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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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kein Freiheitsheld sein , der es stürzt, sondern einer, der sein Recht in seine
Faust legen wird. Und wie werden unter diesem die Russen sich wieder hei-
misch in ihrem Lande suhlen! Die Welt wird das Schauspiel reumüthiger
Bekehrung zum Gott der Väter, dem Despotismus erleben, sobald nur die
Faust sich findet, ihn tüchtig zu handhaben.

Aber mit der Freiheit läßt sich nicht spielen; sie wird den Despotismus
nie wieder seines Lebens froh werden lassen. Es war Verzweiflung an sich
selber, als er, keinen Ausweg mehr sehend, nach Erschöpfung aller Mittel, die
ihm zu Gebote standen, endlich zu demjenigen griff, das als tödtliches Gift
auf ihn wirken mußte. So wie die Zügel der Herrschaft in eine schwache
Hand übergehn, wird die Freiheit wieder ihr Haupt erheben. Das Signal
zu zersetzenden Kämpfen ist gegeben, die Continuität des despotischen Princips
gebrochen; Europa läßt sich nicht mehr wegdrängen aus Rußland. Der Sieg
wird wechseln, der Kampf selber aber ohne Zweifel zu einer allgemeinen Zer¬
rüttung des Reichs führen, vielleicht, ja wahrscheinlich zum Abfall großer Ge¬
bietstheile, die jetzt nur äußerlich der allgemeinen Uniformität sich gefügt ha¬
ben, wie das mit ganz Kleinrußland der Fall ist, wo sich unter scheinbarer
Ruhe der schärfste Antagonismus gegen das Großrussenthum verbirgt und wo
namentlich der religiöse Gegensatz entschieden hervortritt. Wollte Gott, daß
auch wir dann so weit wären, mit dem Moskowiter abrechnen zu können!
Wir haben viel alte und neue Unbill an ihm zu rächen, und es ist Manches
U. in seiner Hand, was dereinst unser war.




Mills Urtheil über den Kampf in den Bereinigten Staaten.

In einem der letzten Hefte von "^r^ors NaZ^ins" hat der berühmte
Philosophisch politische Schriftsteller John Stuart Mill sich über den Bürger¬
krieg in der nordamerikanischen Union ausgesprochen, und zwar entschieden zu
Gunsten des Nordens. Er hat dabei jedenfalls den größten Theil der Libe¬
ralen in England und ganz Europa und unter den Amerikanern Män¬
ner wie Emerson, Longfellow und Bryant auf seiner Seite. Er hat die
große Masse derer hinter sich, welche beklagen, daß in der Zerspaltung und
Schwächung der mächtigen Republik jenseits des Meeres ein Trost für die


Grenzboten I. 1862. 48

kein Freiheitsheld sein , der es stürzt, sondern einer, der sein Recht in seine
Faust legen wird. Und wie werden unter diesem die Russen sich wieder hei-
misch in ihrem Lande suhlen! Die Welt wird das Schauspiel reumüthiger
Bekehrung zum Gott der Väter, dem Despotismus erleben, sobald nur die
Faust sich findet, ihn tüchtig zu handhaben.

Aber mit der Freiheit läßt sich nicht spielen; sie wird den Despotismus
nie wieder seines Lebens froh werden lassen. Es war Verzweiflung an sich
selber, als er, keinen Ausweg mehr sehend, nach Erschöpfung aller Mittel, die
ihm zu Gebote standen, endlich zu demjenigen griff, das als tödtliches Gift
auf ihn wirken mußte. So wie die Zügel der Herrschaft in eine schwache
Hand übergehn, wird die Freiheit wieder ihr Haupt erheben. Das Signal
zu zersetzenden Kämpfen ist gegeben, die Continuität des despotischen Princips
gebrochen; Europa läßt sich nicht mehr wegdrängen aus Rußland. Der Sieg
wird wechseln, der Kampf selber aber ohne Zweifel zu einer allgemeinen Zer¬
rüttung des Reichs führen, vielleicht, ja wahrscheinlich zum Abfall großer Ge¬
bietstheile, die jetzt nur äußerlich der allgemeinen Uniformität sich gefügt ha¬
ben, wie das mit ganz Kleinrußland der Fall ist, wo sich unter scheinbarer
Ruhe der schärfste Antagonismus gegen das Großrussenthum verbirgt und wo
namentlich der religiöse Gegensatz entschieden hervortritt. Wollte Gott, daß
auch wir dann so weit wären, mit dem Moskowiter abrechnen zu können!
Wir haben viel alte und neue Unbill an ihm zu rächen, und es ist Manches
U. in seiner Hand, was dereinst unser war.




Mills Urtheil über den Kampf in den Bereinigten Staaten.

In einem der letzten Hefte von „^r^ors NaZ^ins" hat der berühmte
Philosophisch politische Schriftsteller John Stuart Mill sich über den Bürger¬
krieg in der nordamerikanischen Union ausgesprochen, und zwar entschieden zu
Gunsten des Nordens. Er hat dabei jedenfalls den größten Theil der Libe¬
ralen in England und ganz Europa und unter den Amerikanern Män¬
ner wie Emerson, Longfellow und Bryant auf seiner Seite. Er hat die
große Masse derer hinter sich, welche beklagen, daß in der Zerspaltung und
Schwächung der mächtigen Republik jenseits des Meeres ein Trost für die


Grenzboten I. 1862. 48
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[0385] kein Freiheitsheld sein , der es stürzt, sondern einer, der sein Recht in seine Faust legen wird. Und wie werden unter diesem die Russen sich wieder hei- misch in ihrem Lande suhlen! Die Welt wird das Schauspiel reumüthiger Bekehrung zum Gott der Väter, dem Despotismus erleben, sobald nur die Faust sich findet, ihn tüchtig zu handhaben. Aber mit der Freiheit läßt sich nicht spielen; sie wird den Despotismus nie wieder seines Lebens froh werden lassen. Es war Verzweiflung an sich selber, als er, keinen Ausweg mehr sehend, nach Erschöpfung aller Mittel, die ihm zu Gebote standen, endlich zu demjenigen griff, das als tödtliches Gift auf ihn wirken mußte. So wie die Zügel der Herrschaft in eine schwache Hand übergehn, wird die Freiheit wieder ihr Haupt erheben. Das Signal zu zersetzenden Kämpfen ist gegeben, die Continuität des despotischen Princips gebrochen; Europa läßt sich nicht mehr wegdrängen aus Rußland. Der Sieg wird wechseln, der Kampf selber aber ohne Zweifel zu einer allgemeinen Zer¬ rüttung des Reichs führen, vielleicht, ja wahrscheinlich zum Abfall großer Ge¬ bietstheile, die jetzt nur äußerlich der allgemeinen Uniformität sich gefügt ha¬ ben, wie das mit ganz Kleinrußland der Fall ist, wo sich unter scheinbarer Ruhe der schärfste Antagonismus gegen das Großrussenthum verbirgt und wo namentlich der religiöse Gegensatz entschieden hervortritt. Wollte Gott, daß auch wir dann so weit wären, mit dem Moskowiter abrechnen zu können! Wir haben viel alte und neue Unbill an ihm zu rächen, und es ist Manches U. in seiner Hand, was dereinst unser war. Mills Urtheil über den Kampf in den Bereinigten Staaten. In einem der letzten Hefte von „^r^ors NaZ^ins" hat der berühmte Philosophisch politische Schriftsteller John Stuart Mill sich über den Bürger¬ krieg in der nordamerikanischen Union ausgesprochen, und zwar entschieden zu Gunsten des Nordens. Er hat dabei jedenfalls den größten Theil der Libe¬ ralen in England und ganz Europa und unter den Amerikanern Män¬ ner wie Emerson, Longfellow und Bryant auf seiner Seite. Er hat die große Masse derer hinter sich, welche beklagen, daß in der Zerspaltung und Schwächung der mächtigen Republik jenseits des Meeres ein Trost für die Grenzboten I. 1862. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/385>, abgerufen am 28.04.2024.