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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Ludwig Uhland.

Wer von der Neckarseite die alte Universitätsstadt Tübingen betritt, erblickt,
indem er die steinerne Brücke überschreitet, gerade vor sich ein freundliches Haus,
dessen Balkon die freie Aussicht ins Neckarthal auf- und abwärts bietet, wäh¬
rend es rückwärts an die aufsteigenden Rebenberge gelehnt ist. Hart daran
stößt ein Garten mit vorspringender, von Bäumen überschatteter Terrasse, der
bis vor kurzer Zeit der Tübinger Burschenschaft gehörte, und in welchem so
manchen Abend Lieder ertönten, die demjenigen wohl bekannt waren, der jenes
Haus seit vielen Jahren bewohnte: aus seinem eigenen Munde waren einst
die Lieder von der "Wirthin Töchterlein" und vom "guten Kameraden" und
"Was klinget und singet die Straße herauf?" und das Lied vom 18. October
"Wenn heut ein Geist herniederstiege" ausgegangen, um in den Herzen des
Volks, vor Allem der Jugend, ihren Wiederhall zu finden. Es war ein Zufall,
daß der Garten der Burschenschaft an Ludwig Uhlands Haus stieß, aber ein
schöner Zufall. War doch der Dichter selbst eng verflochten mit derjenigen
Zeit, welche der Burschenschaft das Leben gab, sah doch der greise Sänger das,
was in seiner Jugend, ihm der Gott eingegeben, in jugendlichem Munde immer
wieder frisches Leben gewinnen; man durfte in dieser fast persönlichen Berüh¬
rung ein Symbol des engen Bündnisses sehen, das in Uhland Poesie und
Leben mit einander eingegangen hatten.

Wer den schlichten Greis nicht kannte und ihm von ungefähr begegnete,
mochte in den großen, energischen, fast unschönen Zügen des Gesichts schwerlich
den Sänger von tiefempfundenen Liedern vermuthen. Nur das große blaue
Auge verrieth die tiefe Seele, die hohe Stirn den ernsten Forscher. Auch waren
diejenigen in der Regel enttäuscht, welche nur in oberflächlicher Weise mit dem
Dichter bekannt wurden, zumal Fremde, welche seine Bekanntschaft aufsuchten
und nicht dazu gelangten, durch die harte Schaale seines Wesens bis zum
Kern hindurchzudringen. Denn Uhland hatte in vollem Maße jene Eigen¬
thümlichkeit, die so oft auch bei begabten Söhnen seines Stamms gefunden
wird: er war eckig in seinen Formen, trocken im Umgang, schweigsam, schüchtern.
Dies steigerte sich nur, wenn ihm ein Lob entgegengebracht wurde, oder wenn er


Grenzboten IV- 1362. 51
Ludwig Uhland.

Wer von der Neckarseite die alte Universitätsstadt Tübingen betritt, erblickt,
indem er die steinerne Brücke überschreitet, gerade vor sich ein freundliches Haus,
dessen Balkon die freie Aussicht ins Neckarthal auf- und abwärts bietet, wäh¬
rend es rückwärts an die aufsteigenden Rebenberge gelehnt ist. Hart daran
stößt ein Garten mit vorspringender, von Bäumen überschatteter Terrasse, der
bis vor kurzer Zeit der Tübinger Burschenschaft gehörte, und in welchem so
manchen Abend Lieder ertönten, die demjenigen wohl bekannt waren, der jenes
Haus seit vielen Jahren bewohnte: aus seinem eigenen Munde waren einst
die Lieder von der „Wirthin Töchterlein" und vom „guten Kameraden" und
„Was klinget und singet die Straße herauf?" und das Lied vom 18. October
„Wenn heut ein Geist herniederstiege" ausgegangen, um in den Herzen des
Volks, vor Allem der Jugend, ihren Wiederhall zu finden. Es war ein Zufall,
daß der Garten der Burschenschaft an Ludwig Uhlands Haus stieß, aber ein
schöner Zufall. War doch der Dichter selbst eng verflochten mit derjenigen
Zeit, welche der Burschenschaft das Leben gab, sah doch der greise Sänger das,
was in seiner Jugend, ihm der Gott eingegeben, in jugendlichem Munde immer
wieder frisches Leben gewinnen; man durfte in dieser fast persönlichen Berüh¬
rung ein Symbol des engen Bündnisses sehen, das in Uhland Poesie und
Leben mit einander eingegangen hatten.

Wer den schlichten Greis nicht kannte und ihm von ungefähr begegnete,
mochte in den großen, energischen, fast unschönen Zügen des Gesichts schwerlich
den Sänger von tiefempfundenen Liedern vermuthen. Nur das große blaue
Auge verrieth die tiefe Seele, die hohe Stirn den ernsten Forscher. Auch waren
diejenigen in der Regel enttäuscht, welche nur in oberflächlicher Weise mit dem
Dichter bekannt wurden, zumal Fremde, welche seine Bekanntschaft aufsuchten
und nicht dazu gelangten, durch die harte Schaale seines Wesens bis zum
Kern hindurchzudringen. Denn Uhland hatte in vollem Maße jene Eigen¬
thümlichkeit, die so oft auch bei begabten Söhnen seines Stamms gefunden
wird: er war eckig in seinen Formen, trocken im Umgang, schweigsam, schüchtern.
Dies steigerte sich nur, wenn ihm ein Lob entgegengebracht wurde, oder wenn er


Grenzboten IV- 1362. 51
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[0415] Ludwig Uhland. Wer von der Neckarseite die alte Universitätsstadt Tübingen betritt, erblickt, indem er die steinerne Brücke überschreitet, gerade vor sich ein freundliches Haus, dessen Balkon die freie Aussicht ins Neckarthal auf- und abwärts bietet, wäh¬ rend es rückwärts an die aufsteigenden Rebenberge gelehnt ist. Hart daran stößt ein Garten mit vorspringender, von Bäumen überschatteter Terrasse, der bis vor kurzer Zeit der Tübinger Burschenschaft gehörte, und in welchem so manchen Abend Lieder ertönten, die demjenigen wohl bekannt waren, der jenes Haus seit vielen Jahren bewohnte: aus seinem eigenen Munde waren einst die Lieder von der „Wirthin Töchterlein" und vom „guten Kameraden" und „Was klinget und singet die Straße herauf?" und das Lied vom 18. October „Wenn heut ein Geist herniederstiege" ausgegangen, um in den Herzen des Volks, vor Allem der Jugend, ihren Wiederhall zu finden. Es war ein Zufall, daß der Garten der Burschenschaft an Ludwig Uhlands Haus stieß, aber ein schöner Zufall. War doch der Dichter selbst eng verflochten mit derjenigen Zeit, welche der Burschenschaft das Leben gab, sah doch der greise Sänger das, was in seiner Jugend, ihm der Gott eingegeben, in jugendlichem Munde immer wieder frisches Leben gewinnen; man durfte in dieser fast persönlichen Berüh¬ rung ein Symbol des engen Bündnisses sehen, das in Uhland Poesie und Leben mit einander eingegangen hatten. Wer den schlichten Greis nicht kannte und ihm von ungefähr begegnete, mochte in den großen, energischen, fast unschönen Zügen des Gesichts schwerlich den Sänger von tiefempfundenen Liedern vermuthen. Nur das große blaue Auge verrieth die tiefe Seele, die hohe Stirn den ernsten Forscher. Auch waren diejenigen in der Regel enttäuscht, welche nur in oberflächlicher Weise mit dem Dichter bekannt wurden, zumal Fremde, welche seine Bekanntschaft aufsuchten und nicht dazu gelangten, durch die harte Schaale seines Wesens bis zum Kern hindurchzudringen. Denn Uhland hatte in vollem Maße jene Eigen¬ thümlichkeit, die so oft auch bei begabten Söhnen seines Stamms gefunden wird: er war eckig in seinen Formen, trocken im Umgang, schweigsam, schüchtern. Dies steigerte sich nur, wenn ihm ein Lob entgegengebracht wurde, oder wenn er Grenzboten IV- 1362. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/415>, abgerufen am 28.04.2024.