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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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tisches Resultat haben wird. Materiell bezeichnet er in der That keinen
Fortschritt. Wir sind dadurch dem Ziel des einheitlichen Bundesstaates um
nichts naher gerückt. Die Regierungen werden dadurch sicher nicht zu größeren
Concessionen geneigt werden, die Gewährung eines Parlaments hat keine
größere Aussicht erlangt. Ja auch für die Klärung des Ziels, für die innere
Consolidirung der nationalen Partei scheint zunächst wenig damit erreicht; denn
die Gegensätze, welche heute bestehen, sie wären nicht aufgehoben, wenn heute
die Realisirung der Reichsverfassung auf der Tagesordnung stünde, sie würden
im Gegentheil nur um so schärfer auf einander schlagen, wenn es sich um die
Auslegung und Anwendung der Paragraphen über die Centralgewalt und das
Verhältniß zu Oestreich handelte.

So wenig nun aber auch ein materieller Fortschritt in den erwähnten
Resolutionen zu erkennen ist, so wenig ist ihre formelle Bedeutung und->ihre
moralische Wirkung zu unterschätzen.

Die Nationalpartei hatte, so wie die Dinge jetzt standen, einen doppelten
Weg vor sich. Entweder sie erklärte sich für Annahme der Anträge, welche
die Würzburger Regierungen am Bunde eingebracht, das volle Recht der Nation
sich vorbehaltend, oder sie verzichtete für den Augenblick überhaupt auf ein in
naher Zukunft zu verwirklichendes Programm und zog sich auf eine sichere
Basis zurück, aus der für kommende Eventualitäten die Partei sich sammeln
konnte. Der erstere Weg hätte nur dann einen Sinn gehabt, wenn jene Würz¬
burger Anträge überhaupt Aussicht auf Verwirklichung hätten, wenn die Ge¬
sammtheit der Regierungen sich über diejenigen Zugeständnisse, welche sie dem
Einheitsdrang der Nation bieten wollte, bereits geeinigt hätte. Dann konnte
sich die Frage erheben, ob etwa in Ermangelung günstigerer Aussichten das
Project der Delegirtenversammlung anzunehmen sei als eine Abschlagszahlung,
als ein, wenn auch schwacher Fortschritt zur Einigung, als eine Handhabe, um
weitere Reformen zu erlangen, als ein Keim, der sich in der Praxis vielleicht
ganz anders entwickelte als die Urheber sich denken mochten. Allein so standen
die Sachen noch lange nicht. Die Würzburger Anträge waren nur von einer
geringen Anzahl Regierungen eingebracht; es blieb kein Zweifel, daß auch sie
niemals über die Bedeutung eines schätzbaren Materials hinauskämen, daß
sie schwerlich alle Stadien des langwierigen Jnstanzenzugs am Bundestag
durchmachen, viel weniger je ins Leben treten würden. Von Preußen war,
wie unglückliche Ministerien auch immer diesen Staat regieren mochten, nie die
Zustimmung zu erwarten, und damit allein waren sie gerichtet.

Konnte nun die Nationalpartei die vollen Forderungen der Nation --
wenn auch mit allem Vorbehalt -- aufgeben, um einen Vorschlag zu unter¬
stützen, der von Hause aus eine todte Geburt ist?

Es war aber zur Zeit überhaupt nicht ein einziges Project vorhanden,


tisches Resultat haben wird. Materiell bezeichnet er in der That keinen
Fortschritt. Wir sind dadurch dem Ziel des einheitlichen Bundesstaates um
nichts naher gerückt. Die Regierungen werden dadurch sicher nicht zu größeren
Concessionen geneigt werden, die Gewährung eines Parlaments hat keine
größere Aussicht erlangt. Ja auch für die Klärung des Ziels, für die innere
Consolidirung der nationalen Partei scheint zunächst wenig damit erreicht; denn
die Gegensätze, welche heute bestehen, sie wären nicht aufgehoben, wenn heute
die Realisirung der Reichsverfassung auf der Tagesordnung stünde, sie würden
im Gegentheil nur um so schärfer auf einander schlagen, wenn es sich um die
Auslegung und Anwendung der Paragraphen über die Centralgewalt und das
Verhältniß zu Oestreich handelte.

So wenig nun aber auch ein materieller Fortschritt in den erwähnten
Resolutionen zu erkennen ist, so wenig ist ihre formelle Bedeutung und->ihre
moralische Wirkung zu unterschätzen.

Die Nationalpartei hatte, so wie die Dinge jetzt standen, einen doppelten
Weg vor sich. Entweder sie erklärte sich für Annahme der Anträge, welche
die Würzburger Regierungen am Bunde eingebracht, das volle Recht der Nation
sich vorbehaltend, oder sie verzichtete für den Augenblick überhaupt auf ein in
naher Zukunft zu verwirklichendes Programm und zog sich auf eine sichere
Basis zurück, aus der für kommende Eventualitäten die Partei sich sammeln
konnte. Der erstere Weg hätte nur dann einen Sinn gehabt, wenn jene Würz¬
burger Anträge überhaupt Aussicht auf Verwirklichung hätten, wenn die Ge¬
sammtheit der Regierungen sich über diejenigen Zugeständnisse, welche sie dem
Einheitsdrang der Nation bieten wollte, bereits geeinigt hätte. Dann konnte
sich die Frage erheben, ob etwa in Ermangelung günstigerer Aussichten das
Project der Delegirtenversammlung anzunehmen sei als eine Abschlagszahlung,
als ein, wenn auch schwacher Fortschritt zur Einigung, als eine Handhabe, um
weitere Reformen zu erlangen, als ein Keim, der sich in der Praxis vielleicht
ganz anders entwickelte als die Urheber sich denken mochten. Allein so standen
die Sachen noch lange nicht. Die Würzburger Anträge waren nur von einer
geringen Anzahl Regierungen eingebracht; es blieb kein Zweifel, daß auch sie
niemals über die Bedeutung eines schätzbaren Materials hinauskämen, daß
sie schwerlich alle Stadien des langwierigen Jnstanzenzugs am Bundestag
durchmachen, viel weniger je ins Leben treten würden. Von Preußen war,
wie unglückliche Ministerien auch immer diesen Staat regieren mochten, nie die
Zustimmung zu erwarten, und damit allein waren sie gerichtet.

Konnte nun die Nationalpartei die vollen Forderungen der Nation —
wenn auch mit allem Vorbehalt — aufgeben, um einen Vorschlag zu unter¬
stützen, der von Hause aus eine todte Geburt ist?

Es war aber zur Zeit überhaupt nicht ein einziges Project vorhanden,


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[0170] tisches Resultat haben wird. Materiell bezeichnet er in der That keinen Fortschritt. Wir sind dadurch dem Ziel des einheitlichen Bundesstaates um nichts naher gerückt. Die Regierungen werden dadurch sicher nicht zu größeren Concessionen geneigt werden, die Gewährung eines Parlaments hat keine größere Aussicht erlangt. Ja auch für die Klärung des Ziels, für die innere Consolidirung der nationalen Partei scheint zunächst wenig damit erreicht; denn die Gegensätze, welche heute bestehen, sie wären nicht aufgehoben, wenn heute die Realisirung der Reichsverfassung auf der Tagesordnung stünde, sie würden im Gegentheil nur um so schärfer auf einander schlagen, wenn es sich um die Auslegung und Anwendung der Paragraphen über die Centralgewalt und das Verhältniß zu Oestreich handelte. So wenig nun aber auch ein materieller Fortschritt in den erwähnten Resolutionen zu erkennen ist, so wenig ist ihre formelle Bedeutung und->ihre moralische Wirkung zu unterschätzen. Die Nationalpartei hatte, so wie die Dinge jetzt standen, einen doppelten Weg vor sich. Entweder sie erklärte sich für Annahme der Anträge, welche die Würzburger Regierungen am Bunde eingebracht, das volle Recht der Nation sich vorbehaltend, oder sie verzichtete für den Augenblick überhaupt auf ein in naher Zukunft zu verwirklichendes Programm und zog sich auf eine sichere Basis zurück, aus der für kommende Eventualitäten die Partei sich sammeln konnte. Der erstere Weg hätte nur dann einen Sinn gehabt, wenn jene Würz¬ burger Anträge überhaupt Aussicht auf Verwirklichung hätten, wenn die Ge¬ sammtheit der Regierungen sich über diejenigen Zugeständnisse, welche sie dem Einheitsdrang der Nation bieten wollte, bereits geeinigt hätte. Dann konnte sich die Frage erheben, ob etwa in Ermangelung günstigerer Aussichten das Project der Delegirtenversammlung anzunehmen sei als eine Abschlagszahlung, als ein, wenn auch schwacher Fortschritt zur Einigung, als eine Handhabe, um weitere Reformen zu erlangen, als ein Keim, der sich in der Praxis vielleicht ganz anders entwickelte als die Urheber sich denken mochten. Allein so standen die Sachen noch lange nicht. Die Würzburger Anträge waren nur von einer geringen Anzahl Regierungen eingebracht; es blieb kein Zweifel, daß auch sie niemals über die Bedeutung eines schätzbaren Materials hinauskämen, daß sie schwerlich alle Stadien des langwierigen Jnstanzenzugs am Bundestag durchmachen, viel weniger je ins Leben treten würden. Von Preußen war, wie unglückliche Ministerien auch immer diesen Staat regieren mochten, nie die Zustimmung zu erwarten, und damit allein waren sie gerichtet. Konnte nun die Nationalpartei die vollen Forderungen der Nation — wenn auch mit allem Vorbehalt — aufgeben, um einen Vorschlag zu unter¬ stützen, der von Hause aus eine todte Geburt ist? Es war aber zur Zeit überhaupt nicht ein einziges Project vorhanden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/170>, abgerufen am 15.05.2024.