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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Die letzte Versammlung des Natmlalvereins.

Die Zeitungen hatten gemeldet, von verschiedenen Seiten her werde auf
der allgemeinen Versammlung des Nativnalvereins "wieder wie im Jahre 1860
der Antrag gestellt werden, die Reichsverfassung von 184'" in das Programm
des Vereins auszunehmen. Eingeweihten wußten außerdem, daß ein einflu߬
reiches würtcmbergischcs Mitglied den nämlichen Antrag an den Ausschuß brin¬
gen werde. Aber was man sich nicht träumen ließ, war, daß der Ausschuß
selbst den Antrag adoptiren werde. Das Erstaunen wuchs, als man hörte,
der Ausschuß habe sogar einstimmig beschlossen, so zu thun. Aehnlich, denken
wir, wird es dem befreundeten Publicum draußen gegangen sein, als es ver¬
nahm, daß die Vereinsversammlung einstimmig die in Blut untergegangene
Reichsverfassung von 1849 auf den Schild zu heben sich entschlossen habe.
Vielleicht indessen, daß es diesem weitesten Kreise der Gleichgesinnten zuletzt
noch ebenso geht wie zuerst dem Ausschuß und dann der allgemeinen Versamm¬
lung des Nationalvereins.

Die Gründe für die Aufnahme der Reichsverfassung in das Vereinsbekennt¬
niß haben die Ausschußmitglieder Brater, Metz und Miquöl ziemlich erschöpfend
angegeben. Der Letztere theilte mit, daß der Ausschuß nicht ohne Kenntniß
der herrschenden Stimmungen seinen Entschluß gefaßt habe. "Heraus mit dem
Vvlksprogramm gegenüber dem in Frankfurt übergebenen Programm der Ca-
binete!" das sei von allen Seiten her die Antwort gewesen. Daneben zählte
dann Brater, der den von ihm verfaßten politischen Jahresbericht des Aus¬
schusses vortrug und eine gedankenreiche Rechtfertigung des Antrages folgen
ließ, die selbständigen Motive auf, die den Ausschuß geleitet hatten. Er gab
zu verstehen, daß man den eventuellen Plänen Oestreichs, die es auf Preußens
augenblickliche Ohnmacht bauen mag, nur auf diese Weise wirksam zuvorkommen
könne. Die Reichsverfassung lasse zwar die Oberhauptsfrage offen; aber die
Natur der Dinge werde' dafür sorgen, daß dieselbe im Sinne des Vereins-
programms zur endlichen Lösung komme. Vorbehaltlich dieser im Augenblick
nicht zu habenden (und ja auch vom Weimarer Abgeordnctentage als einst¬
weilen unmöglich behandelten) Lösung gewähre die Reichsverfassung, was


Gicnzboten IV. 1Se!2. -> V
Die letzte Versammlung des Natmlalvereins.

Die Zeitungen hatten gemeldet, von verschiedenen Seiten her werde auf
der allgemeinen Versammlung des Nativnalvereins "wieder wie im Jahre 1860
der Antrag gestellt werden, die Reichsverfassung von 184'» in das Programm
des Vereins auszunehmen. Eingeweihten wußten außerdem, daß ein einflu߬
reiches würtcmbergischcs Mitglied den nämlichen Antrag an den Ausschuß brin¬
gen werde. Aber was man sich nicht träumen ließ, war, daß der Ausschuß
selbst den Antrag adoptiren werde. Das Erstaunen wuchs, als man hörte,
der Ausschuß habe sogar einstimmig beschlossen, so zu thun. Aehnlich, denken
wir, wird es dem befreundeten Publicum draußen gegangen sein, als es ver¬
nahm, daß die Vereinsversammlung einstimmig die in Blut untergegangene
Reichsverfassung von 1849 auf den Schild zu heben sich entschlossen habe.
Vielleicht indessen, daß es diesem weitesten Kreise der Gleichgesinnten zuletzt
noch ebenso geht wie zuerst dem Ausschuß und dann der allgemeinen Versamm¬
lung des Nationalvereins.

Die Gründe für die Aufnahme der Reichsverfassung in das Vereinsbekennt¬
niß haben die Ausschußmitglieder Brater, Metz und Miquöl ziemlich erschöpfend
angegeben. Der Letztere theilte mit, daß der Ausschuß nicht ohne Kenntniß
der herrschenden Stimmungen seinen Entschluß gefaßt habe. „Heraus mit dem
Vvlksprogramm gegenüber dem in Frankfurt übergebenen Programm der Ca-
binete!" das sei von allen Seiten her die Antwort gewesen. Daneben zählte
dann Brater, der den von ihm verfaßten politischen Jahresbericht des Aus¬
schusses vortrug und eine gedankenreiche Rechtfertigung des Antrages folgen
ließ, die selbständigen Motive auf, die den Ausschuß geleitet hatten. Er gab
zu verstehen, daß man den eventuellen Plänen Oestreichs, die es auf Preußens
augenblickliche Ohnmacht bauen mag, nur auf diese Weise wirksam zuvorkommen
könne. Die Reichsverfassung lasse zwar die Oberhauptsfrage offen; aber die
Natur der Dinge werde' dafür sorgen, daß dieselbe im Sinne des Vereins-
programms zur endlichen Lösung komme. Vorbehaltlich dieser im Augenblick
nicht zu habenden (und ja auch vom Weimarer Abgeordnctentage als einst¬
weilen unmöglich behandelten) Lösung gewähre die Reichsverfassung, was


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[0129] Die letzte Versammlung des Natmlalvereins. Die Zeitungen hatten gemeldet, von verschiedenen Seiten her werde auf der allgemeinen Versammlung des Nativnalvereins "wieder wie im Jahre 1860 der Antrag gestellt werden, die Reichsverfassung von 184'» in das Programm des Vereins auszunehmen. Eingeweihten wußten außerdem, daß ein einflu߬ reiches würtcmbergischcs Mitglied den nämlichen Antrag an den Ausschuß brin¬ gen werde. Aber was man sich nicht träumen ließ, war, daß der Ausschuß selbst den Antrag adoptiren werde. Das Erstaunen wuchs, als man hörte, der Ausschuß habe sogar einstimmig beschlossen, so zu thun. Aehnlich, denken wir, wird es dem befreundeten Publicum draußen gegangen sein, als es ver¬ nahm, daß die Vereinsversammlung einstimmig die in Blut untergegangene Reichsverfassung von 1849 auf den Schild zu heben sich entschlossen habe. Vielleicht indessen, daß es diesem weitesten Kreise der Gleichgesinnten zuletzt noch ebenso geht wie zuerst dem Ausschuß und dann der allgemeinen Versamm¬ lung des Nationalvereins. Die Gründe für die Aufnahme der Reichsverfassung in das Vereinsbekennt¬ niß haben die Ausschußmitglieder Brater, Metz und Miquöl ziemlich erschöpfend angegeben. Der Letztere theilte mit, daß der Ausschuß nicht ohne Kenntniß der herrschenden Stimmungen seinen Entschluß gefaßt habe. „Heraus mit dem Vvlksprogramm gegenüber dem in Frankfurt übergebenen Programm der Ca- binete!" das sei von allen Seiten her die Antwort gewesen. Daneben zählte dann Brater, der den von ihm verfaßten politischen Jahresbericht des Aus¬ schusses vortrug und eine gedankenreiche Rechtfertigung des Antrages folgen ließ, die selbständigen Motive auf, die den Ausschuß geleitet hatten. Er gab zu verstehen, daß man den eventuellen Plänen Oestreichs, die es auf Preußens augenblickliche Ohnmacht bauen mag, nur auf diese Weise wirksam zuvorkommen könne. Die Reichsverfassung lasse zwar die Oberhauptsfrage offen; aber die Natur der Dinge werde' dafür sorgen, daß dieselbe im Sinne des Vereins- programms zur endlichen Lösung komme. Vorbehaltlich dieser im Augenblick nicht zu habenden (und ja auch vom Weimarer Abgeordnctentage als einst¬ weilen unmöglich behandelten) Lösung gewähre die Reichsverfassung, was Gicnzboten IV. 1Se!2. -> V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/129>, abgerufen am 29.04.2024.