Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zelnen Gesetzes ein Pairsschnb vorgenommen wird, so gewöhnt man sich da¬
ran, das Herrenhaus, weiches seinem Beruf nach ein Hort der conservativen
Principien sein so", als ein Spielzeug in der Hand der jedesmaligen Ne¬
gierung zu betrachten. Wer die Befestigung der bürgerlichen Freiheit mit
Einsicht erstrebt, der wird in unserem Oberhaus lieber das englische Haus
der Lords, als die frühere französische Pairskannner nachgeahmt sehen. Allein
gerade um einen häufig wiederholten Pairsschnb zu vermeiden, maß man sich
für ein einziges Mal zu einem großen Pairsschub entschließen. Um diese mon¬
ströseste Schöpfung der Reactionszeit zu beseitigen, ist ein energisches Mittel
nothwendig. Wenn die Regierung einen Gesetzentwurf über eine andere ver¬
ständigere .Zusammensetzung des Oberhauses einbringt, und zugleich durch
einen großen Pairsschub trat ne>e sich eine Majorität verschafft, damit das
Herrenhaus sich selbst ans legale Weise das Toöesurtheil sprechen könne, dann
sind wie mit einem Schlage alle inneren Schwierigkeiten beseitigt. Das wäre
eine Maßregel, "angemessen dem Ernst der Zeit, von dem die Thronrede
spricht.

Statt dessen beschäftigen wir uns hier mit der Fractionsbildung und
mit der Adreßfrage. Die Fractionsbildung hat sich ungefähr so gestaltet, wie
ich es schon vor vierzehn Tagen vorhergesagt habe. Die früheren Mitglieder
der constitutionellen Partei haben sich nickt vollständig wieder zu einer Frac-
tion zusammen gefunden. Die mehr ministerielle, oder wie es jetzt heißt
"gouvernementale" Mehrheit der Partei ist in der Fraction Grabow vereinigt,
und bildet jetzt die rechte Seite der liberalen Majorität des Hauses. Ein
Theil der früheren Genossen dieser Partei hat sich unter Harkort und Stavcn-
Hagen abgesondert; ohne ein verschiedenes Programm aufzustellen, wollen, diese
doch sich eine größere Unabhängigkeit bewahren. Andrerseits wird durch die
deutsche Fortschrittspartei die linke Seite der liberalen Majorität gebildet.
Aber auch von dieser Fraction hat sich ein Theil, der etwas mehr rechts
nüancirt ist, nnter Aßmann, Hinrichs. Techow abgesondert. Wir haben also
innerhalb der großen liberalen Mehrheit eine Rechte, eine Linke, ein rechtes
und ein linkes Centrum. Bei der Militärfragc wird die Rechte (Fraction
Grabow) zur Nachgiebigkeit geneigt sein, die Fortschrittspartei nicht; die Ent¬
scheidung wird also wahrscheinlich in der Hand der beiden Ccntrumfractionen
liegen.

Eine Adresse wird drcsmal wohl nicht erlassen werden. Sie könnte nichts
nützen. Wie die Sachen einmal liegen, würde sie nur unnöthig reizen. Lei¬
ter hat sich bei uns die frühere französische Form der Adreßdebatte eingebür¬
gert. In der französischen Deputirtenkammer war die Adreßverhandlnng der
entscheidende Vorgang der ganzen Session. Bei der französischen Borliebe
für die Phrase war dies natürlich. Für uns wird es sich besser ziemen, das


Grenzboten I. 1662. ^ 25

zelnen Gesetzes ein Pairsschnb vorgenommen wird, so gewöhnt man sich da¬
ran, das Herrenhaus, weiches seinem Beruf nach ein Hort der conservativen
Principien sein so», als ein Spielzeug in der Hand der jedesmaligen Ne¬
gierung zu betrachten. Wer die Befestigung der bürgerlichen Freiheit mit
Einsicht erstrebt, der wird in unserem Oberhaus lieber das englische Haus
der Lords, als die frühere französische Pairskannner nachgeahmt sehen. Allein
gerade um einen häufig wiederholten Pairsschnb zu vermeiden, maß man sich
für ein einziges Mal zu einem großen Pairsschub entschließen. Um diese mon¬
ströseste Schöpfung der Reactionszeit zu beseitigen, ist ein energisches Mittel
nothwendig. Wenn die Regierung einen Gesetzentwurf über eine andere ver¬
ständigere .Zusammensetzung des Oberhauses einbringt, und zugleich durch
einen großen Pairsschub trat ne>e sich eine Majorität verschafft, damit das
Herrenhaus sich selbst ans legale Weise das Toöesurtheil sprechen könne, dann
sind wie mit einem Schlage alle inneren Schwierigkeiten beseitigt. Das wäre
eine Maßregel, »angemessen dem Ernst der Zeit, von dem die Thronrede
spricht.

Statt dessen beschäftigen wir uns hier mit der Fractionsbildung und
mit der Adreßfrage. Die Fractionsbildung hat sich ungefähr so gestaltet, wie
ich es schon vor vierzehn Tagen vorhergesagt habe. Die früheren Mitglieder
der constitutionellen Partei haben sich nickt vollständig wieder zu einer Frac-
tion zusammen gefunden. Die mehr ministerielle, oder wie es jetzt heißt
»gouvernementale" Mehrheit der Partei ist in der Fraction Grabow vereinigt,
und bildet jetzt die rechte Seite der liberalen Majorität des Hauses. Ein
Theil der früheren Genossen dieser Partei hat sich unter Harkort und Stavcn-
Hagen abgesondert; ohne ein verschiedenes Programm aufzustellen, wollen, diese
doch sich eine größere Unabhängigkeit bewahren. Andrerseits wird durch die
deutsche Fortschrittspartei die linke Seite der liberalen Majorität gebildet.
Aber auch von dieser Fraction hat sich ein Theil, der etwas mehr rechts
nüancirt ist, nnter Aßmann, Hinrichs. Techow abgesondert. Wir haben also
innerhalb der großen liberalen Mehrheit eine Rechte, eine Linke, ein rechtes
und ein linkes Centrum. Bei der Militärfragc wird die Rechte (Fraction
Grabow) zur Nachgiebigkeit geneigt sein, die Fortschrittspartei nicht; die Ent¬
scheidung wird also wahrscheinlich in der Hand der beiden Ccntrumfractionen
liegen.

Eine Adresse wird drcsmal wohl nicht erlassen werden. Sie könnte nichts
nützen. Wie die Sachen einmal liegen, würde sie nur unnöthig reizen. Lei¬
ter hat sich bei uns die frühere französische Form der Adreßdebatte eingebür¬
gert. In der französischen Deputirtenkammer war die Adreßverhandlnng der
entscheidende Vorgang der ganzen Session. Bei der französischen Borliebe
für die Phrase war dies natürlich. Für uns wird es sich besser ziemen, das


Grenzboten I. 1662. ^ 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113443"/>
          <p xml:id="ID_596" prev="#ID_595"> zelnen Gesetzes ein Pairsschnb vorgenommen wird, so gewöhnt man sich da¬<lb/>
ran, das Herrenhaus, weiches seinem Beruf nach ein Hort der conservativen<lb/>
Principien sein so», als ein Spielzeug in der Hand der jedesmaligen Ne¬<lb/>
gierung zu betrachten. Wer die Befestigung der bürgerlichen Freiheit mit<lb/>
Einsicht erstrebt, der wird in unserem Oberhaus lieber das englische Haus<lb/>
der Lords, als die frühere französische Pairskannner nachgeahmt sehen. Allein<lb/>
gerade um einen häufig wiederholten Pairsschnb zu vermeiden, maß man sich<lb/>
für ein einziges Mal zu einem großen Pairsschub entschließen. Um diese mon¬<lb/>
ströseste Schöpfung der Reactionszeit zu beseitigen, ist ein energisches Mittel<lb/>
nothwendig. Wenn die Regierung einen Gesetzentwurf über eine andere ver¬<lb/>
ständigere .Zusammensetzung des Oberhauses einbringt, und zugleich durch<lb/>
einen großen Pairsschub trat ne&gt;e sich eine Majorität verschafft, damit das<lb/>
Herrenhaus sich selbst ans legale Weise das Toöesurtheil sprechen könne, dann<lb/>
sind wie mit einem Schlage alle inneren Schwierigkeiten beseitigt. Das wäre<lb/>
eine Maßregel, »angemessen dem Ernst der Zeit, von dem die Thronrede<lb/>
spricht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_597"> Statt dessen beschäftigen wir uns hier mit der Fractionsbildung und<lb/>
mit der Adreßfrage. Die Fractionsbildung hat sich ungefähr so gestaltet, wie<lb/>
ich es schon vor vierzehn Tagen vorhergesagt habe. Die früheren Mitglieder<lb/>
der constitutionellen Partei haben sich nickt vollständig wieder zu einer Frac-<lb/>
tion zusammen gefunden. Die mehr ministerielle, oder wie es jetzt heißt<lb/>
»gouvernementale" Mehrheit der Partei ist in der Fraction Grabow vereinigt,<lb/>
und bildet jetzt die rechte Seite der liberalen Majorität des Hauses. Ein<lb/>
Theil der früheren Genossen dieser Partei hat sich unter Harkort und Stavcn-<lb/>
Hagen abgesondert; ohne ein verschiedenes Programm aufzustellen, wollen, diese<lb/>
doch sich eine größere Unabhängigkeit bewahren. Andrerseits wird durch die<lb/>
deutsche Fortschrittspartei die linke Seite der liberalen Majorität gebildet.<lb/>
Aber auch von dieser Fraction hat sich ein Theil, der etwas mehr rechts<lb/>
nüancirt ist, nnter Aßmann, Hinrichs. Techow abgesondert. Wir haben also<lb/>
innerhalb der großen liberalen Mehrheit eine Rechte, eine Linke, ein rechtes<lb/>
und ein linkes Centrum. Bei der Militärfragc wird die Rechte (Fraction<lb/>
Grabow) zur Nachgiebigkeit geneigt sein, die Fortschrittspartei nicht; die Ent¬<lb/>
scheidung wird also wahrscheinlich in der Hand der beiden Ccntrumfractionen<lb/>
liegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_598" next="#ID_599"> Eine Adresse wird drcsmal wohl nicht erlassen werden. Sie könnte nichts<lb/>
nützen. Wie die Sachen einmal liegen, würde sie nur unnöthig reizen. Lei¬<lb/>
ter hat sich bei uns die frühere französische Form der Adreßdebatte eingebür¬<lb/>
gert. In der französischen Deputirtenkammer war die Adreßverhandlnng der<lb/>
entscheidende Vorgang der ganzen Session. Bei der französischen Borliebe<lb/>
für die Phrase war dies natürlich.  Für uns wird es sich besser ziemen, das</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1662. ^ 25</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0201] zelnen Gesetzes ein Pairsschnb vorgenommen wird, so gewöhnt man sich da¬ ran, das Herrenhaus, weiches seinem Beruf nach ein Hort der conservativen Principien sein so», als ein Spielzeug in der Hand der jedesmaligen Ne¬ gierung zu betrachten. Wer die Befestigung der bürgerlichen Freiheit mit Einsicht erstrebt, der wird in unserem Oberhaus lieber das englische Haus der Lords, als die frühere französische Pairskannner nachgeahmt sehen. Allein gerade um einen häufig wiederholten Pairsschnb zu vermeiden, maß man sich für ein einziges Mal zu einem großen Pairsschub entschließen. Um diese mon¬ ströseste Schöpfung der Reactionszeit zu beseitigen, ist ein energisches Mittel nothwendig. Wenn die Regierung einen Gesetzentwurf über eine andere ver¬ ständigere .Zusammensetzung des Oberhauses einbringt, und zugleich durch einen großen Pairsschub trat ne>e sich eine Majorität verschafft, damit das Herrenhaus sich selbst ans legale Weise das Toöesurtheil sprechen könne, dann sind wie mit einem Schlage alle inneren Schwierigkeiten beseitigt. Das wäre eine Maßregel, »angemessen dem Ernst der Zeit, von dem die Thronrede spricht. Statt dessen beschäftigen wir uns hier mit der Fractionsbildung und mit der Adreßfrage. Die Fractionsbildung hat sich ungefähr so gestaltet, wie ich es schon vor vierzehn Tagen vorhergesagt habe. Die früheren Mitglieder der constitutionellen Partei haben sich nickt vollständig wieder zu einer Frac- tion zusammen gefunden. Die mehr ministerielle, oder wie es jetzt heißt »gouvernementale" Mehrheit der Partei ist in der Fraction Grabow vereinigt, und bildet jetzt die rechte Seite der liberalen Majorität des Hauses. Ein Theil der früheren Genossen dieser Partei hat sich unter Harkort und Stavcn- Hagen abgesondert; ohne ein verschiedenes Programm aufzustellen, wollen, diese doch sich eine größere Unabhängigkeit bewahren. Andrerseits wird durch die deutsche Fortschrittspartei die linke Seite der liberalen Majorität gebildet. Aber auch von dieser Fraction hat sich ein Theil, der etwas mehr rechts nüancirt ist, nnter Aßmann, Hinrichs. Techow abgesondert. Wir haben also innerhalb der großen liberalen Mehrheit eine Rechte, eine Linke, ein rechtes und ein linkes Centrum. Bei der Militärfragc wird die Rechte (Fraction Grabow) zur Nachgiebigkeit geneigt sein, die Fortschrittspartei nicht; die Ent¬ scheidung wird also wahrscheinlich in der Hand der beiden Ccntrumfractionen liegen. Eine Adresse wird drcsmal wohl nicht erlassen werden. Sie könnte nichts nützen. Wie die Sachen einmal liegen, würde sie nur unnöthig reizen. Lei¬ ter hat sich bei uns die frühere französische Form der Adreßdebatte eingebür¬ gert. In der französischen Deputirtenkammer war die Adreßverhandlnng der entscheidende Vorgang der ganzen Session. Bei der französischen Borliebe für die Phrase war dies natürlich. Für uns wird es sich besser ziemen, das Grenzboten I. 1662. ^ 25

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/201
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/201>, abgerufen am 12.05.2024.