorauszusagen war, schon den Anfang des Endes. Der „Herald" weissagt,
daß die amerikanischen Staatsnoten bald nicht mehr werth sein werden, als
das Papier, das zu ihnen verwendet wird, die „Times" nimmt als bereits
eingetreten an. was sie den Uankees wünscht, und vergleicht den Zustand der
Union mit der Finanznoth Oestreichs.

Dergleichen Redensarten sind offenbare Ausflüsse des Verdrusses, den
England darüber empfindet, daß der Krieg in Amerika fortdauert. Man haßt
jeden Krieg, da jeder den englischen Interessen schadet, und man haßt diesen
ganz besonders, weil er England ganz besonders schwer trifft, und in diesem
Haß übertreibt man und vergißt, daß, wenn England zwanzig ganze Jahre
hindurch seine Baarzahlungen eingestellt hat, ohne deshalb bankerott zu
werden, dies zwar nicht ganz, aber doch in gewissem Maaß auf Amerika
paßt.

Im Folgenden geben wir eine kurze Uebersicht der wahren Sachlage, die
allerdings bedenklich, aber nichts weniger als hoffnungslos ist. Das in
Rede stehende Ereigniß hat seine Ursache darin, daß der amerikanische Finanz¬
minister, als es mit den zur Bestreitung der Kriegskosten nöthigen Anleihen
stockte, sich zur Ausgabe uneinlösbarer Noten entschloß, und daß das Pu-


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[0202] Verhältniß von Regierung und Volksvertretung sich ein den concreten Fragen entscheiden zu lassen. Könnten wir eine Form finden, um wie in England die Adreßdebatte auf einen Tag zu beschränken, so möchte die Adresse immer¬ hin als eine vorläufige Probe der Stärke der Parteien gelten können. Aber dazu würde vor allen Dingen eine Abänderung unserer ganz büreaukratischen G ? eschäftsordnung erforderlich sein. Die Einstellung der Baarzahlungen in Neuyork. Wallstreet ist das Gehirn oder Herz, oder wenn man will, das Thermo¬ meter des amerikanischen Geldmarkts. So geschah es, daß die Nachricht von der in der ersten Woche dieses Jahrs erfolgten Einstellung der Specie- zahlungen von Seiten der Neuyorker Banken in England bedeutendes Auf¬ sehen machte. Die Sache verdient aber als Zeichen der Zeit in der That allgemeine Beachtung. Die Londoner Zeitungen, namentlich „Times" und „Herald", sehen in der Maßregel, die beiläufig bei den Finanzplänen Chase's vorauszusagen war, schon den Anfang des Endes. Der „Herald" weissagt, daß die amerikanischen Staatsnoten bald nicht mehr werth sein werden, als das Papier, das zu ihnen verwendet wird, die „Times" nimmt als bereits eingetreten an. was sie den Uankees wünscht, und vergleicht den Zustand der Union mit der Finanznoth Oestreichs. Dergleichen Redensarten sind offenbare Ausflüsse des Verdrusses, den England darüber empfindet, daß der Krieg in Amerika fortdauert. Man haßt jeden Krieg, da jeder den englischen Interessen schadet, und man haßt diesen ganz besonders, weil er England ganz besonders schwer trifft, und in diesem Haß übertreibt man und vergißt, daß, wenn England zwanzig ganze Jahre hindurch seine Baarzahlungen eingestellt hat, ohne deshalb bankerott zu werden, dies zwar nicht ganz, aber doch in gewissem Maaß auf Amerika paßt. Im Folgenden geben wir eine kurze Uebersicht der wahren Sachlage, die allerdings bedenklich, aber nichts weniger als hoffnungslos ist. Das in Rede stehende Ereigniß hat seine Ursache darin, daß der amerikanische Finanz¬ minister, als es mit den zur Bestreitung der Kriegskosten nöthigen Anleihen stockte, sich zur Ausgabe uneinlösbarer Noten entschloß, und daß das Pu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/202>, abgerufen am 28.04.2024.