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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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wonach den Studenten (und an manchen Orten auch den Professoren) ein
cximirter Gerichtsstand vor den akademischen Senaten oder deren Organen
angewiesen ist. Diese akademische Gerichtsbarkeit leidet nicht nur in Hinsicht auf
das Verfahren an den auffallendsten Mängeln, indem dasselbe zu wenig ge¬
regelt, der patriarchalischen Willkür zu viel Spielraum gegeben und die Hand¬
habung der Gesetze zu lax ist, sondern zeigt ihre gefährlichen und schädlichen
Seiten hauptsächlich auch darin, daß sie neben den officiellen Gesetzen noch viele
nur officiös existirende, darum nicht minder wirksame, nur minder klar geregelte
Grundlagen hat. Die Folge von Beidem ist, daß sich unvermeidlich mit und
neben diesem eigenthümlichen Rechtszustande auch eine eigene eximirte Moral
der des einfachen bürgerlichen Gemeinlebens gegenüber bei allen Betheiligten
ausbildet.

Zuerst also in Betreff des Verfahrens ist die akademische Gerichtsbarkeit herz¬
lich schlecht und wird fast von allen gemeinen Gerichten in deutschen Landen
weit übertroffen. Die akademischen Gerichte haben den Studenten gegenüber
alle Zweige des Rechts mit Ausnahme peinlicher Criminalfülle zu vertreten
und, während der gemeine Proceß jetzt überall die wohlgeregelten und scharf
unterschiedenen Proceduren des Civil-und Strafproccsses besitzt Und bei letzterem
namentlich die Voruntersuchungen von der öffentlich-mündlichen Hauptverhand¬
lung streng gesondert werden, hat das patriarchalische Forum der Senate für
alles dies nur das wüste Chaos eines fast für alle Fälle gleichen Disziplinar¬
verfahrens. Schuldenklagen, Strafsachen, Injurien werden ganz willkürlich bald
nur in Folge besonderer Anträge von Betheiligten, bald auf Grund von bloßen
Denunciationen der Cvgnition der Behörde unterworfen und ebenso willkürlich
nach Befinden unterdrückt oder abgeurtheilt. Die Studenten werden vorgeladen
und vernommen nicht als Ankläger oder Beschuldigte, Kläger und Beklagte, son¬
dern kommen nur überhaupt und als der Disciplinargewalt der Behörde unter¬
worfene Subjecte in Betrachtung. Hieraus entsteht zunächst der ganz gewöhn¬
liche Gebrauch, daß die Studentenmvral sich in allen Fällen auf das Recht des
Läugnens stützt, das im gemeinrechtlichen Proceß nur dein beklagten Verbrecher
zugestanden wird, während im Civilverfahren nöthigenfalls die Verpflichtung
zur Wahrheit durch Eideszuschiebung eindringlich gemacht werden kann. Ferner
ist hieraus die natürliche Abneigung leicht verständlich, die der Student haben
muß, von freien Stücken als Verletzter vor einem solchen Gerichte aufzutreten
und seine Sache gegen einen Beschuldigten zu führen. Denn er wird dadurch
nicht handelnde Person im Rechtsstreit, sondern wirkt nur einleitend als Denun¬
ciant und wird im Verlauf einfach Mitverwickelter. Er kann auch schließlich
kein Erkenntniß auf eine, etwa einem von ihm zu stellenden Antrage entsprechende
und ihm zu leistende, Satisfaction erlangen, sondern nur eine Disciplinar-
bcstrasung eines andern herbeiführen. Dies sind die unvermeidlichen Folgen


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wonach den Studenten (und an manchen Orten auch den Professoren) ein
cximirter Gerichtsstand vor den akademischen Senaten oder deren Organen
angewiesen ist. Diese akademische Gerichtsbarkeit leidet nicht nur in Hinsicht auf
das Verfahren an den auffallendsten Mängeln, indem dasselbe zu wenig ge¬
regelt, der patriarchalischen Willkür zu viel Spielraum gegeben und die Hand¬
habung der Gesetze zu lax ist, sondern zeigt ihre gefährlichen und schädlichen
Seiten hauptsächlich auch darin, daß sie neben den officiellen Gesetzen noch viele
nur officiös existirende, darum nicht minder wirksame, nur minder klar geregelte
Grundlagen hat. Die Folge von Beidem ist, daß sich unvermeidlich mit und
neben diesem eigenthümlichen Rechtszustande auch eine eigene eximirte Moral
der des einfachen bürgerlichen Gemeinlebens gegenüber bei allen Betheiligten
ausbildet.

Zuerst also in Betreff des Verfahrens ist die akademische Gerichtsbarkeit herz¬
lich schlecht und wird fast von allen gemeinen Gerichten in deutschen Landen
weit übertroffen. Die akademischen Gerichte haben den Studenten gegenüber
alle Zweige des Rechts mit Ausnahme peinlicher Criminalfülle zu vertreten
und, während der gemeine Proceß jetzt überall die wohlgeregelten und scharf
unterschiedenen Proceduren des Civil-und Strafproccsses besitzt Und bei letzterem
namentlich die Voruntersuchungen von der öffentlich-mündlichen Hauptverhand¬
lung streng gesondert werden, hat das patriarchalische Forum der Senate für
alles dies nur das wüste Chaos eines fast für alle Fälle gleichen Disziplinar¬
verfahrens. Schuldenklagen, Strafsachen, Injurien werden ganz willkürlich bald
nur in Folge besonderer Anträge von Betheiligten, bald auf Grund von bloßen
Denunciationen der Cvgnition der Behörde unterworfen und ebenso willkürlich
nach Befinden unterdrückt oder abgeurtheilt. Die Studenten werden vorgeladen
und vernommen nicht als Ankläger oder Beschuldigte, Kläger und Beklagte, son¬
dern kommen nur überhaupt und als der Disciplinargewalt der Behörde unter¬
worfene Subjecte in Betrachtung. Hieraus entsteht zunächst der ganz gewöhn¬
liche Gebrauch, daß die Studentenmvral sich in allen Fällen auf das Recht des
Läugnens stützt, das im gemeinrechtlichen Proceß nur dein beklagten Verbrecher
zugestanden wird, während im Civilverfahren nöthigenfalls die Verpflichtung
zur Wahrheit durch Eideszuschiebung eindringlich gemacht werden kann. Ferner
ist hieraus die natürliche Abneigung leicht verständlich, die der Student haben
muß, von freien Stücken als Verletzter vor einem solchen Gerichte aufzutreten
und seine Sache gegen einen Beschuldigten zu führen. Denn er wird dadurch
nicht handelnde Person im Rechtsstreit, sondern wirkt nur einleitend als Denun¬
ciant und wird im Verlauf einfach Mitverwickelter. Er kann auch schließlich
kein Erkenntniß auf eine, etwa einem von ihm zu stellenden Antrage entsprechende
und ihm zu leistende, Satisfaction erlangen, sondern nur eine Disciplinar-
bcstrasung eines andern herbeiführen. Dies sind die unvermeidlichen Folgen


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[0051] wonach den Studenten (und an manchen Orten auch den Professoren) ein cximirter Gerichtsstand vor den akademischen Senaten oder deren Organen angewiesen ist. Diese akademische Gerichtsbarkeit leidet nicht nur in Hinsicht auf das Verfahren an den auffallendsten Mängeln, indem dasselbe zu wenig ge¬ regelt, der patriarchalischen Willkür zu viel Spielraum gegeben und die Hand¬ habung der Gesetze zu lax ist, sondern zeigt ihre gefährlichen und schädlichen Seiten hauptsächlich auch darin, daß sie neben den officiellen Gesetzen noch viele nur officiös existirende, darum nicht minder wirksame, nur minder klar geregelte Grundlagen hat. Die Folge von Beidem ist, daß sich unvermeidlich mit und neben diesem eigenthümlichen Rechtszustande auch eine eigene eximirte Moral der des einfachen bürgerlichen Gemeinlebens gegenüber bei allen Betheiligten ausbildet. Zuerst also in Betreff des Verfahrens ist die akademische Gerichtsbarkeit herz¬ lich schlecht und wird fast von allen gemeinen Gerichten in deutschen Landen weit übertroffen. Die akademischen Gerichte haben den Studenten gegenüber alle Zweige des Rechts mit Ausnahme peinlicher Criminalfülle zu vertreten und, während der gemeine Proceß jetzt überall die wohlgeregelten und scharf unterschiedenen Proceduren des Civil-und Strafproccsses besitzt Und bei letzterem namentlich die Voruntersuchungen von der öffentlich-mündlichen Hauptverhand¬ lung streng gesondert werden, hat das patriarchalische Forum der Senate für alles dies nur das wüste Chaos eines fast für alle Fälle gleichen Disziplinar¬ verfahrens. Schuldenklagen, Strafsachen, Injurien werden ganz willkürlich bald nur in Folge besonderer Anträge von Betheiligten, bald auf Grund von bloßen Denunciationen der Cvgnition der Behörde unterworfen und ebenso willkürlich nach Befinden unterdrückt oder abgeurtheilt. Die Studenten werden vorgeladen und vernommen nicht als Ankläger oder Beschuldigte, Kläger und Beklagte, son¬ dern kommen nur überhaupt und als der Disciplinargewalt der Behörde unter¬ worfene Subjecte in Betrachtung. Hieraus entsteht zunächst der ganz gewöhn¬ liche Gebrauch, daß die Studentenmvral sich in allen Fällen auf das Recht des Läugnens stützt, das im gemeinrechtlichen Proceß nur dein beklagten Verbrecher zugestanden wird, während im Civilverfahren nöthigenfalls die Verpflichtung zur Wahrheit durch Eideszuschiebung eindringlich gemacht werden kann. Ferner ist hieraus die natürliche Abneigung leicht verständlich, die der Student haben muß, von freien Stücken als Verletzter vor einem solchen Gerichte aufzutreten und seine Sache gegen einen Beschuldigten zu führen. Denn er wird dadurch nicht handelnde Person im Rechtsstreit, sondern wirkt nur einleitend als Denun¬ ciant und wird im Verlauf einfach Mitverwickelter. Er kann auch schließlich kein Erkenntniß auf eine, etwa einem von ihm zu stellenden Antrage entsprechende und ihm zu leistende, Satisfaction erlangen, sondern nur eine Disciplinar- bcstrasung eines andern herbeiführen. Dies sind die unvermeidlichen Folgen 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/51>, abgerufen am 13.05.2024.