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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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gegen geistigeren Aufschwung und insbesondere der Entwöhnung von festen
Rechtsbegriffen zur Hand gehalten haben. Daran sollen sich die politischen
Reformbestrebungen der Gegenwart ein Beispiel nehmen und ernstlich daran den¬
ken^ was bishers nur zuweilen und ganz beiläufig öffentlich verhandelt wor¬
den ist: wie wenig der Zustand der Universitäten jener Aufgabe entspricht, wie
wenig in denselben ein festes Rechtsgefühl als Gemeingeist lebendig ist und ge¬
pflegt wird, und wie dringende Reformen also hier unumgänglich nöthig sind.

Fragt man, 'wie es an den berühmten und beliebten Musensitzen Deutsch¬
lands mit der Achtung vor festen Gesetzen steh), wie hier die Jugend an das
Gefühl der Bedingtheit des öffentlichen Lebens durch die Macht des Rechts
praktisch gewöhnt wird -- ,MKoiIk est., Sallian' von Lei'idLik". Es ist
aber Pflicht, dieser Versuchung zu widerstehen, Es M schon viel zu sehr
bei uns Allen in Deutschland und besonders aus den Universitäten selbst
eingebürgert, die grellen Widersprüche von Gesetz und Praxis im akademischen
Leben nur mit Heiterkeit von der lächerlichen Seite aufzufassen. Wo nur
Professoren oder Studenten, geistreiche oder dumme, aus den verschiedenen
Gauen des Vaterlandes zusammenkommen, bilden derartige Anekdoten ein
Lieblingsthema bequemer scherzhafter Konversation. Dies ist selbst der schla¬
gendste Beweis, wie tief das schleichende Gift der Gewöhnung die Ueberzeugungen
bereits verdorben hat. Tacitus konnte von den Deutschen rühmen: "nemo illie
vitig. Med". Die Zeiten sind freilich jetzt überhaupt vorbei; aber so naiv wie auf
den Universitäten wird doch wohl noch immer in keinem Kreise unseres Volkes
das gesetzlich Unstatthafte öffentlich besprochen. Dieser frivolen Naivetät gegen¬
über ist es Zeit, endlich einmal einfach mit sittlichem Ernst das Kind beim
rechten Namen zu nennen. Es wird dafür auch im Einzelnen gar nicht viel
Neues zu berichten, sondern an die fast allgemein bekannten und fast in allen
einzelnen Landen gleichen Zustände der gerade Maßstab eines unverdorbenen
Rechtsbewußtseins anzulegen sein. Dies kann am leichtesten in Kürze durch
eine Beleuchtung von drei im Einzelnen schon mehrfach discutirten Institutionen
des akademischen Lebens geschehen, welche, wie leicht zu zeigen sein wird, im
innigsten Zusammenhange stehen und daher auch nur zusammenhängend einer
Reform unterworfen werden können; es ist der eximirte Gerichtsstand, die Stu¬
dentenverbindungen und das Studentenduell. Auf diese stützt und in diesen
manifestirt sich der Geist der Verhöhnung von Recht und Sitte, welcher die
Universitäten auszeichnet.

' l.
Der eximirte G e r i es t s se a n d.

Die Grundlage der eigenthümlichen Stellung, welche das akademische Leben
gegenüber dem gemeinen bürgerlichen einnimmt und welche unter dem Namen der
akademischen Freiheit viel gefeiert wird, liegt in dem besondern Rechtszustande,


gegen geistigeren Aufschwung und insbesondere der Entwöhnung von festen
Rechtsbegriffen zur Hand gehalten haben. Daran sollen sich die politischen
Reformbestrebungen der Gegenwart ein Beispiel nehmen und ernstlich daran den¬
ken^ was bishers nur zuweilen und ganz beiläufig öffentlich verhandelt wor¬
den ist: wie wenig der Zustand der Universitäten jener Aufgabe entspricht, wie
wenig in denselben ein festes Rechtsgefühl als Gemeingeist lebendig ist und ge¬
pflegt wird, und wie dringende Reformen also hier unumgänglich nöthig sind.

Fragt man, 'wie es an den berühmten und beliebten Musensitzen Deutsch¬
lands mit der Achtung vor festen Gesetzen steh), wie hier die Jugend an das
Gefühl der Bedingtheit des öffentlichen Lebens durch die Macht des Rechts
praktisch gewöhnt wird — ,MKoiIk est., Sallian' von Lei'idLik". Es ist
aber Pflicht, dieser Versuchung zu widerstehen, Es M schon viel zu sehr
bei uns Allen in Deutschland und besonders aus den Universitäten selbst
eingebürgert, die grellen Widersprüche von Gesetz und Praxis im akademischen
Leben nur mit Heiterkeit von der lächerlichen Seite aufzufassen. Wo nur
Professoren oder Studenten, geistreiche oder dumme, aus den verschiedenen
Gauen des Vaterlandes zusammenkommen, bilden derartige Anekdoten ein
Lieblingsthema bequemer scherzhafter Konversation. Dies ist selbst der schla¬
gendste Beweis, wie tief das schleichende Gift der Gewöhnung die Ueberzeugungen
bereits verdorben hat. Tacitus konnte von den Deutschen rühmen: „nemo illie
vitig. Med". Die Zeiten sind freilich jetzt überhaupt vorbei; aber so naiv wie auf
den Universitäten wird doch wohl noch immer in keinem Kreise unseres Volkes
das gesetzlich Unstatthafte öffentlich besprochen. Dieser frivolen Naivetät gegen¬
über ist es Zeit, endlich einmal einfach mit sittlichem Ernst das Kind beim
rechten Namen zu nennen. Es wird dafür auch im Einzelnen gar nicht viel
Neues zu berichten, sondern an die fast allgemein bekannten und fast in allen
einzelnen Landen gleichen Zustände der gerade Maßstab eines unverdorbenen
Rechtsbewußtseins anzulegen sein. Dies kann am leichtesten in Kürze durch
eine Beleuchtung von drei im Einzelnen schon mehrfach discutirten Institutionen
des akademischen Lebens geschehen, welche, wie leicht zu zeigen sein wird, im
innigsten Zusammenhange stehen und daher auch nur zusammenhängend einer
Reform unterworfen werden können; es ist der eximirte Gerichtsstand, die Stu¬
dentenverbindungen und das Studentenduell. Auf diese stützt und in diesen
manifestirt sich der Geist der Verhöhnung von Recht und Sitte, welcher die
Universitäten auszeichnet.

' l.
Der eximirte G e r i es t s se a n d.

Die Grundlage der eigenthümlichen Stellung, welche das akademische Leben
gegenüber dem gemeinen bürgerlichen einnimmt und welche unter dem Namen der
akademischen Freiheit viel gefeiert wird, liegt in dem besondern Rechtszustande,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/50>, abgerufen am 28.04.2024.