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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Die Resmimtinn in EiuMd.

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5"nos ^ntlionz^ I?i-on6<z. Vol. I. II. I^ixniiz, I^roolib-ruf 1861.

In der großen auf Emancipation von den Fesseln der römischen Kirche
gerichteten Bewegung, welche im sechzehnten Jahrhundert Europa erfüllt, nimmt
England eine eben so eigenthümliche wie in ihren Folgen bedeutende Stel¬
lung ein. Welche Verschiedenheit und doch zugleich welche tiefe innere Ana¬
logie zeigt sich zwischen der deutschen Reformation und dem Schisma, welches
unter Heinrich dem Achten England von der römischen Kirche trennte! In
Deutschland ging die Reformation unmittelbar aus den sittlich-religiösen Be¬
dürfnissen des Volkes hervor; die Bewegung erscheint zusammengefaßt in der
Persönlichkeit eines gewaltigen Mannes, der den dunkelen Ahnungen des Vol¬
kes Ausdruck gibt und die ganze Nation mächtig in seine Bahnen mit sich
fortreißt; die Reform muß sich gegen den Willen der legalen Reichsgewalt
Bahn brechen und wird dadurch von vornherein eine Sache der populären
Opposition, der Protestation; endlich in Deutschland geht die Reform von
Anfang an mehr auf das Dogma, als auf die Verfassung der Kirche. Ganz
anders in England, Hier war die Bewegung in ihrem Beginn juridisch-
kanonistisch; den populäre" Kundgebungen war sie soweit als möglich ent¬
zogen; dnrch übereinstimmenden Beschluß des Königs und des Parlaments
wurden die einzelnen Schritte vollzogen, durch welche sich England vom Papst¬
thum loslöste; endlich in England geht die Bewegung zu Anfang nicht
auf das Dogma, sondern auf die Verfassung der Kirche. Der Gedanke Hein¬
rich's des Achten war. die päpstliche Einwirkung zu entfernen, dagegen die
katholischen Doctrinen, wie sie vorlagen, zu behaupten.

Dieser Gedanke aber enthält einen geschichtlichen Widerspruch. Unter
dem Einfluß des Papstthums war die katholische Doctrin ausgebildet; sie war
mit ihm unauflöslich verwachsen. Vom Papstthum abzufallen und das
katholische Dogma in seiner Reinheit zu behaupten war unmöglich. Schon
unter Heinrich dem Achten bildeten sich zwei Parteien, von denen die eine
danach strebte, die Herrschaft des Papstes wiederherzustellen, die andere auf


Grenzboten I. 1862. 56
Die Resmimtinn in EiuMd.

Ilistoi^ ok ^nglanä kron tbs kalt ok >VoIso^ to elf cikiitli ok Kli^abstb,
5»nos ^ntlionz^ I?i-on6<z. Vol. I. II. I^ixniiz, I^roolib-ruf 1861.

In der großen auf Emancipation von den Fesseln der römischen Kirche
gerichteten Bewegung, welche im sechzehnten Jahrhundert Europa erfüllt, nimmt
England eine eben so eigenthümliche wie in ihren Folgen bedeutende Stel¬
lung ein. Welche Verschiedenheit und doch zugleich welche tiefe innere Ana¬
logie zeigt sich zwischen der deutschen Reformation und dem Schisma, welches
unter Heinrich dem Achten England von der römischen Kirche trennte! In
Deutschland ging die Reformation unmittelbar aus den sittlich-religiösen Be¬
dürfnissen des Volkes hervor; die Bewegung erscheint zusammengefaßt in der
Persönlichkeit eines gewaltigen Mannes, der den dunkelen Ahnungen des Vol¬
kes Ausdruck gibt und die ganze Nation mächtig in seine Bahnen mit sich
fortreißt; die Reform muß sich gegen den Willen der legalen Reichsgewalt
Bahn brechen und wird dadurch von vornherein eine Sache der populären
Opposition, der Protestation; endlich in Deutschland geht die Reform von
Anfang an mehr auf das Dogma, als auf die Verfassung der Kirche. Ganz
anders in England, Hier war die Bewegung in ihrem Beginn juridisch-
kanonistisch; den populäre» Kundgebungen war sie soweit als möglich ent¬
zogen; dnrch übereinstimmenden Beschluß des Königs und des Parlaments
wurden die einzelnen Schritte vollzogen, durch welche sich England vom Papst¬
thum loslöste; endlich in England geht die Bewegung zu Anfang nicht
auf das Dogma, sondern auf die Verfassung der Kirche. Der Gedanke Hein¬
rich's des Achten war. die päpstliche Einwirkung zu entfernen, dagegen die
katholischen Doctrinen, wie sie vorlagen, zu behaupten.

Dieser Gedanke aber enthält einen geschichtlichen Widerspruch. Unter
dem Einfluß des Papstthums war die katholische Doctrin ausgebildet; sie war
mit ihm unauflöslich verwachsen. Vom Papstthum abzufallen und das
katholische Dogma in seiner Reinheit zu behaupten war unmöglich. Schon
unter Heinrich dem Achten bildeten sich zwei Parteien, von denen die eine
danach strebte, die Herrschaft des Papstes wiederherzustellen, die andere auf


Grenzboten I. 1862. 56
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[0449] Die Resmimtinn in EiuMd. Ilistoi^ ok ^nglanä kron tbs kalt ok >VoIso^ to elf cikiitli ok Kli^abstb, 5»nos ^ntlionz^ I?i-on6<z. Vol. I. II. I^ixniiz, I^roolib-ruf 1861. In der großen auf Emancipation von den Fesseln der römischen Kirche gerichteten Bewegung, welche im sechzehnten Jahrhundert Europa erfüllt, nimmt England eine eben so eigenthümliche wie in ihren Folgen bedeutende Stel¬ lung ein. Welche Verschiedenheit und doch zugleich welche tiefe innere Ana¬ logie zeigt sich zwischen der deutschen Reformation und dem Schisma, welches unter Heinrich dem Achten England von der römischen Kirche trennte! In Deutschland ging die Reformation unmittelbar aus den sittlich-religiösen Be¬ dürfnissen des Volkes hervor; die Bewegung erscheint zusammengefaßt in der Persönlichkeit eines gewaltigen Mannes, der den dunkelen Ahnungen des Vol¬ kes Ausdruck gibt und die ganze Nation mächtig in seine Bahnen mit sich fortreißt; die Reform muß sich gegen den Willen der legalen Reichsgewalt Bahn brechen und wird dadurch von vornherein eine Sache der populären Opposition, der Protestation; endlich in Deutschland geht die Reform von Anfang an mehr auf das Dogma, als auf die Verfassung der Kirche. Ganz anders in England, Hier war die Bewegung in ihrem Beginn juridisch- kanonistisch; den populäre» Kundgebungen war sie soweit als möglich ent¬ zogen; dnrch übereinstimmenden Beschluß des Königs und des Parlaments wurden die einzelnen Schritte vollzogen, durch welche sich England vom Papst¬ thum loslöste; endlich in England geht die Bewegung zu Anfang nicht auf das Dogma, sondern auf die Verfassung der Kirche. Der Gedanke Hein¬ rich's des Achten war. die päpstliche Einwirkung zu entfernen, dagegen die katholischen Doctrinen, wie sie vorlagen, zu behaupten. Dieser Gedanke aber enthält einen geschichtlichen Widerspruch. Unter dem Einfluß des Papstthums war die katholische Doctrin ausgebildet; sie war mit ihm unauflöslich verwachsen. Vom Papstthum abzufallen und das katholische Dogma in seiner Reinheit zu behaupten war unmöglich. Schon unter Heinrich dem Achten bildeten sich zwei Parteien, von denen die eine danach strebte, die Herrschaft des Papstes wiederherzustellen, die andere auf Grenzboten I. 1862. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/449>, abgerufen am 28.04.2024.