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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Die neueste deutsche Kunst.
i.
Die Ausstellungen. Ein Wort über die Sculptur. Die neueste
religiöse Malerei und die Kunstbildung.

Es kaum in unserer Zeit nicht befremden, daß die bildende Kunst selber
fein Mittel unversucht läßt, sich als ein geschlossenes Ganze, das in frischer
Entwicklung begriffen ist, dem Publicum immer wieder .vorzuführen, daß sie
"Historische Kunstausstellungen" veranstaltet. Sie will zeigen, daß sie, gleich
den anderen Formen des Lebens, hinter dem raschen Gange des Jahrhunderts
nicht zurückbleibt und daß sie dessen Inhalt und Anschauungen in ihrer Weise
zum Ausdruck bringt. Sie will sehen, welches Verhältniß die verschiedenen
Schulen und Meister zu einander einnehmen, sie will des geschichtlichen Zu¬
sammenhangs und ihrer Fortschritte gewiß werden; vielleicht auch aus dem
Allem sich fruchtbare Schlüsse für die Zukunft ziehen. Sie gewinnt sich also
aus den großen Ausstellungen einen doppelten Vortheil: sie belebt und bildet
das Kunstinteresse des Publicums, sie wird sich über ihre eigene Production
klar und findet wohl, indem sie ihr Schaffen beleuchtet, den Weg, den sie zu
gehen hat, leichter und sicherer.

Freilich, in den großen Kunstepochen bedürfte der Künstler der Fühlung
dessen nicht, was im Wesen der Zeit läge und ihm selber frommte: ebensowenig
als das Publicum einer besonderen Anregung zum ästhetischen Genuß bedürfte.
Der Bildner, Maler, Dichter trug das künstlerische Gesetz des Jahrhunderts
in seiner eigenen Brust, und er vollzog es, ohne sich dessen bewußt zu sein.
Nicht, daß er blind in den Tag hineingearbeitet hätte; mit der Naivetät des
Schaffens war die Selbstbesinnung bei der Ausführung verbunden, schon ein
Lasos schrieb über die Theorie der Musik, ein Sophokles über den tragischen
Chor, die alten Maler über ihre Kunst. Aber ein Anderes ist es, innerhalb
der künstlerischen Thätigkeit sich besonnen über die Mittel und Weise der Dar¬
stellung Rechenschaft geben, ein Anderes, den zeitgemäßen Inhalt und die
Form des Schaffens mit dem Bewufiscin finden wollen. Indessen ganz so weit
sind glücklicherweise unsere Künstler noch nicht, wenn auch Einzelne vor der
Leinwand sich überlegen, was wohl Neues zu machen wäre, das zugleich den
Charakter der Zeit träfe, und wie durch eine frappante Erscheinungsweise ein
neuer Reiz zu erreichen sei; wenn auch der Antwerpener Kongreß sich mit
Fragen beschäftigte, die in das Bereich des Künstlers ein für allemal nicht


Die neueste deutsche Kunst.
i.
Die Ausstellungen. Ein Wort über die Sculptur. Die neueste
religiöse Malerei und die Kunstbildung.

Es kaum in unserer Zeit nicht befremden, daß die bildende Kunst selber
fein Mittel unversucht läßt, sich als ein geschlossenes Ganze, das in frischer
Entwicklung begriffen ist, dem Publicum immer wieder .vorzuführen, daß sie
„Historische Kunstausstellungen" veranstaltet. Sie will zeigen, daß sie, gleich
den anderen Formen des Lebens, hinter dem raschen Gange des Jahrhunderts
nicht zurückbleibt und daß sie dessen Inhalt und Anschauungen in ihrer Weise
zum Ausdruck bringt. Sie will sehen, welches Verhältniß die verschiedenen
Schulen und Meister zu einander einnehmen, sie will des geschichtlichen Zu¬
sammenhangs und ihrer Fortschritte gewiß werden; vielleicht auch aus dem
Allem sich fruchtbare Schlüsse für die Zukunft ziehen. Sie gewinnt sich also
aus den großen Ausstellungen einen doppelten Vortheil: sie belebt und bildet
das Kunstinteresse des Publicums, sie wird sich über ihre eigene Production
klar und findet wohl, indem sie ihr Schaffen beleuchtet, den Weg, den sie zu
gehen hat, leichter und sicherer.

Freilich, in den großen Kunstepochen bedürfte der Künstler der Fühlung
dessen nicht, was im Wesen der Zeit läge und ihm selber frommte: ebensowenig
als das Publicum einer besonderen Anregung zum ästhetischen Genuß bedürfte.
Der Bildner, Maler, Dichter trug das künstlerische Gesetz des Jahrhunderts
in seiner eigenen Brust, und er vollzog es, ohne sich dessen bewußt zu sein.
Nicht, daß er blind in den Tag hineingearbeitet hätte; mit der Naivetät des
Schaffens war die Selbstbesinnung bei der Ausführung verbunden, schon ein
Lasos schrieb über die Theorie der Musik, ein Sophokles über den tragischen
Chor, die alten Maler über ihre Kunst. Aber ein Anderes ist es, innerhalb
der künstlerischen Thätigkeit sich besonnen über die Mittel und Weise der Dar¬
stellung Rechenschaft geben, ein Anderes, den zeitgemäßen Inhalt und die
Form des Schaffens mit dem Bewufiscin finden wollen. Indessen ganz so weit
sind glücklicherweise unsere Künstler noch nicht, wenn auch Einzelne vor der
Leinwand sich überlegen, was wohl Neues zu machen wäre, das zugleich den
Charakter der Zeit träfe, und wie durch eine frappante Erscheinungsweise ein
neuer Reiz zu erreichen sei; wenn auch der Antwerpener Kongreß sich mit
Fragen beschäftigte, die in das Bereich des Künstlers ein für allemal nicht


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[0096] Die neueste deutsche Kunst. i. Die Ausstellungen. Ein Wort über die Sculptur. Die neueste religiöse Malerei und die Kunstbildung. Es kaum in unserer Zeit nicht befremden, daß die bildende Kunst selber fein Mittel unversucht läßt, sich als ein geschlossenes Ganze, das in frischer Entwicklung begriffen ist, dem Publicum immer wieder .vorzuführen, daß sie „Historische Kunstausstellungen" veranstaltet. Sie will zeigen, daß sie, gleich den anderen Formen des Lebens, hinter dem raschen Gange des Jahrhunderts nicht zurückbleibt und daß sie dessen Inhalt und Anschauungen in ihrer Weise zum Ausdruck bringt. Sie will sehen, welches Verhältniß die verschiedenen Schulen und Meister zu einander einnehmen, sie will des geschichtlichen Zu¬ sammenhangs und ihrer Fortschritte gewiß werden; vielleicht auch aus dem Allem sich fruchtbare Schlüsse für die Zukunft ziehen. Sie gewinnt sich also aus den großen Ausstellungen einen doppelten Vortheil: sie belebt und bildet das Kunstinteresse des Publicums, sie wird sich über ihre eigene Production klar und findet wohl, indem sie ihr Schaffen beleuchtet, den Weg, den sie zu gehen hat, leichter und sicherer. Freilich, in den großen Kunstepochen bedürfte der Künstler der Fühlung dessen nicht, was im Wesen der Zeit läge und ihm selber frommte: ebensowenig als das Publicum einer besonderen Anregung zum ästhetischen Genuß bedürfte. Der Bildner, Maler, Dichter trug das künstlerische Gesetz des Jahrhunderts in seiner eigenen Brust, und er vollzog es, ohne sich dessen bewußt zu sein. Nicht, daß er blind in den Tag hineingearbeitet hätte; mit der Naivetät des Schaffens war die Selbstbesinnung bei der Ausführung verbunden, schon ein Lasos schrieb über die Theorie der Musik, ein Sophokles über den tragischen Chor, die alten Maler über ihre Kunst. Aber ein Anderes ist es, innerhalb der künstlerischen Thätigkeit sich besonnen über die Mittel und Weise der Dar¬ stellung Rechenschaft geben, ein Anderes, den zeitgemäßen Inhalt und die Form des Schaffens mit dem Bewufiscin finden wollen. Indessen ganz so weit sind glücklicherweise unsere Künstler noch nicht, wenn auch Einzelne vor der Leinwand sich überlegen, was wohl Neues zu machen wäre, das zugleich den Charakter der Zeit träfe, und wie durch eine frappante Erscheinungsweise ein neuer Reiz zu erreichen sei; wenn auch der Antwerpener Kongreß sich mit Fragen beschäftigte, die in das Bereich des Künstlers ein für allemal nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/96>, abgerufen am 15.05.2024.