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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Sachsen und der Handelsvertrag.

Der außerordentliche Landtag, den die sächsische Regierung zu Anfang dieses
Jahres zur Berathung über den französischen Handelsvertrag berief, zeigte uns
das friedliche Bild einer vollkommenen Uebereinstimmung zwischen Regierung und
beiden Kammern. Die rasche Entschiedenheit, womit die Regierung nett und
rund ihren Entschluß des Beitritts zu dem Vertrag kundgab, fand die
wärmste Anerkennung im Lande; manche Gegner Beustscher Politik verwandel¬
ten sich in warme Lobredner angesichts der Thatsache, daß die Regierung in
einer Lebensfrage für das Land, die ungemein viel Verführung darbot, bekann¬
ten Sympathien und Antipathien zu folgen und etwas Politik auf eigne Hand
zu treiben, doch allen Sympathien zum Trotz und völlig frei von Tendenz-
Politik sich lediglich von der gewissenhaften Berücksichtigung des Landeswohles
leiten ließ und ihre Stellung in der Sache mit einer wahrhaft wohlthuenden Ent-
schiedenheit fixirte. "Das volkswirthschaftliche Interesse des Landes
erfordert unbedingt den Beitritt zu dem Handelsvertrag,"
das war der Refrain aller Regierungsäußerungen, die in beiden Kammern wie
im Lande selbst ihr Echo fanden. Nur vereinzelte Stimmen aus dem Lande
ließen Gegenwünsche laut werden, vom Leipziger Handelsstand ward keine Aus¬
stellung an dem Vertrage vernommen, und das Volk war einmal recht auf¬
richtig zufrieden mit dem von Regierung und Kammern einstimmig gefaßten Be¬
schluß für den Handelsvertrag.

Und kaum vier Monate später hört man am Münchner Handelstag von
allen Abgeordneten, die Sachsen dorthin gesandt (es waren vier) Aeußerungen,
daß alle Welt glauben muß, der Handelsvertrag gelte bei uns für nicht viel
weniger als für ein Werk des Gottseibeiuns, wir möchten um Alles in der
Welt davon los kommen, und unsre ganze Sehnsucht sei nur auf eine Zoll¬
einigung mit Oestreich gerichtet. Geschraubte Erklärungen in der Regierungspresse,
die darauf gefolgt sind, klingen zwar nicht ganz aus demselben Ton, aber doch
aus einem sehr verwandten und jedenfalls himmelweit verschieden von dem


Grenzboten IV. 1362. 26
Sachsen und der Handelsvertrag.

Der außerordentliche Landtag, den die sächsische Regierung zu Anfang dieses
Jahres zur Berathung über den französischen Handelsvertrag berief, zeigte uns
das friedliche Bild einer vollkommenen Uebereinstimmung zwischen Regierung und
beiden Kammern. Die rasche Entschiedenheit, womit die Regierung nett und
rund ihren Entschluß des Beitritts zu dem Vertrag kundgab, fand die
wärmste Anerkennung im Lande; manche Gegner Beustscher Politik verwandel¬
ten sich in warme Lobredner angesichts der Thatsache, daß die Regierung in
einer Lebensfrage für das Land, die ungemein viel Verführung darbot, bekann¬
ten Sympathien und Antipathien zu folgen und etwas Politik auf eigne Hand
zu treiben, doch allen Sympathien zum Trotz und völlig frei von Tendenz-
Politik sich lediglich von der gewissenhaften Berücksichtigung des Landeswohles
leiten ließ und ihre Stellung in der Sache mit einer wahrhaft wohlthuenden Ent-
schiedenheit fixirte. „Das volkswirthschaftliche Interesse des Landes
erfordert unbedingt den Beitritt zu dem Handelsvertrag,"
das war der Refrain aller Regierungsäußerungen, die in beiden Kammern wie
im Lande selbst ihr Echo fanden. Nur vereinzelte Stimmen aus dem Lande
ließen Gegenwünsche laut werden, vom Leipziger Handelsstand ward keine Aus¬
stellung an dem Vertrage vernommen, und das Volk war einmal recht auf¬
richtig zufrieden mit dem von Regierung und Kammern einstimmig gefaßten Be¬
schluß für den Handelsvertrag.

Und kaum vier Monate später hört man am Münchner Handelstag von
allen Abgeordneten, die Sachsen dorthin gesandt (es waren vier) Aeußerungen,
daß alle Welt glauben muß, der Handelsvertrag gelte bei uns für nicht viel
weniger als für ein Werk des Gottseibeiuns, wir möchten um Alles in der
Welt davon los kommen, und unsre ganze Sehnsucht sei nur auf eine Zoll¬
einigung mit Oestreich gerichtet. Geschraubte Erklärungen in der Regierungspresse,
die darauf gefolgt sind, klingen zwar nicht ganz aus demselben Ton, aber doch
aus einem sehr verwandten und jedenfalls himmelweit verschieden von dem


Grenzboten IV. 1362. 26
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[0289] Sachsen und der Handelsvertrag. Der außerordentliche Landtag, den die sächsische Regierung zu Anfang dieses Jahres zur Berathung über den französischen Handelsvertrag berief, zeigte uns das friedliche Bild einer vollkommenen Uebereinstimmung zwischen Regierung und beiden Kammern. Die rasche Entschiedenheit, womit die Regierung nett und rund ihren Entschluß des Beitritts zu dem Vertrag kundgab, fand die wärmste Anerkennung im Lande; manche Gegner Beustscher Politik verwandel¬ ten sich in warme Lobredner angesichts der Thatsache, daß die Regierung in einer Lebensfrage für das Land, die ungemein viel Verführung darbot, bekann¬ ten Sympathien und Antipathien zu folgen und etwas Politik auf eigne Hand zu treiben, doch allen Sympathien zum Trotz und völlig frei von Tendenz- Politik sich lediglich von der gewissenhaften Berücksichtigung des Landeswohles leiten ließ und ihre Stellung in der Sache mit einer wahrhaft wohlthuenden Ent- schiedenheit fixirte. „Das volkswirthschaftliche Interesse des Landes erfordert unbedingt den Beitritt zu dem Handelsvertrag," das war der Refrain aller Regierungsäußerungen, die in beiden Kammern wie im Lande selbst ihr Echo fanden. Nur vereinzelte Stimmen aus dem Lande ließen Gegenwünsche laut werden, vom Leipziger Handelsstand ward keine Aus¬ stellung an dem Vertrage vernommen, und das Volk war einmal recht auf¬ richtig zufrieden mit dem von Regierung und Kammern einstimmig gefaßten Be¬ schluß für den Handelsvertrag. Und kaum vier Monate später hört man am Münchner Handelstag von allen Abgeordneten, die Sachsen dorthin gesandt (es waren vier) Aeußerungen, daß alle Welt glauben muß, der Handelsvertrag gelte bei uns für nicht viel weniger als für ein Werk des Gottseibeiuns, wir möchten um Alles in der Welt davon los kommen, und unsre ganze Sehnsucht sei nur auf eine Zoll¬ einigung mit Oestreich gerichtet. Geschraubte Erklärungen in der Regierungspresse, die darauf gefolgt sind, klingen zwar nicht ganz aus demselben Ton, aber doch aus einem sehr verwandten und jedenfalls himmelweit verschieden von dem Grenzboten IV. 1362. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/289>, abgerufen am 29.04.2024.