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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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auch ein gewisser Nicolaus (von Posen, wie Wcitteirbach vermuthet), der
mit am eifrigsten zum Widerstande gegen den König gerathen hatte. Er fand
freundliche Aufnahme bei dem Bischöfe von Ermeland, wo man seine Kennt¬
nisse und seine gewandte Feder zu schätzen wußte. Hier sammelte er nun einen
Kreis von jungen Klerikern um sich, die mit großer Verehrung an ihm hingen,
die er auch wohl in der Ars äietg.uni, oder, wie wir etwa sagen würden, der
lateinischen Stilistik unterrichtete, und für die er allerlei Aufsätze als Proben
entwarf. Eine Sammlung derselben findet sich in derselben Handschrift, welche
das Formelbuch Arnolds von Protzau enthält; es sind zum Theil Verarbeitungen
der Zeitereignisse, mit welchen moralische Betrachtungen verknüpft werden; dann
auch bloße religiöse oder moralische Excurse. Erzählungen mancherlei Art, und
eine ganze Anzahl von Briefen, besonders an die Freunde in der schlesischen
Heimath gerichtet. Alles indem Exil, aus dem er 1383 zurückkehrte, geschrieben.

Von dem Allen theilt der gelehrte Herausgeber einen großen Theil mit als
höchst dankenswerthe Zugabe zu dem Formelbuche, vornehmlich interessant durch
das hübsche Charakterbild, welches der Leser von dem Autor selbst empfängt.

Wer hätte nicht einen jener alten geistlichen Herren kennen gelernt von
der Art, wie sie uns neuerdings Gutzkow im Zauberer von Rom in der Per¬
son des Dechanten geschildert hat. Der Ruf ihrer Liebenswürdigkeit steht
in allen Kreisen fest, die Lästerzungen, die sich früher wohl mit ihnen zu schaffen
machten, sind verstummt; die Herren haben viel erlebt und erfahren, und Jeder
hört ihrer Unterhaltung gern zu, ihr Urtheil ist immer mild und versöhnlich,
eingedenk des ciceronianischen Komo sum, nikil Irmnani s. in" aliöiium puo,
sind sie nachsichtige Richter, die Askese ist ihnen, fremd, in vertrauten Kreisen
entschlüpft ihnen auch wohl ein Wort der Ironie über deren scheinbare oder
aufrichtige Anhänger, und beim heitern Mahle, wie sie es zu verschmähen keine
Ursache finden, in engerer Tafelrunde wagt sich wohl auch eine schalkhafte
Geschichte aus bewegterer Jugendzeit ans Licht. Wenn wir von solch Einem
sprechen hören, pflegt sich auch unvermeidlich die Klage daran zu knüpfen: ja
das ist noch Einer vom alten Schlage, die neuere Zeit mit ihren ausgeprägten
Parteibestrebungen hat ein andres, schrofferes, unduldsameres und darum
weniger liebenswürdiges Geschlecht erzeugt. Die so klagen, mögen sich zum
Troste von der rückwärts gekehrten Prophetin, der Geschichte, sagen lassen,
daß es immer so sein wird, wie es immer gewesen ist, daß die Wärme des
religiösen Eifers im Laufe der Jahrhunderte in fortwährendem Wechsel steigt
und fällt; wiederholt treibt im Mittelalter irgend ein plötzlicher Impuls
die versteckten Keime der Mystik! und Askese zu überraschend schneller
Blüthe, aber die Zeit vergeht, die Spannung läßt nach, und es kommen wieder
nüchternere Zeiten, wo die Welt Platz hat, ja sogar allgemeine Anerkennung für
Persönlichkeiten, wie unser Nicolaus, dessen Weltanschauung vor den geistlichen


auch ein gewisser Nicolaus (von Posen, wie Wcitteirbach vermuthet), der
mit am eifrigsten zum Widerstande gegen den König gerathen hatte. Er fand
freundliche Aufnahme bei dem Bischöfe von Ermeland, wo man seine Kennt¬
nisse und seine gewandte Feder zu schätzen wußte. Hier sammelte er nun einen
Kreis von jungen Klerikern um sich, die mit großer Verehrung an ihm hingen,
die er auch wohl in der Ars äietg.uni, oder, wie wir etwa sagen würden, der
lateinischen Stilistik unterrichtete, und für die er allerlei Aufsätze als Proben
entwarf. Eine Sammlung derselben findet sich in derselben Handschrift, welche
das Formelbuch Arnolds von Protzau enthält; es sind zum Theil Verarbeitungen
der Zeitereignisse, mit welchen moralische Betrachtungen verknüpft werden; dann
auch bloße religiöse oder moralische Excurse. Erzählungen mancherlei Art, und
eine ganze Anzahl von Briefen, besonders an die Freunde in der schlesischen
Heimath gerichtet. Alles indem Exil, aus dem er 1383 zurückkehrte, geschrieben.

Von dem Allen theilt der gelehrte Herausgeber einen großen Theil mit als
höchst dankenswerthe Zugabe zu dem Formelbuche, vornehmlich interessant durch
das hübsche Charakterbild, welches der Leser von dem Autor selbst empfängt.

Wer hätte nicht einen jener alten geistlichen Herren kennen gelernt von
der Art, wie sie uns neuerdings Gutzkow im Zauberer von Rom in der Per¬
son des Dechanten geschildert hat. Der Ruf ihrer Liebenswürdigkeit steht
in allen Kreisen fest, die Lästerzungen, die sich früher wohl mit ihnen zu schaffen
machten, sind verstummt; die Herren haben viel erlebt und erfahren, und Jeder
hört ihrer Unterhaltung gern zu, ihr Urtheil ist immer mild und versöhnlich,
eingedenk des ciceronianischen Komo sum, nikil Irmnani s. in« aliöiium puo,
sind sie nachsichtige Richter, die Askese ist ihnen, fremd, in vertrauten Kreisen
entschlüpft ihnen auch wohl ein Wort der Ironie über deren scheinbare oder
aufrichtige Anhänger, und beim heitern Mahle, wie sie es zu verschmähen keine
Ursache finden, in engerer Tafelrunde wagt sich wohl auch eine schalkhafte
Geschichte aus bewegterer Jugendzeit ans Licht. Wenn wir von solch Einem
sprechen hören, pflegt sich auch unvermeidlich die Klage daran zu knüpfen: ja
das ist noch Einer vom alten Schlage, die neuere Zeit mit ihren ausgeprägten
Parteibestrebungen hat ein andres, schrofferes, unduldsameres und darum
weniger liebenswürdiges Geschlecht erzeugt. Die so klagen, mögen sich zum
Troste von der rückwärts gekehrten Prophetin, der Geschichte, sagen lassen,
daß es immer so sein wird, wie es immer gewesen ist, daß die Wärme des
religiösen Eifers im Laufe der Jahrhunderte in fortwährendem Wechsel steigt
und fällt; wiederholt treibt im Mittelalter irgend ein plötzlicher Impuls
die versteckten Keime der Mystik! und Askese zu überraschend schneller
Blüthe, aber die Zeit vergeht, die Spannung läßt nach, und es kommen wieder
nüchternere Zeiten, wo die Welt Platz hat, ja sogar allgemeine Anerkennung für
Persönlichkeiten, wie unser Nicolaus, dessen Weltanschauung vor den geistlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/114>, abgerufen am 16.05.2024.