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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Der Tag der Wahlen.

Der erste Tag der Wahlen in Preußen ist vorüber. In einer gehobenen Stim¬
mung hat da"! preußische Volk seine Wahlmänner bestimmt. In allen Kreisen, so¬
weit politisches Urtheil in sie hineinreicht, war die Ueberzeugung lebendig,, daß die
Stunde gekommen sei, wo der Preuße sich als mündig zu erweisen habe. Wie groß
die Bewegung ist. welche an diesem Tage durch ganz Deutschland ging, vermochten
auch wir in Leipzig zu erkennen. Die große Messe hatte begonnen, zwingend waren
die Interessen, welche auch die preußischen Kaufleute und Fabrikanten am 28ten bier¬
herriefen. Die Mehrzahl von ihnen erklärte, daß sie zuvor ihrer Wahlpflicht genügen
werde. Placate hatten das hier an den Straßenecken verkündet; an" nicht preußi¬
schen Meßbesuchern hatte sich el" Comite gebildet, den Preußen dieses Opfer zu er¬
leichtern. Auch in Leipzig ruhte ein großer Theil des Geschäftsverkehrs am 28. April,.
zum Theil aus Courtoisie gegen die preußischen Landsleute, von vielen Fremden und
Einheimischen wurde der Tag wie ein Festtag begangen. Als nach der Wahl am
Abend ein großer Bahnzug die preußischen Geschäftsleute vou Berlin herführte,
fanden die Reisenden schon auf dem Wege an allen Stationen Schnuren von Men¬
schen, welche sie fröhlich begrüßten, anredeten und ihren Dank aussprachen. Als der
Zug um Mitternacht hier ankam, waren zu der späten Stunde auf dem weit ab¬
liegenden Bahnhöfe mehrere Tausend Menschen zur Begrüßung der Preußen ver¬
sammelt, auch hier wurden die Ankommenden mit Zuruf und feierlicher Anrede
empfangen. Und die hier um Mitternacht hinausgegangen waren, die Fremden zu
erwarten, das war kein zusammengelaufener Haufe der Straßen. Ernsthaft und
elnbar wie die Mäuner, welche kamen, standen auch die Tausende, welche der Preußen
harrten. Es war eine männliche Empfindung in Allen, welche wenig Worte bedürfte,
sich zu Äußern; man verstand einander mit einem Händedruck und kurzen Gruß.

Wahrlich, es ist ein gutes und tüchtiges Volk, welches jetzt seine Kraft in den
großen politischen Fragen seines Staates zusammenfaßt. Und es ist eine schiefe
und gefährliche Lage, in welche die preußische Regierung seit dem 14. v. M. gekommen
ist. Sie hat es nicht mit einer tumultuirenden Masse zu thun, sondern sie ist in
Kampf getreten mit dein Kern des eigenen Volkes. Was war es doch, was den
Kaufmann, dem man zutraut, daß er ungern Geschäft und Gewinn versäume, von
seinem Markte fernhielt? Was war es doch, was auch die kleinen Wähler der
Städte so zahlreich zu der Wahlurne trieb, was die Ermahnungen übereifriger
Landräthe, herrschlustiger Gutsherren unwirksam machte? Was gab doch dem preu¬
ßischen Volt in diesem Tage die Wärme, das fröhliche Selbstvertrauen, den festen
Entschluß des Widerstandes. Was hat die ungeheure Majorität der Städter,
einen großen Theil der Landleute zu eifrigen Kämpfern für die nationale Partei ge¬
macht? Die Wahlerlasse des Ministeriums, die ungeschickte Drohung, welche dem Volk
in der Phrase "Königthum oder Demokratie" entgegengeworfen wurde. Es
wckr das verletzte Rechtsgefühl der Preußen, welches die Wahlen so geleitet hat.


Der Tag der Wahlen.

Der erste Tag der Wahlen in Preußen ist vorüber. In einer gehobenen Stim¬
mung hat da«! preußische Volk seine Wahlmänner bestimmt. In allen Kreisen, so¬
weit politisches Urtheil in sie hineinreicht, war die Ueberzeugung lebendig,, daß die
Stunde gekommen sei, wo der Preuße sich als mündig zu erweisen habe. Wie groß
die Bewegung ist. welche an diesem Tage durch ganz Deutschland ging, vermochten
auch wir in Leipzig zu erkennen. Die große Messe hatte begonnen, zwingend waren
die Interessen, welche auch die preußischen Kaufleute und Fabrikanten am 28ten bier¬
herriefen. Die Mehrzahl von ihnen erklärte, daß sie zuvor ihrer Wahlpflicht genügen
werde. Placate hatten das hier an den Straßenecken verkündet; an« nicht preußi¬
schen Meßbesuchern hatte sich el» Comite gebildet, den Preußen dieses Opfer zu er¬
leichtern. Auch in Leipzig ruhte ein großer Theil des Geschäftsverkehrs am 28. April,.
zum Theil aus Courtoisie gegen die preußischen Landsleute, von vielen Fremden und
Einheimischen wurde der Tag wie ein Festtag begangen. Als nach der Wahl am
Abend ein großer Bahnzug die preußischen Geschäftsleute vou Berlin herführte,
fanden die Reisenden schon auf dem Wege an allen Stationen Schnuren von Men¬
schen, welche sie fröhlich begrüßten, anredeten und ihren Dank aussprachen. Als der
Zug um Mitternacht hier ankam, waren zu der späten Stunde auf dem weit ab¬
liegenden Bahnhöfe mehrere Tausend Menschen zur Begrüßung der Preußen ver¬
sammelt, auch hier wurden die Ankommenden mit Zuruf und feierlicher Anrede
empfangen. Und die hier um Mitternacht hinausgegangen waren, die Fremden zu
erwarten, das war kein zusammengelaufener Haufe der Straßen. Ernsthaft und
elnbar wie die Mäuner, welche kamen, standen auch die Tausende, welche der Preußen
harrten. Es war eine männliche Empfindung in Allen, welche wenig Worte bedürfte,
sich zu Äußern; man verstand einander mit einem Händedruck und kurzen Gruß.

Wahrlich, es ist ein gutes und tüchtiges Volk, welches jetzt seine Kraft in den
großen politischen Fragen seines Staates zusammenfaßt. Und es ist eine schiefe
und gefährliche Lage, in welche die preußische Regierung seit dem 14. v. M. gekommen
ist. Sie hat es nicht mit einer tumultuirenden Masse zu thun, sondern sie ist in
Kampf getreten mit dein Kern des eigenen Volkes. Was war es doch, was den
Kaufmann, dem man zutraut, daß er ungern Geschäft und Gewinn versäume, von
seinem Markte fernhielt? Was war es doch, was auch die kleinen Wähler der
Städte so zahlreich zu der Wahlurne trieb, was die Ermahnungen übereifriger
Landräthe, herrschlustiger Gutsherren unwirksam machte? Was gab doch dem preu¬
ßischen Volt in diesem Tage die Wärme, das fröhliche Selbstvertrauen, den festen
Entschluß des Widerstandes. Was hat die ungeheure Majorität der Städter,
einen großen Theil der Landleute zu eifrigen Kämpfern für die nationale Partei ge¬
macht? Die Wahlerlasse des Ministeriums, die ungeschickte Drohung, welche dem Volk
in der Phrase „Königthum oder Demokratie" entgegengeworfen wurde. Es
wckr das verletzte Rechtsgefühl der Preußen, welches die Wahlen so geleitet hat.


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[0242] Der Tag der Wahlen. Der erste Tag der Wahlen in Preußen ist vorüber. In einer gehobenen Stim¬ mung hat da«! preußische Volk seine Wahlmänner bestimmt. In allen Kreisen, so¬ weit politisches Urtheil in sie hineinreicht, war die Ueberzeugung lebendig,, daß die Stunde gekommen sei, wo der Preuße sich als mündig zu erweisen habe. Wie groß die Bewegung ist. welche an diesem Tage durch ganz Deutschland ging, vermochten auch wir in Leipzig zu erkennen. Die große Messe hatte begonnen, zwingend waren die Interessen, welche auch die preußischen Kaufleute und Fabrikanten am 28ten bier¬ herriefen. Die Mehrzahl von ihnen erklärte, daß sie zuvor ihrer Wahlpflicht genügen werde. Placate hatten das hier an den Straßenecken verkündet; an« nicht preußi¬ schen Meßbesuchern hatte sich el» Comite gebildet, den Preußen dieses Opfer zu er¬ leichtern. Auch in Leipzig ruhte ein großer Theil des Geschäftsverkehrs am 28. April,. zum Theil aus Courtoisie gegen die preußischen Landsleute, von vielen Fremden und Einheimischen wurde der Tag wie ein Festtag begangen. Als nach der Wahl am Abend ein großer Bahnzug die preußischen Geschäftsleute vou Berlin herführte, fanden die Reisenden schon auf dem Wege an allen Stationen Schnuren von Men¬ schen, welche sie fröhlich begrüßten, anredeten und ihren Dank aussprachen. Als der Zug um Mitternacht hier ankam, waren zu der späten Stunde auf dem weit ab¬ liegenden Bahnhöfe mehrere Tausend Menschen zur Begrüßung der Preußen ver¬ sammelt, auch hier wurden die Ankommenden mit Zuruf und feierlicher Anrede empfangen. Und die hier um Mitternacht hinausgegangen waren, die Fremden zu erwarten, das war kein zusammengelaufener Haufe der Straßen. Ernsthaft und elnbar wie die Mäuner, welche kamen, standen auch die Tausende, welche der Preußen harrten. Es war eine männliche Empfindung in Allen, welche wenig Worte bedürfte, sich zu Äußern; man verstand einander mit einem Händedruck und kurzen Gruß. Wahrlich, es ist ein gutes und tüchtiges Volk, welches jetzt seine Kraft in den großen politischen Fragen seines Staates zusammenfaßt. Und es ist eine schiefe und gefährliche Lage, in welche die preußische Regierung seit dem 14. v. M. gekommen ist. Sie hat es nicht mit einer tumultuirenden Masse zu thun, sondern sie ist in Kampf getreten mit dein Kern des eigenen Volkes. Was war es doch, was den Kaufmann, dem man zutraut, daß er ungern Geschäft und Gewinn versäume, von seinem Markte fernhielt? Was war es doch, was auch die kleinen Wähler der Städte so zahlreich zu der Wahlurne trieb, was die Ermahnungen übereifriger Landräthe, herrschlustiger Gutsherren unwirksam machte? Was gab doch dem preu¬ ßischen Volt in diesem Tage die Wärme, das fröhliche Selbstvertrauen, den festen Entschluß des Widerstandes. Was hat die ungeheure Majorität der Städter, einen großen Theil der Landleute zu eifrigen Kämpfern für die nationale Partei ge¬ macht? Die Wahlerlasse des Ministeriums, die ungeschickte Drohung, welche dem Volk in der Phrase „Königthum oder Demokratie" entgegengeworfen wurde. Es wckr das verletzte Rechtsgefühl der Preußen, welches die Wahlen so geleitet hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/242>, abgerufen am 02.05.2024.