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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Von der polnischen Grenze.

Ein westpreußischer Gutsbesitzerssohn, Kucharski, 22 Jahre jung, war am
22. März durch einen Schuß in das Bein schwer verwundet worden. Langcn-
becks geschickte Hand entfernte die Kugel, die hingebendste Pflege der Frau Grä¬
fin von Se'orzewska, weiche den Jüngling in ihr Haus ausgenommen hatte,
that Alles, um sein Leben zu erhalten; beides vergebens, heute vor acht Tagen
erlag der Unglückliche seinen mehr als dreizehnwöchentlichen Leiden. Am Mon¬
tage fand seine. Transportation nach der Se. Martinskirche, Dienstags seine
Beerdigung statt. Dabei zeigte sich die polnische Welt in ihrem ganzen Glänze
und demonstrirte nach verschiednen Seiten hin. Der mit blauem Sammt aus¬
geschlagene, mit Blumen reich umwundene Sarg ward von acht Männern ge¬
tragen; vier von ihnen waren Bauern in Nationaltracht, die andre Hälfte ge¬
hörte den höhern Ständen an. Damen in Pleureuscn gingen nebenher und legten
ab und zu ihre zarten Hände an den Sarg, um nach dem Maß ihrer Kräfte
mitzutragen. Eine zahlreiche Geistlichkeit schritt dem Zuge voran, und auch ern¬
stere Leute versagten dem Opfer ihre Theilnahme nicht.

Dem wievielten? Treten Sie mit mir an das Schaufenster eines unserer
Biiderläden heran oder in einen solchen selbst hinein. Die erste Reihe der
polnischen Patrioten, welche vor zwei Jahren gesucht wurde, "zieht" nicht
mehr. Der Händler reicht mir zwei dicke Convolute mit Bialobrzeskis; "das
ist jetzt Papier." Man kauft nur Helden. Deren Karte liegt vor; die meisten
ihrer Photographien sind mit einem Kreuz bezeichnet, d. h. die dargestellten
Männer sind bereits gefallen. Man kann sich beim Anblick dieser Bilder der
innigsten Bewegung nicht erwehren und dennoch vermögen weder die Ziele
noch die Mittel dieser Adelsempörung uns Sympathien abzugewinnen. Ge¬
legentlich meines Aufenthaltes im Schiltberger Kreise erhielt ich neue Belege
für meine alte Ueberzeugung, daß in dem Ringen des germanischen Geistes
wider den slavischen die Interessen des Rechtes, der Wahrheit, der Freiheit
auf unserer Seite liegen, daß es ebendeshalb auch nicht wider die Ten¬
denz geht, welcher die grünen Blätter sonst dienen, wenn sie in der pol¬
nischen Frage denMuth haben, dem Gerede der meisten andern Zeitschriften
zu widersprechen. Mein alter Gewährsmann will mit seinem eigenen Namen,
wie mit denen, die er anklagt, dienen. Er hat mit eigenen Augen pol¬
nische Wirthschaft gesehen; er kennt den Schlachcic und seine Achtung vor den


Von der polnischen Grenze.

Ein westpreußischer Gutsbesitzerssohn, Kucharski, 22 Jahre jung, war am
22. März durch einen Schuß in das Bein schwer verwundet worden. Langcn-
becks geschickte Hand entfernte die Kugel, die hingebendste Pflege der Frau Grä¬
fin von Se'orzewska, weiche den Jüngling in ihr Haus ausgenommen hatte,
that Alles, um sein Leben zu erhalten; beides vergebens, heute vor acht Tagen
erlag der Unglückliche seinen mehr als dreizehnwöchentlichen Leiden. Am Mon¬
tage fand seine. Transportation nach der Se. Martinskirche, Dienstags seine
Beerdigung statt. Dabei zeigte sich die polnische Welt in ihrem ganzen Glänze
und demonstrirte nach verschiednen Seiten hin. Der mit blauem Sammt aus¬
geschlagene, mit Blumen reich umwundene Sarg ward von acht Männern ge¬
tragen; vier von ihnen waren Bauern in Nationaltracht, die andre Hälfte ge¬
hörte den höhern Ständen an. Damen in Pleureuscn gingen nebenher und legten
ab und zu ihre zarten Hände an den Sarg, um nach dem Maß ihrer Kräfte
mitzutragen. Eine zahlreiche Geistlichkeit schritt dem Zuge voran, und auch ern¬
stere Leute versagten dem Opfer ihre Theilnahme nicht.

Dem wievielten? Treten Sie mit mir an das Schaufenster eines unserer
Biiderläden heran oder in einen solchen selbst hinein. Die erste Reihe der
polnischen Patrioten, welche vor zwei Jahren gesucht wurde, „zieht" nicht
mehr. Der Händler reicht mir zwei dicke Convolute mit Bialobrzeskis; „das
ist jetzt Papier." Man kauft nur Helden. Deren Karte liegt vor; die meisten
ihrer Photographien sind mit einem Kreuz bezeichnet, d. h. die dargestellten
Männer sind bereits gefallen. Man kann sich beim Anblick dieser Bilder der
innigsten Bewegung nicht erwehren und dennoch vermögen weder die Ziele
noch die Mittel dieser Adelsempörung uns Sympathien abzugewinnen. Ge¬
legentlich meines Aufenthaltes im Schiltberger Kreise erhielt ich neue Belege
für meine alte Ueberzeugung, daß in dem Ringen des germanischen Geistes
wider den slavischen die Interessen des Rechtes, der Wahrheit, der Freiheit
auf unserer Seite liegen, daß es ebendeshalb auch nicht wider die Ten¬
denz geht, welcher die grünen Blätter sonst dienen, wenn sie in der pol¬
nischen Frage denMuth haben, dem Gerede der meisten andern Zeitschriften
zu widersprechen. Mein alter Gewährsmann will mit seinem eigenen Namen,
wie mit denen, die er anklagt, dienen. Er hat mit eigenen Augen pol¬
nische Wirthschaft gesehen; er kennt den Schlachcic und seine Achtung vor den


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[0237] Von der polnischen Grenze. Ein westpreußischer Gutsbesitzerssohn, Kucharski, 22 Jahre jung, war am 22. März durch einen Schuß in das Bein schwer verwundet worden. Langcn- becks geschickte Hand entfernte die Kugel, die hingebendste Pflege der Frau Grä¬ fin von Se'orzewska, weiche den Jüngling in ihr Haus ausgenommen hatte, that Alles, um sein Leben zu erhalten; beides vergebens, heute vor acht Tagen erlag der Unglückliche seinen mehr als dreizehnwöchentlichen Leiden. Am Mon¬ tage fand seine. Transportation nach der Se. Martinskirche, Dienstags seine Beerdigung statt. Dabei zeigte sich die polnische Welt in ihrem ganzen Glänze und demonstrirte nach verschiednen Seiten hin. Der mit blauem Sammt aus¬ geschlagene, mit Blumen reich umwundene Sarg ward von acht Männern ge¬ tragen; vier von ihnen waren Bauern in Nationaltracht, die andre Hälfte ge¬ hörte den höhern Ständen an. Damen in Pleureuscn gingen nebenher und legten ab und zu ihre zarten Hände an den Sarg, um nach dem Maß ihrer Kräfte mitzutragen. Eine zahlreiche Geistlichkeit schritt dem Zuge voran, und auch ern¬ stere Leute versagten dem Opfer ihre Theilnahme nicht. Dem wievielten? Treten Sie mit mir an das Schaufenster eines unserer Biiderläden heran oder in einen solchen selbst hinein. Die erste Reihe der polnischen Patrioten, welche vor zwei Jahren gesucht wurde, „zieht" nicht mehr. Der Händler reicht mir zwei dicke Convolute mit Bialobrzeskis; „das ist jetzt Papier." Man kauft nur Helden. Deren Karte liegt vor; die meisten ihrer Photographien sind mit einem Kreuz bezeichnet, d. h. die dargestellten Männer sind bereits gefallen. Man kann sich beim Anblick dieser Bilder der innigsten Bewegung nicht erwehren und dennoch vermögen weder die Ziele noch die Mittel dieser Adelsempörung uns Sympathien abzugewinnen. Ge¬ legentlich meines Aufenthaltes im Schiltberger Kreise erhielt ich neue Belege für meine alte Ueberzeugung, daß in dem Ringen des germanischen Geistes wider den slavischen die Interessen des Rechtes, der Wahrheit, der Freiheit auf unserer Seite liegen, daß es ebendeshalb auch nicht wider die Ten¬ denz geht, welcher die grünen Blätter sonst dienen, wenn sie in der pol¬ nischen Frage denMuth haben, dem Gerede der meisten andern Zeitschriften zu widersprechen. Mein alter Gewährsmann will mit seinem eigenen Namen, wie mit denen, die er anklagt, dienen. Er hat mit eigenen Augen pol¬ nische Wirthschaft gesehen; er kennt den Schlachcic und seine Achtung vor den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/237>, abgerufen am 29.04.2024.