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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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gehören. In der That, es ist in der Kunstgeschichte neu, daß die Bildner und
Maler sich berathen, wie die monumentale Kunst die Elemente eines neuen,
dem Zeitalter eigenthümlichen Styls finden, wie sie in ihren Erzeugnissen ein
Symbol der jeweiligen Denkweise geben könne; das heißt ungefähr ebensoviel,
als das Kind, das noch nicht da ist, über die Taufe halten, oder vielmehr die
Rolle eines Wagner übernehmen, der mittelst Kolben -und Retorten einen
Homunculus zur Welt bringen will. Man überlasse doch der Kritik das trau¬
rige Geschäft der kunstarmcn Zeit durch allerlei Borschläge unter die Arme zu
greifen, wenn nun wirklich der Fluß des Schaffens versiegt ist und der Künst¬
ler rathlos steht. Dieser wenigstens quäle sich nicht ab, für die entleerte Phan¬
tasie einen neuen Inhalt zu finden, für die dürftige Welt der Erscheinung ein
neues Gewand zusammenzusuchen. Es konnte nicht fehlen, daß jene Berathungen
unschuldige Versuche blieben, und es ist gut, daß sie es blieben.

Aber allerdings, günstig ist das Jahrhundert dem Künstler nicht. Es
bringt ihm den Inhalt seiner Vorstellungen nicht in einer Form entgegen,
die leicht in die Phantasie einginge und der bildenden Hand sich fügte.
Schreiber dieses hat bei Gelegenheit >der französischen Kunst (Ur. 36 des Jahr¬
ganges 1361 der Grenzboten) das Verhältniß des Zeitalters zur bildenden
Kunst erörtert, was diese Gutes von jenem, was sie Schlimmes erfährt, und
kommt hier nicht darauf zurück. Alles, das ganze weite Bereich des vergangenen
und gegenwärtigen Daseins ist zum Stoff für den Künstler geworden, aber
nur um so seltener ist der eigentliche Stoff für die Kunst; die ganze Welt ist
zum Gegenstand des Bewußtseins aufgeklärt, aber ebendeshalb hat die Phan¬
tasie nirgends mehr ein ihr eigenthümliches Feld, sie empfängt die Dinge fast
nur noch aus zweiter Hand, nachdem sie das Gebiet des Verstandes passirt
haben. Man kann es daher der Kunst nicht verargen, wenn sie ebenfalls über
sich klar zu werden sucht, wenn sie nun gleichsam die Phantasie in die Zucht
des Verstandes nimmt. Die Ausstellungen sind das Product einer in der Kunst
heruntergekommenen Zeit, -- in regelmäßiger Wiederkehr sind sie zuerst in Frank¬
reich unter Ludwig dem Fünfzehnten gebräuchlich geworden; der Wetteifer,
den sie hervorrufen und die Einsicht, welche sie verschaffen, bieten eine Art
v.on Ersatz für den Mangel des schöpferischen Dranges, der unbewußt das
Rechte findet. Und es ist den Deutschen zum Guten anzurechnen, daß sie es
nicht sowohl auf den Wettkampf der bloßen Fertigkeit und neuer Reizmittel
abgesehen haben, als auf die ruhige Prüfung des Geleisteten und die allmälige
Vermittlung der verschiedenen Richtungen.

Nur versprach die Kölner Ausstellung mehr als sie hielt und als sie hat-
ten konnte, indem sie sich "für eine allgemeine deutsche und historische" aus-
gab. Es ist immer ein bedenkliches Ding, wenn die gegenwärtige Kunst sich
selber in den geschichtlichen Zusammenhang einzureihen und durch die Zu-


Grenzbotm II. let62. 12

gehören. In der That, es ist in der Kunstgeschichte neu, daß die Bildner und
Maler sich berathen, wie die monumentale Kunst die Elemente eines neuen,
dem Zeitalter eigenthümlichen Styls finden, wie sie in ihren Erzeugnissen ein
Symbol der jeweiligen Denkweise geben könne; das heißt ungefähr ebensoviel,
als das Kind, das noch nicht da ist, über die Taufe halten, oder vielmehr die
Rolle eines Wagner übernehmen, der mittelst Kolben -und Retorten einen
Homunculus zur Welt bringen will. Man überlasse doch der Kritik das trau¬
rige Geschäft der kunstarmcn Zeit durch allerlei Borschläge unter die Arme zu
greifen, wenn nun wirklich der Fluß des Schaffens versiegt ist und der Künst¬
ler rathlos steht. Dieser wenigstens quäle sich nicht ab, für die entleerte Phan¬
tasie einen neuen Inhalt zu finden, für die dürftige Welt der Erscheinung ein
neues Gewand zusammenzusuchen. Es konnte nicht fehlen, daß jene Berathungen
unschuldige Versuche blieben, und es ist gut, daß sie es blieben.

Aber allerdings, günstig ist das Jahrhundert dem Künstler nicht. Es
bringt ihm den Inhalt seiner Vorstellungen nicht in einer Form entgegen,
die leicht in die Phantasie einginge und der bildenden Hand sich fügte.
Schreiber dieses hat bei Gelegenheit >der französischen Kunst (Ur. 36 des Jahr¬
ganges 1361 der Grenzboten) das Verhältniß des Zeitalters zur bildenden
Kunst erörtert, was diese Gutes von jenem, was sie Schlimmes erfährt, und
kommt hier nicht darauf zurück. Alles, das ganze weite Bereich des vergangenen
und gegenwärtigen Daseins ist zum Stoff für den Künstler geworden, aber
nur um so seltener ist der eigentliche Stoff für die Kunst; die ganze Welt ist
zum Gegenstand des Bewußtseins aufgeklärt, aber ebendeshalb hat die Phan¬
tasie nirgends mehr ein ihr eigenthümliches Feld, sie empfängt die Dinge fast
nur noch aus zweiter Hand, nachdem sie das Gebiet des Verstandes passirt
haben. Man kann es daher der Kunst nicht verargen, wenn sie ebenfalls über
sich klar zu werden sucht, wenn sie nun gleichsam die Phantasie in die Zucht
des Verstandes nimmt. Die Ausstellungen sind das Product einer in der Kunst
heruntergekommenen Zeit, — in regelmäßiger Wiederkehr sind sie zuerst in Frank¬
reich unter Ludwig dem Fünfzehnten gebräuchlich geworden; der Wetteifer,
den sie hervorrufen und die Einsicht, welche sie verschaffen, bieten eine Art
v.on Ersatz für den Mangel des schöpferischen Dranges, der unbewußt das
Rechte findet. Und es ist den Deutschen zum Guten anzurechnen, daß sie es
nicht sowohl auf den Wettkampf der bloßen Fertigkeit und neuer Reizmittel
abgesehen haben, als auf die ruhige Prüfung des Geleisteten und die allmälige
Vermittlung der verschiedenen Richtungen.

Nur versprach die Kölner Ausstellung mehr als sie hielt und als sie hat-
ten konnte, indem sie sich „für eine allgemeine deutsche und historische" aus-
gab. Es ist immer ein bedenkliches Ding, wenn die gegenwärtige Kunst sich
selber in den geschichtlichen Zusammenhang einzureihen und durch die Zu-


Grenzbotm II. let62. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/97>, abgerufen am 29.05.2024.