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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Die Lebensphilosophie eines geistlichen Herrn im vierzehnte"
Jahrhundert.

Oiewmiug. des breslauer Domherrn Nicolaus, Anhang zu den/Formelbuche
Arnolds.von Protzau, herausgegeben von Wattenbach. (Vrgl. die vorige
Nummer der Grenzboten.)

In unserem Jahrhundert theilt München mit einigen andern bayrischen
Städten den Ruhm, mehrfach Bierkrawalle in seinen Annalen aufweisen zu
können, in früheren Zeiten haben auch andere Städte darin Namhaftes ge¬
leistet, der Aufstand wegen der Bicrzinse in Stendal 1488 ist bekannt genug,
auch die breslauer Chroniken erzählen von einem Bierstreite und zwar einem in
ganz respectablen, Dimensionen. Er entspann sich im Jahre 1381 und war
gegen die Geistlichkeit gerichtet, welcher die Bürgerschaft und speciell die Zunft
der Kretschmer die freie Einfuhr und den Ausschcink fremder Biere nicht gestatten
wollte, den jene auf Grund alter Privilegien beanspruchte. Damals nun hatte
der Rath von Breslau direct ein Verbot erlassen, den Geistlichen fremdes Bier
zuzuführen, und als nun ein Fuhrmann mit einigen Fässern Schweidnitzer
Bieres, welche Herzog Ruprecht von Liegnitz seinem Bruder, dem Domdechanten,
zum Geschenk sandte, an den breslauer Thoren ankam, confiscirte man dieselben.
Aber die Geistlichen, welche sich den guten Trunk") nicht entgehen lassen
wollten, protestirten, und der bischöfliche Administrator griff endlich zu der
Waffe des Jnterdictes, das er über Breslau verhängte. Um dieselbe Zeit kam
nun Kaiser Wenzel nach Breslau und gedachte in seiner raschen und rücksichts¬
losen Art den Streit schnell zu beendigen. Die Geistlichkeit, verlangte er, solle
zunächst das Interdict aufheben, dann wolle er die Sache untersuchen, und wenn
er die Schuld auf Seiten der Bürger finde, diese zum Schadenersatz anhalten.
Als die Geistlichen sich weigerten und in hohem Tone antworteten, entlud sich
der ganze Zorn des schnell gereizten Herrschers auf sie. Wer sich nicht.flüchtete,
ward gefangen gesetzt, und die Residenzen der breslauer Domherrn wurden der
zügellosen Wuth der Böhmen aus Wenzels Gefolge preisgegeben, welche auch
wirtlich dort vandalisch hausten und die kirchlichen Gebräuche aufs Schimpflichste
verspotteten. Erst im Jahre 1383 wurde nach langen Unterhandlungen Frieden
geschlossen. Unter den Domherren, welche sich damals flüchteten, befand sich



Noch heut zeugt der Name des Rathskellers (Schweidnitzer Keller) von dem Rufe des
einst hier geschenkten Schweidnitzer Bieres.
Grenzboten IV. 1See2. 14
Die Lebensphilosophie eines geistlichen Herrn im vierzehnte»
Jahrhundert.

Oiewmiug. des breslauer Domherrn Nicolaus, Anhang zu den/Formelbuche
Arnolds.von Protzau, herausgegeben von Wattenbach. (Vrgl. die vorige
Nummer der Grenzboten.)

In unserem Jahrhundert theilt München mit einigen andern bayrischen
Städten den Ruhm, mehrfach Bierkrawalle in seinen Annalen aufweisen zu
können, in früheren Zeiten haben auch andere Städte darin Namhaftes ge¬
leistet, der Aufstand wegen der Bicrzinse in Stendal 1488 ist bekannt genug,
auch die breslauer Chroniken erzählen von einem Bierstreite und zwar einem in
ganz respectablen, Dimensionen. Er entspann sich im Jahre 1381 und war
gegen die Geistlichkeit gerichtet, welcher die Bürgerschaft und speciell die Zunft
der Kretschmer die freie Einfuhr und den Ausschcink fremder Biere nicht gestatten
wollte, den jene auf Grund alter Privilegien beanspruchte. Damals nun hatte
der Rath von Breslau direct ein Verbot erlassen, den Geistlichen fremdes Bier
zuzuführen, und als nun ein Fuhrmann mit einigen Fässern Schweidnitzer
Bieres, welche Herzog Ruprecht von Liegnitz seinem Bruder, dem Domdechanten,
zum Geschenk sandte, an den breslauer Thoren ankam, confiscirte man dieselben.
Aber die Geistlichen, welche sich den guten Trunk") nicht entgehen lassen
wollten, protestirten, und der bischöfliche Administrator griff endlich zu der
Waffe des Jnterdictes, das er über Breslau verhängte. Um dieselbe Zeit kam
nun Kaiser Wenzel nach Breslau und gedachte in seiner raschen und rücksichts¬
losen Art den Streit schnell zu beendigen. Die Geistlichkeit, verlangte er, solle
zunächst das Interdict aufheben, dann wolle er die Sache untersuchen, und wenn
er die Schuld auf Seiten der Bürger finde, diese zum Schadenersatz anhalten.
Als die Geistlichen sich weigerten und in hohem Tone antworteten, entlud sich
der ganze Zorn des schnell gereizten Herrschers auf sie. Wer sich nicht.flüchtete,
ward gefangen gesetzt, und die Residenzen der breslauer Domherrn wurden der
zügellosen Wuth der Böhmen aus Wenzels Gefolge preisgegeben, welche auch
wirtlich dort vandalisch hausten und die kirchlichen Gebräuche aufs Schimpflichste
verspotteten. Erst im Jahre 1383 wurde nach langen Unterhandlungen Frieden
geschlossen. Unter den Domherren, welche sich damals flüchteten, befand sich



Noch heut zeugt der Name des Rathskellers (Schweidnitzer Keller) von dem Rufe des
einst hier geschenkten Schweidnitzer Bieres.
Grenzboten IV. 1See2. 14
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[0113] Die Lebensphilosophie eines geistlichen Herrn im vierzehnte» Jahrhundert. Oiewmiug. des breslauer Domherrn Nicolaus, Anhang zu den/Formelbuche Arnolds.von Protzau, herausgegeben von Wattenbach. (Vrgl. die vorige Nummer der Grenzboten.) In unserem Jahrhundert theilt München mit einigen andern bayrischen Städten den Ruhm, mehrfach Bierkrawalle in seinen Annalen aufweisen zu können, in früheren Zeiten haben auch andere Städte darin Namhaftes ge¬ leistet, der Aufstand wegen der Bicrzinse in Stendal 1488 ist bekannt genug, auch die breslauer Chroniken erzählen von einem Bierstreite und zwar einem in ganz respectablen, Dimensionen. Er entspann sich im Jahre 1381 und war gegen die Geistlichkeit gerichtet, welcher die Bürgerschaft und speciell die Zunft der Kretschmer die freie Einfuhr und den Ausschcink fremder Biere nicht gestatten wollte, den jene auf Grund alter Privilegien beanspruchte. Damals nun hatte der Rath von Breslau direct ein Verbot erlassen, den Geistlichen fremdes Bier zuzuführen, und als nun ein Fuhrmann mit einigen Fässern Schweidnitzer Bieres, welche Herzog Ruprecht von Liegnitz seinem Bruder, dem Domdechanten, zum Geschenk sandte, an den breslauer Thoren ankam, confiscirte man dieselben. Aber die Geistlichen, welche sich den guten Trunk") nicht entgehen lassen wollten, protestirten, und der bischöfliche Administrator griff endlich zu der Waffe des Jnterdictes, das er über Breslau verhängte. Um dieselbe Zeit kam nun Kaiser Wenzel nach Breslau und gedachte in seiner raschen und rücksichts¬ losen Art den Streit schnell zu beendigen. Die Geistlichkeit, verlangte er, solle zunächst das Interdict aufheben, dann wolle er die Sache untersuchen, und wenn er die Schuld auf Seiten der Bürger finde, diese zum Schadenersatz anhalten. Als die Geistlichen sich weigerten und in hohem Tone antworteten, entlud sich der ganze Zorn des schnell gereizten Herrschers auf sie. Wer sich nicht.flüchtete, ward gefangen gesetzt, und die Residenzen der breslauer Domherrn wurden der zügellosen Wuth der Böhmen aus Wenzels Gefolge preisgegeben, welche auch wirtlich dort vandalisch hausten und die kirchlichen Gebräuche aufs Schimpflichste verspotteten. Erst im Jahre 1383 wurde nach langen Unterhandlungen Frieden geschlossen. Unter den Domherren, welche sich damals flüchteten, befand sich Noch heut zeugt der Name des Rathskellers (Schweidnitzer Keller) von dem Rufe des einst hier geschenkten Schweidnitzer Bieres. Grenzboten IV. 1See2. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/113>, abgerufen am 29.04.2024.