Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Tone voller Entschiedenheit für den Handelsvertrag, der ein paar Monate früher
von Regierung und Volksvertretung ausging. Und aus ähnlicher Tonart hören wir
jetzt bei uns gewisse Stimmen laut werden, noch vorsichtig und schüchtern,
aber von Leuten, die zu der "gewöhnlich gut unterrichteten Seite" gehören. Es
gibt Naturen mit einer besonders feinen Organisation für die Empfindung der
Windrichtung in den höhern Regionen; der stille Beobachter erdreistet sich solche
feiner organisirte Personen manchmal als Windfahnen zu benutzen, um zu er¬
kennen, wie in den ihm unzugänglichen höhern Schichten der Wind wehe.
Eine Beobachtung dieser Windfahnen bei uns führt zu dem Schlüsse, daß oben
der Wind.sich gedreht haben muß; seine Richtung folgt nicht mehr dem Kurs
der volkswirthschaftlichen Interessen Sachsens, sondern politischer Tendenz. Wir
scheinen bei uns in Bezug auf Zollverein und Handelsvertrag wieder im Fahr¬
wasser östreichisch-würzburger Politik zu treiben, und die stets bereitwilligen
Handlanger solcher Politik, die immer darauf hinausläuft, jede Position Preu¬
ßens zu hindern, jcderi gescheidten Vorschlag, der von dort ausgeht, zu hinter¬
treiben, beeilen sich, zum Theil vielleicht in unbequemen Diensteifer, durch eine
Fälschung der öffentlichen Meinung mitzuhelfen, indem sie glauben machen, die
allgemeine Stimme bei uns wolle nichts vom Handelsvertrag mehr wissen, er
widerstreite unsern Interessen. Solchen groben Irrthum darf man nicht auf¬
kommen lassen, und es ist Pflicht der sächsischen Industrie und des hierbei be¬
sonders betheiligten Mcßplatzes Leipzig hiergegen zu Protestiren und zu con-
statiren, daß das sächsische Interesse nur zu einem entschiedenen Eintreten für den
Handelsvertrag führen und daß eine andre Auffassung nur Platz greisen
kann, wenn man den Handelsvertrag lediglich benutzt als Mittel für einen der
Sache selbst fremden politischen Zweck, wenn man das volkswirtschaftliche Inter¬
esse des Landes aufopfern will zu Gunsten einer politischen Machination.

Die Sache liegt für Sachsen in der That ziemlich einfach. Seit dem im
Januar 1860 erfolgten Abschluß des Handelsvertrags zwischen Frankreich und
England mußte Jedermann klar sein, daß für den Zollverein eine leider
schon allzulange verschobene Reform in der Richtung nach größrer Freiheit des
Verkehrs unabweisbare Nothwendigkeit sei, wenn er nicht vom Welthandel sich
allmälig ausgeschlossen sehen wollte. Der Vereinszolltarif hat sich von seiner ur¬
sprünglichen Grundlage (kein Zoll von Mannsalter höher als 10°/" des Werths)
längst entfernt, theils durch positive Erhöhungen des Zolles, theils mittelbar,
mit Rücksicht aus das geltende System des Gewichtszolles, in Folge der ver¬
änderten Preise, wodurch der Zoll bei geringern Waaren beinahe prvhibitiv
wird. Ueber die Nothwendigkeit einer Revision des Zolltarifs im Sinne einer
Ermäßigung konnte daher kaum ein Zweifel sein. Erfolgt die Tarifermäßigung
einfach im Wege der Vereinbarung unter den Zollvereinsregierungen, so pro-
fitiren die Nachbarstaaten davon natürlich ohne jede Gegenleistung; erfolgt sie


Tone voller Entschiedenheit für den Handelsvertrag, der ein paar Monate früher
von Regierung und Volksvertretung ausging. Und aus ähnlicher Tonart hören wir
jetzt bei uns gewisse Stimmen laut werden, noch vorsichtig und schüchtern,
aber von Leuten, die zu der „gewöhnlich gut unterrichteten Seite" gehören. Es
gibt Naturen mit einer besonders feinen Organisation für die Empfindung der
Windrichtung in den höhern Regionen; der stille Beobachter erdreistet sich solche
feiner organisirte Personen manchmal als Windfahnen zu benutzen, um zu er¬
kennen, wie in den ihm unzugänglichen höhern Schichten der Wind wehe.
Eine Beobachtung dieser Windfahnen bei uns führt zu dem Schlüsse, daß oben
der Wind.sich gedreht haben muß; seine Richtung folgt nicht mehr dem Kurs
der volkswirthschaftlichen Interessen Sachsens, sondern politischer Tendenz. Wir
scheinen bei uns in Bezug auf Zollverein und Handelsvertrag wieder im Fahr¬
wasser östreichisch-würzburger Politik zu treiben, und die stets bereitwilligen
Handlanger solcher Politik, die immer darauf hinausläuft, jede Position Preu¬
ßens zu hindern, jcderi gescheidten Vorschlag, der von dort ausgeht, zu hinter¬
treiben, beeilen sich, zum Theil vielleicht in unbequemen Diensteifer, durch eine
Fälschung der öffentlichen Meinung mitzuhelfen, indem sie glauben machen, die
allgemeine Stimme bei uns wolle nichts vom Handelsvertrag mehr wissen, er
widerstreite unsern Interessen. Solchen groben Irrthum darf man nicht auf¬
kommen lassen, und es ist Pflicht der sächsischen Industrie und des hierbei be¬
sonders betheiligten Mcßplatzes Leipzig hiergegen zu Protestiren und zu con-
statiren, daß das sächsische Interesse nur zu einem entschiedenen Eintreten für den
Handelsvertrag führen und daß eine andre Auffassung nur Platz greisen
kann, wenn man den Handelsvertrag lediglich benutzt als Mittel für einen der
Sache selbst fremden politischen Zweck, wenn man das volkswirtschaftliche Inter¬
esse des Landes aufopfern will zu Gunsten einer politischen Machination.

Die Sache liegt für Sachsen in der That ziemlich einfach. Seit dem im
Januar 1860 erfolgten Abschluß des Handelsvertrags zwischen Frankreich und
England mußte Jedermann klar sein, daß für den Zollverein eine leider
schon allzulange verschobene Reform in der Richtung nach größrer Freiheit des
Verkehrs unabweisbare Nothwendigkeit sei, wenn er nicht vom Welthandel sich
allmälig ausgeschlossen sehen wollte. Der Vereinszolltarif hat sich von seiner ur¬
sprünglichen Grundlage (kein Zoll von Mannsalter höher als 10°/« des Werths)
längst entfernt, theils durch positive Erhöhungen des Zolles, theils mittelbar,
mit Rücksicht aus das geltende System des Gewichtszolles, in Folge der ver¬
änderten Preise, wodurch der Zoll bei geringern Waaren beinahe prvhibitiv
wird. Ueber die Nothwendigkeit einer Revision des Zolltarifs im Sinne einer
Ermäßigung konnte daher kaum ein Zweifel sein. Erfolgt die Tarifermäßigung
einfach im Wege der Vereinbarung unter den Zollvereinsregierungen, so pro-
fitiren die Nachbarstaaten davon natürlich ohne jede Gegenleistung; erfolgt sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115142"/>
          <p xml:id="ID_907" prev="#ID_906"> Tone voller Entschiedenheit für den Handelsvertrag, der ein paar Monate früher<lb/>
von Regierung und Volksvertretung ausging. Und aus ähnlicher Tonart hören wir<lb/>
jetzt bei uns gewisse Stimmen laut werden, noch vorsichtig und schüchtern,<lb/>
aber von Leuten, die zu der &#x201E;gewöhnlich gut unterrichteten Seite" gehören. Es<lb/>
gibt Naturen mit einer besonders feinen Organisation für die Empfindung der<lb/>
Windrichtung in den höhern Regionen; der stille Beobachter erdreistet sich solche<lb/>
feiner organisirte Personen manchmal als Windfahnen zu benutzen, um zu er¬<lb/>
kennen, wie in den ihm unzugänglichen höhern Schichten der Wind wehe.<lb/>
Eine Beobachtung dieser Windfahnen bei uns führt zu dem Schlüsse, daß oben<lb/>
der Wind.sich gedreht haben muß; seine Richtung folgt nicht mehr dem Kurs<lb/>
der volkswirthschaftlichen Interessen Sachsens, sondern politischer Tendenz. Wir<lb/>
scheinen bei uns in Bezug auf Zollverein und Handelsvertrag wieder im Fahr¬<lb/>
wasser östreichisch-würzburger Politik zu treiben, und die stets bereitwilligen<lb/>
Handlanger solcher Politik, die immer darauf hinausläuft, jede Position Preu¬<lb/>
ßens zu hindern, jcderi gescheidten Vorschlag, der von dort ausgeht, zu hinter¬<lb/>
treiben, beeilen sich, zum Theil vielleicht in unbequemen Diensteifer, durch eine<lb/>
Fälschung der öffentlichen Meinung mitzuhelfen, indem sie glauben machen, die<lb/>
allgemeine Stimme bei uns wolle nichts vom Handelsvertrag mehr wissen, er<lb/>
widerstreite unsern Interessen. Solchen groben Irrthum darf man nicht auf¬<lb/>
kommen lassen, und es ist Pflicht der sächsischen Industrie und des hierbei be¬<lb/>
sonders betheiligten Mcßplatzes Leipzig hiergegen zu Protestiren und zu con-<lb/>
statiren, daß das sächsische Interesse nur zu einem entschiedenen Eintreten für den<lb/>
Handelsvertrag führen und daß eine andre Auffassung nur Platz greisen<lb/>
kann, wenn man den Handelsvertrag lediglich benutzt als Mittel für einen der<lb/>
Sache selbst fremden politischen Zweck, wenn man das volkswirtschaftliche Inter¬<lb/>
esse des Landes aufopfern will zu Gunsten einer politischen Machination.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_908" next="#ID_909"> Die Sache liegt für Sachsen in der That ziemlich einfach. Seit dem im<lb/>
Januar 1860 erfolgten Abschluß des Handelsvertrags zwischen Frankreich und<lb/>
England mußte Jedermann klar sein, daß für den Zollverein eine leider<lb/>
schon allzulange verschobene Reform in der Richtung nach größrer Freiheit des<lb/>
Verkehrs unabweisbare Nothwendigkeit sei, wenn er nicht vom Welthandel sich<lb/>
allmälig ausgeschlossen sehen wollte. Der Vereinszolltarif hat sich von seiner ur¬<lb/>
sprünglichen Grundlage (kein Zoll von Mannsalter höher als 10°/« des Werths)<lb/>
längst entfernt, theils durch positive Erhöhungen des Zolles, theils mittelbar,<lb/>
mit Rücksicht aus das geltende System des Gewichtszolles, in Folge der ver¬<lb/>
änderten Preise, wodurch der Zoll bei geringern Waaren beinahe prvhibitiv<lb/>
wird. Ueber die Nothwendigkeit einer Revision des Zolltarifs im Sinne einer<lb/>
Ermäßigung konnte daher kaum ein Zweifel sein. Erfolgt die Tarifermäßigung<lb/>
einfach im Wege der Vereinbarung unter den Zollvereinsregierungen, so pro-<lb/>
fitiren die Nachbarstaaten davon natürlich ohne jede Gegenleistung; erfolgt sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0290] Tone voller Entschiedenheit für den Handelsvertrag, der ein paar Monate früher von Regierung und Volksvertretung ausging. Und aus ähnlicher Tonart hören wir jetzt bei uns gewisse Stimmen laut werden, noch vorsichtig und schüchtern, aber von Leuten, die zu der „gewöhnlich gut unterrichteten Seite" gehören. Es gibt Naturen mit einer besonders feinen Organisation für die Empfindung der Windrichtung in den höhern Regionen; der stille Beobachter erdreistet sich solche feiner organisirte Personen manchmal als Windfahnen zu benutzen, um zu er¬ kennen, wie in den ihm unzugänglichen höhern Schichten der Wind wehe. Eine Beobachtung dieser Windfahnen bei uns führt zu dem Schlüsse, daß oben der Wind.sich gedreht haben muß; seine Richtung folgt nicht mehr dem Kurs der volkswirthschaftlichen Interessen Sachsens, sondern politischer Tendenz. Wir scheinen bei uns in Bezug auf Zollverein und Handelsvertrag wieder im Fahr¬ wasser östreichisch-würzburger Politik zu treiben, und die stets bereitwilligen Handlanger solcher Politik, die immer darauf hinausläuft, jede Position Preu¬ ßens zu hindern, jcderi gescheidten Vorschlag, der von dort ausgeht, zu hinter¬ treiben, beeilen sich, zum Theil vielleicht in unbequemen Diensteifer, durch eine Fälschung der öffentlichen Meinung mitzuhelfen, indem sie glauben machen, die allgemeine Stimme bei uns wolle nichts vom Handelsvertrag mehr wissen, er widerstreite unsern Interessen. Solchen groben Irrthum darf man nicht auf¬ kommen lassen, und es ist Pflicht der sächsischen Industrie und des hierbei be¬ sonders betheiligten Mcßplatzes Leipzig hiergegen zu Protestiren und zu con- statiren, daß das sächsische Interesse nur zu einem entschiedenen Eintreten für den Handelsvertrag führen und daß eine andre Auffassung nur Platz greisen kann, wenn man den Handelsvertrag lediglich benutzt als Mittel für einen der Sache selbst fremden politischen Zweck, wenn man das volkswirtschaftliche Inter¬ esse des Landes aufopfern will zu Gunsten einer politischen Machination. Die Sache liegt für Sachsen in der That ziemlich einfach. Seit dem im Januar 1860 erfolgten Abschluß des Handelsvertrags zwischen Frankreich und England mußte Jedermann klar sein, daß für den Zollverein eine leider schon allzulange verschobene Reform in der Richtung nach größrer Freiheit des Verkehrs unabweisbare Nothwendigkeit sei, wenn er nicht vom Welthandel sich allmälig ausgeschlossen sehen wollte. Der Vereinszolltarif hat sich von seiner ur¬ sprünglichen Grundlage (kein Zoll von Mannsalter höher als 10°/« des Werths) längst entfernt, theils durch positive Erhöhungen des Zolles, theils mittelbar, mit Rücksicht aus das geltende System des Gewichtszolles, in Folge der ver¬ änderten Preise, wodurch der Zoll bei geringern Waaren beinahe prvhibitiv wird. Ueber die Nothwendigkeit einer Revision des Zolltarifs im Sinne einer Ermäßigung konnte daher kaum ein Zweifel sein. Erfolgt die Tarifermäßigung einfach im Wege der Vereinbarung unter den Zollvereinsregierungen, so pro- fitiren die Nachbarstaaten davon natürlich ohne jede Gegenleistung; erfolgt sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/290
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/290>, abgerufen am 16.05.2024.