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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Vermischte Literatur.
Geschichte des Feldzugs von 1315 nach neuen Aktenstücken von Edgar
Quinet. -- Aus dem Französischen von einem deutschen Offizier. Mit einer
Ucbersichtskarte. Cassel, August Frcyschmidt. 1862.

Das Buch ist vor Allem für die Franzosen geschrieben. Es soll der Wahr¬
heit gegenüber der Mythenbildung, die sich wie um alle Heroen so auch um Napo¬
leon und sein Schicksal gruppirt hat, zu ihrem Rechte verhelfen und die Meinung
widerlegen, als sei Napoleon nicht durch eigne Schuld, sondern blos durch die Fehler
seiner Generale oder gar durch ein blindes Fatum, durch Versagen seines Glücks
gefallen. Der Verfasser setzt damit nur die Arbeit von Charras fort, dessen Schrift
er sammt der übrigen auf den Gegenstand bezüglichen Literatur studirt hat. Ein
mehrjähriger Aufenthalt in der Nähe der Orte, wo die Entscheidungsschlachten bei
Ligny, Quatrebras und Waterloo stattfanden, verschaffte ihm genaue Kenntniß des
Terrains. Der Scharfsinn des geübten Historikers läßt ihn eine unerbittliche Kritik
in Betreff der über den Feldzug umlaufenden, zum großen Theil durch Napoleons
Memoiren hervorgerufenen Irrthümer üben. Das Endergebniß, zu dem das Buch
gelangt, ist, daß der Feldzug von 1815 verloren ging, weil der Kaiser nicht mehr
war, was er gewesen. "Das Erste, was sich in dem Menschen abnutzt, ist die
Kraft des Wollens und Handelns. Dies war auch das Einzige, was sich in den
hundert Tagen bei Napoleon geschwächt zeigte. Wie ein kühnes im Uebrigen unver¬
sehrt gebliebenes Gebäude: wenn den Grundlagen das Gleichgewicht mangelt, wankt
das stolze Ganze, das die Augen blendete, und stürzt im selben Augenblick zusammen.
So mangelte Napoleon nur Eines, um zu sein, was er bis dahin gewesen: der
rasche, energische, unbeugsame Entschluß." Er zauderte bei Ligny wie bei Waterloo
und verlor so die rechte Zeit zum Siege. Er änderte wiederholt seinen Plan, er
verschlief sogar einmal die Gelegenheit zum Handeln. -- Die Sprache des Verfassers
ist glänzend, doch hat sie mit ihren kurzen Sätzen und ihrem Seitenlängen Erzählen
im Präsens etwas Fieberhaftes, Athemloses, welches bei den Schlachtgemälden am
Orte ist, sonst aber wie langes Galopprcitcn vor der Zeit müde macht. Erklärlich ist,
wenn der Verfasser der Tapferkeit der französischen Soldaten in der Schlacht bei
Waterloo wärmere Farben gibt, als dem kalten Muth der Engländer und dem
Ungestüm der Preußen. Er ist eben Franzose. Abgeschmackt aber klingt es. wenn
er die lebhafte Verfolgung der geschlagenen Armee durch Blücher wiederholt als eine
von Haß dictirte Grausamkeit verurtheilt, nachdem er kurz vorher geklagt, daß die
Preußen bei Ligny nicht energisch verfolgt worden. Als ob man sich die Schlachten
aus Menschenliebe lieferte, und als ob die Verfolgung der bei Jena Geschlagenen
auf den Comfort derselben Rücksicht genommen hätte.


Der Sommerfcldzug des Revolutionskricgs in Siebenbürgen im Jahre 1849.
Von einem östreichischen Veteranen. Mit zwei Schlachtplünen. -- Leipzig, I. L-
Schrags Verlag. (A. G. Hoffmann.) 1863.

Vermischte Literatur.
Geschichte des Feldzugs von 1315 nach neuen Aktenstücken von Edgar
Quinet. — Aus dem Französischen von einem deutschen Offizier. Mit einer
Ucbersichtskarte. Cassel, August Frcyschmidt. 1862.

Das Buch ist vor Allem für die Franzosen geschrieben. Es soll der Wahr¬
heit gegenüber der Mythenbildung, die sich wie um alle Heroen so auch um Napo¬
leon und sein Schicksal gruppirt hat, zu ihrem Rechte verhelfen und die Meinung
widerlegen, als sei Napoleon nicht durch eigne Schuld, sondern blos durch die Fehler
seiner Generale oder gar durch ein blindes Fatum, durch Versagen seines Glücks
gefallen. Der Verfasser setzt damit nur die Arbeit von Charras fort, dessen Schrift
er sammt der übrigen auf den Gegenstand bezüglichen Literatur studirt hat. Ein
mehrjähriger Aufenthalt in der Nähe der Orte, wo die Entscheidungsschlachten bei
Ligny, Quatrebras und Waterloo stattfanden, verschaffte ihm genaue Kenntniß des
Terrains. Der Scharfsinn des geübten Historikers läßt ihn eine unerbittliche Kritik
in Betreff der über den Feldzug umlaufenden, zum großen Theil durch Napoleons
Memoiren hervorgerufenen Irrthümer üben. Das Endergebniß, zu dem das Buch
gelangt, ist, daß der Feldzug von 1815 verloren ging, weil der Kaiser nicht mehr
war, was er gewesen. „Das Erste, was sich in dem Menschen abnutzt, ist die
Kraft des Wollens und Handelns. Dies war auch das Einzige, was sich in den
hundert Tagen bei Napoleon geschwächt zeigte. Wie ein kühnes im Uebrigen unver¬
sehrt gebliebenes Gebäude: wenn den Grundlagen das Gleichgewicht mangelt, wankt
das stolze Ganze, das die Augen blendete, und stürzt im selben Augenblick zusammen.
So mangelte Napoleon nur Eines, um zu sein, was er bis dahin gewesen: der
rasche, energische, unbeugsame Entschluß." Er zauderte bei Ligny wie bei Waterloo
und verlor so die rechte Zeit zum Siege. Er änderte wiederholt seinen Plan, er
verschlief sogar einmal die Gelegenheit zum Handeln. — Die Sprache des Verfassers
ist glänzend, doch hat sie mit ihren kurzen Sätzen und ihrem Seitenlängen Erzählen
im Präsens etwas Fieberhaftes, Athemloses, welches bei den Schlachtgemälden am
Orte ist, sonst aber wie langes Galopprcitcn vor der Zeit müde macht. Erklärlich ist,
wenn der Verfasser der Tapferkeit der französischen Soldaten in der Schlacht bei
Waterloo wärmere Farben gibt, als dem kalten Muth der Engländer und dem
Ungestüm der Preußen. Er ist eben Franzose. Abgeschmackt aber klingt es. wenn
er die lebhafte Verfolgung der geschlagenen Armee durch Blücher wiederholt als eine
von Haß dictirte Grausamkeit verurtheilt, nachdem er kurz vorher geklagt, daß die
Preußen bei Ligny nicht energisch verfolgt worden. Als ob man sich die Schlachten
aus Menschenliebe lieferte, und als ob die Verfolgung der bei Jena Geschlagenen
auf den Comfort derselben Rücksicht genommen hätte.


Der Sommerfcldzug des Revolutionskricgs in Siebenbürgen im Jahre 1849.
Von einem östreichischen Veteranen. Mit zwei Schlachtplünen. — Leipzig, I. L-
Schrags Verlag. (A. G. Hoffmann.) 1863.

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[0084] Vermischte Literatur. Geschichte des Feldzugs von 1315 nach neuen Aktenstücken von Edgar Quinet. — Aus dem Französischen von einem deutschen Offizier. Mit einer Ucbersichtskarte. Cassel, August Frcyschmidt. 1862. Das Buch ist vor Allem für die Franzosen geschrieben. Es soll der Wahr¬ heit gegenüber der Mythenbildung, die sich wie um alle Heroen so auch um Napo¬ leon und sein Schicksal gruppirt hat, zu ihrem Rechte verhelfen und die Meinung widerlegen, als sei Napoleon nicht durch eigne Schuld, sondern blos durch die Fehler seiner Generale oder gar durch ein blindes Fatum, durch Versagen seines Glücks gefallen. Der Verfasser setzt damit nur die Arbeit von Charras fort, dessen Schrift er sammt der übrigen auf den Gegenstand bezüglichen Literatur studirt hat. Ein mehrjähriger Aufenthalt in der Nähe der Orte, wo die Entscheidungsschlachten bei Ligny, Quatrebras und Waterloo stattfanden, verschaffte ihm genaue Kenntniß des Terrains. Der Scharfsinn des geübten Historikers läßt ihn eine unerbittliche Kritik in Betreff der über den Feldzug umlaufenden, zum großen Theil durch Napoleons Memoiren hervorgerufenen Irrthümer üben. Das Endergebniß, zu dem das Buch gelangt, ist, daß der Feldzug von 1815 verloren ging, weil der Kaiser nicht mehr war, was er gewesen. „Das Erste, was sich in dem Menschen abnutzt, ist die Kraft des Wollens und Handelns. Dies war auch das Einzige, was sich in den hundert Tagen bei Napoleon geschwächt zeigte. Wie ein kühnes im Uebrigen unver¬ sehrt gebliebenes Gebäude: wenn den Grundlagen das Gleichgewicht mangelt, wankt das stolze Ganze, das die Augen blendete, und stürzt im selben Augenblick zusammen. So mangelte Napoleon nur Eines, um zu sein, was er bis dahin gewesen: der rasche, energische, unbeugsame Entschluß." Er zauderte bei Ligny wie bei Waterloo und verlor so die rechte Zeit zum Siege. Er änderte wiederholt seinen Plan, er verschlief sogar einmal die Gelegenheit zum Handeln. — Die Sprache des Verfassers ist glänzend, doch hat sie mit ihren kurzen Sätzen und ihrem Seitenlängen Erzählen im Präsens etwas Fieberhaftes, Athemloses, welches bei den Schlachtgemälden am Orte ist, sonst aber wie langes Galopprcitcn vor der Zeit müde macht. Erklärlich ist, wenn der Verfasser der Tapferkeit der französischen Soldaten in der Schlacht bei Waterloo wärmere Farben gibt, als dem kalten Muth der Engländer und dem Ungestüm der Preußen. Er ist eben Franzose. Abgeschmackt aber klingt es. wenn er die lebhafte Verfolgung der geschlagenen Armee durch Blücher wiederholt als eine von Haß dictirte Grausamkeit verurtheilt, nachdem er kurz vorher geklagt, daß die Preußen bei Ligny nicht energisch verfolgt worden. Als ob man sich die Schlachten aus Menschenliebe lieferte, und als ob die Verfolgung der bei Jena Geschlagenen auf den Comfort derselben Rücksicht genommen hätte. Der Sommerfcldzug des Revolutionskricgs in Siebenbürgen im Jahre 1849. Von einem östreichischen Veteranen. Mit zwei Schlachtplünen. — Leipzig, I. L- Schrags Verlag. (A. G. Hoffmann.) 1863.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/84>, abgerufen am 29.04.2024.