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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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die Bogos in Ostabyssinien) für schön halten. Sie sind ein wohlgebildeter hell¬
farbiger Menschenschlag. Nie dienen sie als Träger, sie verkaufen einander
nicht, bestellen den Acker nicht, greifen ihre Nachbarn nicht an und gehen un¬
bewaffnet einher; die andern Stämme berauben sie bisweilen ihres Viehs, todten
sie aber nicht, ja die Sultane nehmen aus ihnen gewöhnlich ihre Räthe und
Beamten.

Ein anderes Hirtenvolk, welches im Südosten des Nyanza oder Ukerewe
umherzieht und sehr große Heerden besitzt, sind die wilden Wataturu, kleine,
tiefschwarze, häßliche Barbaren fast ohne Bart, die statt aller Tracht nur Leder¬
sandalen tragen und eine rauhe Sprache reden.

Dies sind die Völkerschaften, welche im Westen, Norden und Südosten der
neuentdeckten Nilquellen wohnen. Ueber die Wakedo, welche im Nordwesten von
Unyoro wohnen, sowie über die Waschaki und Warudi im Osten des Nyanza-Sees,
welche für gefährliche Räuber gelten, wissen wir fast gar nichts. Dagegen hat Barth,
wie uns scheint, die Frage nach der Herkunft und Verwandtschaft der herrschenden
Classe in den drei Königreichen im Westen und Norden bereits in einer Weise
gelöst, welche nicht viel gegen sich einwenden läßt. Die Wahuma, jener Adel
von Karagweh, Uganda und Unyoro, sind Eroberer von den Stämmen der
G alias, d. h. der schweifenden, oder, wie sie selbst sich nennen, der Orma,
welche vor drei Jahrhunderten in großen Schwärmen vom Osten oder Südosten
aus dem um die hohen Schneekuppen des Kenia und Kilimandscharo gelager¬
ten Gebirgslande hier eindrangen und die Ureinwohner sich unterwarfen. Noch
jetzt ist ihnen der Kenia der heilige Berg, zu dem sie wallfahrten und wo sie
Opfer darbringen. Diese Bergstämme veranlaßten zu Anfang des sechszehnten
Jahrhunderts jene gewaltige Völkerwanderung, die ganz Jnnerafrika von Ost
nach West politisch umwälzte und, wie Barth vielleicht nicht unrichtig vermuthet,
ihren Hauptgrund in einer vulkanischen Erschütterung jener Gebirgslande hatte,
von der sich noch jetzt Spuren finden.

Die nächsten Jahrzehnte werden hierüber wie über andere noch fragliche
Verhältnisse der Quellenregion unzweifelhaft genauere Aufschlüsse bringen. Für
jetzt müssen wir uns begnügen, daß Speke und Great, obgleich sie den aus
dem Nyanza abfließenden Strom nicht in seinem ganzen obern Lauf verfolgen
konnten, die allgemeine Frage wegen des Zusammenhangs des Bachr El Abiad
oder, wie er bei Gondokvro genannt wird, des Tubiri mit dem Nyanza oder,
wie die Reisenden letzteren getauft haben, mit dem Victoria-See überzeugend be¬
antwortet hat, und in diesem Sinne schließen wir uns dem stolzen Wort an,
mit dem Speke seine Entdeckung von Alexandrien nach London telcgraphirte:
"Der Nil ist in Ordnung!"




die Bogos in Ostabyssinien) für schön halten. Sie sind ein wohlgebildeter hell¬
farbiger Menschenschlag. Nie dienen sie als Träger, sie verkaufen einander
nicht, bestellen den Acker nicht, greifen ihre Nachbarn nicht an und gehen un¬
bewaffnet einher; die andern Stämme berauben sie bisweilen ihres Viehs, todten
sie aber nicht, ja die Sultane nehmen aus ihnen gewöhnlich ihre Räthe und
Beamten.

Ein anderes Hirtenvolk, welches im Südosten des Nyanza oder Ukerewe
umherzieht und sehr große Heerden besitzt, sind die wilden Wataturu, kleine,
tiefschwarze, häßliche Barbaren fast ohne Bart, die statt aller Tracht nur Leder¬
sandalen tragen und eine rauhe Sprache reden.

Dies sind die Völkerschaften, welche im Westen, Norden und Südosten der
neuentdeckten Nilquellen wohnen. Ueber die Wakedo, welche im Nordwesten von
Unyoro wohnen, sowie über die Waschaki und Warudi im Osten des Nyanza-Sees,
welche für gefährliche Räuber gelten, wissen wir fast gar nichts. Dagegen hat Barth,
wie uns scheint, die Frage nach der Herkunft und Verwandtschaft der herrschenden
Classe in den drei Königreichen im Westen und Norden bereits in einer Weise
gelöst, welche nicht viel gegen sich einwenden läßt. Die Wahuma, jener Adel
von Karagweh, Uganda und Unyoro, sind Eroberer von den Stämmen der
G alias, d. h. der schweifenden, oder, wie sie selbst sich nennen, der Orma,
welche vor drei Jahrhunderten in großen Schwärmen vom Osten oder Südosten
aus dem um die hohen Schneekuppen des Kenia und Kilimandscharo gelager¬
ten Gebirgslande hier eindrangen und die Ureinwohner sich unterwarfen. Noch
jetzt ist ihnen der Kenia der heilige Berg, zu dem sie wallfahrten und wo sie
Opfer darbringen. Diese Bergstämme veranlaßten zu Anfang des sechszehnten
Jahrhunderts jene gewaltige Völkerwanderung, die ganz Jnnerafrika von Ost
nach West politisch umwälzte und, wie Barth vielleicht nicht unrichtig vermuthet,
ihren Hauptgrund in einer vulkanischen Erschütterung jener Gebirgslande hatte,
von der sich noch jetzt Spuren finden.

Die nächsten Jahrzehnte werden hierüber wie über andere noch fragliche
Verhältnisse der Quellenregion unzweifelhaft genauere Aufschlüsse bringen. Für
jetzt müssen wir uns begnügen, daß Speke und Great, obgleich sie den aus
dem Nyanza abfließenden Strom nicht in seinem ganzen obern Lauf verfolgen
konnten, die allgemeine Frage wegen des Zusammenhangs des Bachr El Abiad
oder, wie er bei Gondokvro genannt wird, des Tubiri mit dem Nyanza oder,
wie die Reisenden letzteren getauft haben, mit dem Victoria-See überzeugend be¬
antwortet hat, und in diesem Sinne schließen wir uns dem stolzen Wort an,
mit dem Speke seine Entdeckung von Alexandrien nach London telcgraphirte:
„Der Nil ist in Ordnung!"




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[0236] die Bogos in Ostabyssinien) für schön halten. Sie sind ein wohlgebildeter hell¬ farbiger Menschenschlag. Nie dienen sie als Träger, sie verkaufen einander nicht, bestellen den Acker nicht, greifen ihre Nachbarn nicht an und gehen un¬ bewaffnet einher; die andern Stämme berauben sie bisweilen ihres Viehs, todten sie aber nicht, ja die Sultane nehmen aus ihnen gewöhnlich ihre Räthe und Beamten. Ein anderes Hirtenvolk, welches im Südosten des Nyanza oder Ukerewe umherzieht und sehr große Heerden besitzt, sind die wilden Wataturu, kleine, tiefschwarze, häßliche Barbaren fast ohne Bart, die statt aller Tracht nur Leder¬ sandalen tragen und eine rauhe Sprache reden. Dies sind die Völkerschaften, welche im Westen, Norden und Südosten der neuentdeckten Nilquellen wohnen. Ueber die Wakedo, welche im Nordwesten von Unyoro wohnen, sowie über die Waschaki und Warudi im Osten des Nyanza-Sees, welche für gefährliche Räuber gelten, wissen wir fast gar nichts. Dagegen hat Barth, wie uns scheint, die Frage nach der Herkunft und Verwandtschaft der herrschenden Classe in den drei Königreichen im Westen und Norden bereits in einer Weise gelöst, welche nicht viel gegen sich einwenden läßt. Die Wahuma, jener Adel von Karagweh, Uganda und Unyoro, sind Eroberer von den Stämmen der G alias, d. h. der schweifenden, oder, wie sie selbst sich nennen, der Orma, welche vor drei Jahrhunderten in großen Schwärmen vom Osten oder Südosten aus dem um die hohen Schneekuppen des Kenia und Kilimandscharo gelager¬ ten Gebirgslande hier eindrangen und die Ureinwohner sich unterwarfen. Noch jetzt ist ihnen der Kenia der heilige Berg, zu dem sie wallfahrten und wo sie Opfer darbringen. Diese Bergstämme veranlaßten zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts jene gewaltige Völkerwanderung, die ganz Jnnerafrika von Ost nach West politisch umwälzte und, wie Barth vielleicht nicht unrichtig vermuthet, ihren Hauptgrund in einer vulkanischen Erschütterung jener Gebirgslande hatte, von der sich noch jetzt Spuren finden. Die nächsten Jahrzehnte werden hierüber wie über andere noch fragliche Verhältnisse der Quellenregion unzweifelhaft genauere Aufschlüsse bringen. Für jetzt müssen wir uns begnügen, daß Speke und Great, obgleich sie den aus dem Nyanza abfließenden Strom nicht in seinem ganzen obern Lauf verfolgen konnten, die allgemeine Frage wegen des Zusammenhangs des Bachr El Abiad oder, wie er bei Gondokvro genannt wird, des Tubiri mit dem Nyanza oder, wie die Reisenden letzteren getauft haben, mit dem Victoria-See überzeugend be¬ antwortet hat, und in diesem Sinne schließen wir uns dem stolzen Wort an, mit dem Speke seine Entdeckung von Alexandrien nach London telcgraphirte: „Der Nil ist in Ordnung!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/236>, abgerufen am 19.05.2024.