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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Die Zustände in Preußen.

In dem Kampf der Gegensätze, welcher seit dem Schluß der Sommer
Session durch Demonstrationen fortgeführt wurde, ist eine Pause eingetreten.
Die Abgeordneten der Majorität sind in ihrer Heimath von den Wählern
freudig begrüßt worden, haben ihren Bericht abgestattet und bereiten sich durch
Korrespondenz und stille Berathungen auf den Streit des nächsten Jahres vor. Die
Deputationen, welche durch die Junkerpartei an das Hoflager des Königs be¬
fördert wurden, hängen langsam ihre Fest, sele an den Nagel und suchen sich
jetzt gegen die Angriffe zu wehren, mit denen ihre Nachbarn nicht sparsam sind.

Aber die letzten Wochen seit Entlassung des Abgeordnetenhauses sind
bedeutsam für die nächste Zukunft Preußens geworden. Eine conservative Mi¬
norität hat sich fest organisirt und gerüstet, das gegenwärtige Ministerium zu
erhalten, an ihrer Spitze die Hofpartei, die große Mehrzahl der höheren
Offiziere, eine Anzahl Beamter und die Stimmführer des Landadels. Kleist-
Netzow ist jetzt einer von den stillen Rathgebern der Krone Preußens gewor¬
den. Und das Königthum in Preußen hat sich aller Vortheile, welche das Ver¬
fassungsleben der Krone darbietet, selbstwillig begeben, König Wilhelm hat sei¬
nen persönlichen Willen in der entschiedensten und ungewöhnlichsten Weise
gegen die Majorität seiner Volksvertreter geltend gemacht, er selbst hat sein
Volk aufgefordert, zwischen königlichem und parlamentarischem Regiment zu
wählen. Und er hat dadurch dem politischen Kampf eine neue Grundlage und
neue Zielpunkte gegeben.

Es handelt sich in Preußen jetzt durchaus nicht mehr um die Militär-
organisation und zweijährige Dienstzeit, sondern darum, ob das Regiment
nach dem zufälligen Willen der Majestät und nach den Einwirkungen der königlichen
Umgebung, oder ob dasselbe in gesetzlichen Formen durch die Uebereinstimmung
der Volksmajorität mit den höchsten Beamten der Krone geleitet werden soll.

Die Bemühungen des Königs, durch persönliche Einwirkung aus Einzelne
die Herzen seines Volkes für einen Lieblingsplan zu gewinnen, werden sich als
vergeblich erweisen. Der Preuße weiß recht wohl, daß sein König bei
diesem gewagten Versuche nicht seinen eigenen Vortheil, sondern den des Staa¬
tes vor Augen hatte; es ist dem Preußen gar nicht gleichgültig, wenn man in
ganz Europa die Parteinahme seines Königs für Unpopuläres mit dem egoisti¬
schen Widerstand des Kurfürsten von Hessen gegen die Verfassung auf gleiche
Linie stellt; ja der Preuße gibt zu, daß sein König Beharrlichkeit und festen


Die Zustände in Preußen.

In dem Kampf der Gegensätze, welcher seit dem Schluß der Sommer
Session durch Demonstrationen fortgeführt wurde, ist eine Pause eingetreten.
Die Abgeordneten der Majorität sind in ihrer Heimath von den Wählern
freudig begrüßt worden, haben ihren Bericht abgestattet und bereiten sich durch
Korrespondenz und stille Berathungen auf den Streit des nächsten Jahres vor. Die
Deputationen, welche durch die Junkerpartei an das Hoflager des Königs be¬
fördert wurden, hängen langsam ihre Fest, sele an den Nagel und suchen sich
jetzt gegen die Angriffe zu wehren, mit denen ihre Nachbarn nicht sparsam sind.

Aber die letzten Wochen seit Entlassung des Abgeordnetenhauses sind
bedeutsam für die nächste Zukunft Preußens geworden. Eine conservative Mi¬
norität hat sich fest organisirt und gerüstet, das gegenwärtige Ministerium zu
erhalten, an ihrer Spitze die Hofpartei, die große Mehrzahl der höheren
Offiziere, eine Anzahl Beamter und die Stimmführer des Landadels. Kleist-
Netzow ist jetzt einer von den stillen Rathgebern der Krone Preußens gewor¬
den. Und das Königthum in Preußen hat sich aller Vortheile, welche das Ver¬
fassungsleben der Krone darbietet, selbstwillig begeben, König Wilhelm hat sei¬
nen persönlichen Willen in der entschiedensten und ungewöhnlichsten Weise
gegen die Majorität seiner Volksvertreter geltend gemacht, er selbst hat sein
Volk aufgefordert, zwischen königlichem und parlamentarischem Regiment zu
wählen. Und er hat dadurch dem politischen Kampf eine neue Grundlage und
neue Zielpunkte gegeben.

Es handelt sich in Preußen jetzt durchaus nicht mehr um die Militär-
organisation und zweijährige Dienstzeit, sondern darum, ob das Regiment
nach dem zufälligen Willen der Majestät und nach den Einwirkungen der königlichen
Umgebung, oder ob dasselbe in gesetzlichen Formen durch die Uebereinstimmung
der Volksmajorität mit den höchsten Beamten der Krone geleitet werden soll.

Die Bemühungen des Königs, durch persönliche Einwirkung aus Einzelne
die Herzen seines Volkes für einen Lieblingsplan zu gewinnen, werden sich als
vergeblich erweisen. Der Preuße weiß recht wohl, daß sein König bei
diesem gewagten Versuche nicht seinen eigenen Vortheil, sondern den des Staa¬
tes vor Augen hatte; es ist dem Preußen gar nicht gleichgültig, wenn man in
ganz Europa die Parteinahme seines Königs für Unpopuläres mit dem egoisti¬
schen Widerstand des Kurfürsten von Hessen gegen die Verfassung auf gleiche
Linie stellt; ja der Preuße gibt zu, daß sein König Beharrlichkeit und festen


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[0481] Die Zustände in Preußen. In dem Kampf der Gegensätze, welcher seit dem Schluß der Sommer Session durch Demonstrationen fortgeführt wurde, ist eine Pause eingetreten. Die Abgeordneten der Majorität sind in ihrer Heimath von den Wählern freudig begrüßt worden, haben ihren Bericht abgestattet und bereiten sich durch Korrespondenz und stille Berathungen auf den Streit des nächsten Jahres vor. Die Deputationen, welche durch die Junkerpartei an das Hoflager des Königs be¬ fördert wurden, hängen langsam ihre Fest, sele an den Nagel und suchen sich jetzt gegen die Angriffe zu wehren, mit denen ihre Nachbarn nicht sparsam sind. Aber die letzten Wochen seit Entlassung des Abgeordnetenhauses sind bedeutsam für die nächste Zukunft Preußens geworden. Eine conservative Mi¬ norität hat sich fest organisirt und gerüstet, das gegenwärtige Ministerium zu erhalten, an ihrer Spitze die Hofpartei, die große Mehrzahl der höheren Offiziere, eine Anzahl Beamter und die Stimmführer des Landadels. Kleist- Netzow ist jetzt einer von den stillen Rathgebern der Krone Preußens gewor¬ den. Und das Königthum in Preußen hat sich aller Vortheile, welche das Ver¬ fassungsleben der Krone darbietet, selbstwillig begeben, König Wilhelm hat sei¬ nen persönlichen Willen in der entschiedensten und ungewöhnlichsten Weise gegen die Majorität seiner Volksvertreter geltend gemacht, er selbst hat sein Volk aufgefordert, zwischen königlichem und parlamentarischem Regiment zu wählen. Und er hat dadurch dem politischen Kampf eine neue Grundlage und neue Zielpunkte gegeben. Es handelt sich in Preußen jetzt durchaus nicht mehr um die Militär- organisation und zweijährige Dienstzeit, sondern darum, ob das Regiment nach dem zufälligen Willen der Majestät und nach den Einwirkungen der königlichen Umgebung, oder ob dasselbe in gesetzlichen Formen durch die Uebereinstimmung der Volksmajorität mit den höchsten Beamten der Krone geleitet werden soll. Die Bemühungen des Königs, durch persönliche Einwirkung aus Einzelne die Herzen seines Volkes für einen Lieblingsplan zu gewinnen, werden sich als vergeblich erweisen. Der Preuße weiß recht wohl, daß sein König bei diesem gewagten Versuche nicht seinen eigenen Vortheil, sondern den des Staa¬ tes vor Augen hatte; es ist dem Preußen gar nicht gleichgültig, wenn man in ganz Europa die Parteinahme seines Königs für Unpopuläres mit dem egoisti¬ schen Widerstand des Kurfürsten von Hessen gegen die Verfassung auf gleiche Linie stellt; ja der Preuße gibt zu, daß sein König Beharrlichkeit und festen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/481>, abgerufen am 28.04.2024.