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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Das Zurückgehen auf die deutsche Reichsverfassung voiN Jahr 1849, in-
direct in dem Beschlusse des deutschen Abgevrdnetentags enthalten, direct in
der Generalversammlung des Nationalvereins ausgesprochen, bezeichnet einen
gewissen Abschnitt in der Geschichte unsrer nationalen Bestrebungen.

Noch vor drei Jahren bei der Gründung des Nationalvereins als revolu¬
tionär und unpraktisch zugleich verworfen, seither von vereinzelten Seiten aus¬
genommen, von der Mehrheit aber stets zurückgewiesen, ist der Ruf nach der
deutschen Reichsverfassung heute das einstimmige Losungswort der nationalen
Partei geworden. Was bedeutet dieser Ruf? Ist er heute weniger revolutionär,
ist die Aussicht seiner Verwirklichung heute näher gerückt als vor drei Jahren,
sind die Hindernisse, an welchen im Jahr 1849 die Durchführung der Verfas¬
sung scheiterte, heute beseitigt? Oder ist dieser Ruf vielleicht nur ein unfrei¬
williges Geständniß, daß die bisherigen Ziele und Bestrebungen verfehlt waren,
oder daß auf die Erreichung eines positiven Ziels für den Augenblick überhaupt
verzichtet werden muß, und ist er in diesem Sinne eher als ein Rückzug, ein
Entschluß der Resignation aufzufassen, denn als eine nach vorwärts gerichtete
Position, eher als Merkmal einer Pause in den nationalen Bestrebungen, denn
als ein wirklicher Fortschritt?

Fürs Erste ist so viel klar, daß die Proclamation der Reichsverfassung nicht
denselben Sinn hat, in welchem sie von der Demokratie seitdem oft wied erholt
worden ist. Es soll damit weder das Recht des Rumpfparlaments anerkannt,
noch überhaupt direct an die Bestrebungen des Jahres 1849 angeknüpft, und
es sollen damit am wenigsten jene Versuche erneuert werden, die Reichsverfassung
ins Leben zu rufen, welche mit der Revolution endeten. Diejenigen mögen sich
also beruhigen, welche, gestützt auf jene Beschlüsse, bereits den Bürgerkrieg an die
Wand malen. Allein abgesehen davon, daß solche Tendenzen, die sich von
selbst verbieten, überdies ausdrücklich ausgeschlossen sind, werden die Leiter,
welche dem von unten her geäußerten Wunsch nach Erneuerung des Rechts
der Reichsverfassung nachzugeben sich entschlossen, sich keiner Täuschung
darüber hingeben, daß dieser Schritt überhaupt' kein unmittelbar prak-


Glenjboten IV. 1se>2, 21

Das Zurückgehen auf die deutsche Reichsverfassung voiN Jahr 1849, in-
direct in dem Beschlusse des deutschen Abgevrdnetentags enthalten, direct in
der Generalversammlung des Nationalvereins ausgesprochen, bezeichnet einen
gewissen Abschnitt in der Geschichte unsrer nationalen Bestrebungen.

Noch vor drei Jahren bei der Gründung des Nationalvereins als revolu¬
tionär und unpraktisch zugleich verworfen, seither von vereinzelten Seiten aus¬
genommen, von der Mehrheit aber stets zurückgewiesen, ist der Ruf nach der
deutschen Reichsverfassung heute das einstimmige Losungswort der nationalen
Partei geworden. Was bedeutet dieser Ruf? Ist er heute weniger revolutionär,
ist die Aussicht seiner Verwirklichung heute näher gerückt als vor drei Jahren,
sind die Hindernisse, an welchen im Jahr 1849 die Durchführung der Verfas¬
sung scheiterte, heute beseitigt? Oder ist dieser Ruf vielleicht nur ein unfrei¬
williges Geständniß, daß die bisherigen Ziele und Bestrebungen verfehlt waren,
oder daß auf die Erreichung eines positiven Ziels für den Augenblick überhaupt
verzichtet werden muß, und ist er in diesem Sinne eher als ein Rückzug, ein
Entschluß der Resignation aufzufassen, denn als eine nach vorwärts gerichtete
Position, eher als Merkmal einer Pause in den nationalen Bestrebungen, denn
als ein wirklicher Fortschritt?

Fürs Erste ist so viel klar, daß die Proclamation der Reichsverfassung nicht
denselben Sinn hat, in welchem sie von der Demokratie seitdem oft wied erholt
worden ist. Es soll damit weder das Recht des Rumpfparlaments anerkannt,
noch überhaupt direct an die Bestrebungen des Jahres 1849 angeknüpft, und
es sollen damit am wenigsten jene Versuche erneuert werden, die Reichsverfassung
ins Leben zu rufen, welche mit der Revolution endeten. Diejenigen mögen sich
also beruhigen, welche, gestützt auf jene Beschlüsse, bereits den Bürgerkrieg an die
Wand malen. Allein abgesehen davon, daß solche Tendenzen, die sich von
selbst verbieten, überdies ausdrücklich ausgeschlossen sind, werden die Leiter,
welche dem von unten her geäußerten Wunsch nach Erneuerung des Rechts
der Reichsverfassung nachzugeben sich entschlossen, sich keiner Täuschung
darüber hingeben, daß dieser Schritt überhaupt' kein unmittelbar prak-


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[0169] Das Zurückgehen auf die deutsche Reichsverfassung voiN Jahr 1849, in- direct in dem Beschlusse des deutschen Abgevrdnetentags enthalten, direct in der Generalversammlung des Nationalvereins ausgesprochen, bezeichnet einen gewissen Abschnitt in der Geschichte unsrer nationalen Bestrebungen. Noch vor drei Jahren bei der Gründung des Nationalvereins als revolu¬ tionär und unpraktisch zugleich verworfen, seither von vereinzelten Seiten aus¬ genommen, von der Mehrheit aber stets zurückgewiesen, ist der Ruf nach der deutschen Reichsverfassung heute das einstimmige Losungswort der nationalen Partei geworden. Was bedeutet dieser Ruf? Ist er heute weniger revolutionär, ist die Aussicht seiner Verwirklichung heute näher gerückt als vor drei Jahren, sind die Hindernisse, an welchen im Jahr 1849 die Durchführung der Verfas¬ sung scheiterte, heute beseitigt? Oder ist dieser Ruf vielleicht nur ein unfrei¬ williges Geständniß, daß die bisherigen Ziele und Bestrebungen verfehlt waren, oder daß auf die Erreichung eines positiven Ziels für den Augenblick überhaupt verzichtet werden muß, und ist er in diesem Sinne eher als ein Rückzug, ein Entschluß der Resignation aufzufassen, denn als eine nach vorwärts gerichtete Position, eher als Merkmal einer Pause in den nationalen Bestrebungen, denn als ein wirklicher Fortschritt? Fürs Erste ist so viel klar, daß die Proclamation der Reichsverfassung nicht denselben Sinn hat, in welchem sie von der Demokratie seitdem oft wied erholt worden ist. Es soll damit weder das Recht des Rumpfparlaments anerkannt, noch überhaupt direct an die Bestrebungen des Jahres 1849 angeknüpft, und es sollen damit am wenigsten jene Versuche erneuert werden, die Reichsverfassung ins Leben zu rufen, welche mit der Revolution endeten. Diejenigen mögen sich also beruhigen, welche, gestützt auf jene Beschlüsse, bereits den Bürgerkrieg an die Wand malen. Allein abgesehen davon, daß solche Tendenzen, die sich von selbst verbieten, überdies ausdrücklich ausgeschlossen sind, werden die Leiter, welche dem von unten her geäußerten Wunsch nach Erneuerung des Rechts der Reichsverfassung nachzugeben sich entschlossen, sich keiner Täuschung darüber hingeben, daß dieser Schritt überhaupt' kein unmittelbar prak- Glenjboten IV. 1se>2, 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/169>, abgerufen am 29.04.2024.