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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Briefe über Oestreich.
3. Oestreich und Italien.

Es war ein verhängnisvoller Moment, als Oestreich infolge der wiener
Congreßveschlüsse von Neuem in Italien festen Fuß faßte. ' In den Besitz eines
ausgedehnten, abgerundeten, überaus reichen, dabei in allen Künsten der Civili¬
sation weit fortgeschrittenen Gebietes gelangt, schien es bestimmt, für alle Zeiten
die Herrschaft auf der apenninischen Halbinsel auszuüben. Italien, seit Jahr¬
hunderten ein Tummelplatz deutschen, französischen, spanischen Ehrgeizes, war
ein freies Feld für den Einfluß einer Großmacht geworden, von der man zwar
erwarten mußte, daß sie die Vortheile ihrer Stellung rücksichtslos zur Vermehrung
ihrer Macht ausnutzen, von der man aber andrerseits hoffen durfte, daß sie
dem schwer geprüften Lande einen dauernden Frieden gewähren würde, in der
die Masse ungestört dem Erwerbe obliegen und sich eine ihren mäßigen An¬
sprüchen entsprechende behagliche Existenz verschaffen, der Gebildete aber seinem
Streben nach einem durch Wissenschaft und Kunst verfeinerten Lebensgenusse sich
ohne Sorge hingeben könnte. Ein lebhaftes und energisches Freiheitsstreben
des Jtalieners glaubte man nicht fürchten zu dürfen. Das Nationalgefühl aber
war ein Factor. der, bei dem wiener Congresse überhaupt wenig in Rechnung
gezogen, für Italien insbesondere leine Rücksicht zu verdienen schien. Italien
war ein geographischer Begriff, und das stark ausgebildete Municipalbcwußt-
sein und der Stolz der einzelnen Städte auf ihn Geschichte, jenes particula-
ristische Selbstgefühl, welches dem patricischen Familienstolz eine höhere'Weihe
verlieh, indem es ihn mit einer zwar engen und in sich abgeschlossenen, aber
in der Vergangenheit und zum Theil noch in der Gegenwart glänzenden ruhm¬
vollen Gemeinschaft verknüpfte, jenes Selbstgefühl, an welchem sich bürgerliche
Tüchtigkeit, Industrie, Kunst und Wissenschaft üppig emporgerankt halten,
schienen die beste Bürgschaft dafür zu bieten, daß Italien auch in Zukunft ein
geographischer Begriff bleiben werde. Der Gang, den die Geschichte Italiens seit
den ältesten Zeiten genommen hatte, schien diese Ansicht nur zu bestätigen. Im
Alterthum war die Halbinsel durch die römischen Waffen zwar zu einer poli-


Grenzbotm III. 1863, 31
Briefe über Oestreich.
3. Oestreich und Italien.

Es war ein verhängnisvoller Moment, als Oestreich infolge der wiener
Congreßveschlüsse von Neuem in Italien festen Fuß faßte. ' In den Besitz eines
ausgedehnten, abgerundeten, überaus reichen, dabei in allen Künsten der Civili¬
sation weit fortgeschrittenen Gebietes gelangt, schien es bestimmt, für alle Zeiten
die Herrschaft auf der apenninischen Halbinsel auszuüben. Italien, seit Jahr¬
hunderten ein Tummelplatz deutschen, französischen, spanischen Ehrgeizes, war
ein freies Feld für den Einfluß einer Großmacht geworden, von der man zwar
erwarten mußte, daß sie die Vortheile ihrer Stellung rücksichtslos zur Vermehrung
ihrer Macht ausnutzen, von der man aber andrerseits hoffen durfte, daß sie
dem schwer geprüften Lande einen dauernden Frieden gewähren würde, in der
die Masse ungestört dem Erwerbe obliegen und sich eine ihren mäßigen An¬
sprüchen entsprechende behagliche Existenz verschaffen, der Gebildete aber seinem
Streben nach einem durch Wissenschaft und Kunst verfeinerten Lebensgenusse sich
ohne Sorge hingeben könnte. Ein lebhaftes und energisches Freiheitsstreben
des Jtalieners glaubte man nicht fürchten zu dürfen. Das Nationalgefühl aber
war ein Factor. der, bei dem wiener Congresse überhaupt wenig in Rechnung
gezogen, für Italien insbesondere leine Rücksicht zu verdienen schien. Italien
war ein geographischer Begriff, und das stark ausgebildete Municipalbcwußt-
sein und der Stolz der einzelnen Städte auf ihn Geschichte, jenes particula-
ristische Selbstgefühl, welches dem patricischen Familienstolz eine höhere'Weihe
verlieh, indem es ihn mit einer zwar engen und in sich abgeschlossenen, aber
in der Vergangenheit und zum Theil noch in der Gegenwart glänzenden ruhm¬
vollen Gemeinschaft verknüpfte, jenes Selbstgefühl, an welchem sich bürgerliche
Tüchtigkeit, Industrie, Kunst und Wissenschaft üppig emporgerankt halten,
schienen die beste Bürgschaft dafür zu bieten, daß Italien auch in Zukunft ein
geographischer Begriff bleiben werde. Der Gang, den die Geschichte Italiens seit
den ältesten Zeiten genommen hatte, schien diese Ansicht nur zu bestätigen. Im
Alterthum war die Halbinsel durch die römischen Waffen zwar zu einer poli-


Grenzbotm III. 1863, 31
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[0249] Briefe über Oestreich. 3. Oestreich und Italien. Es war ein verhängnisvoller Moment, als Oestreich infolge der wiener Congreßveschlüsse von Neuem in Italien festen Fuß faßte. ' In den Besitz eines ausgedehnten, abgerundeten, überaus reichen, dabei in allen Künsten der Civili¬ sation weit fortgeschrittenen Gebietes gelangt, schien es bestimmt, für alle Zeiten die Herrschaft auf der apenninischen Halbinsel auszuüben. Italien, seit Jahr¬ hunderten ein Tummelplatz deutschen, französischen, spanischen Ehrgeizes, war ein freies Feld für den Einfluß einer Großmacht geworden, von der man zwar erwarten mußte, daß sie die Vortheile ihrer Stellung rücksichtslos zur Vermehrung ihrer Macht ausnutzen, von der man aber andrerseits hoffen durfte, daß sie dem schwer geprüften Lande einen dauernden Frieden gewähren würde, in der die Masse ungestört dem Erwerbe obliegen und sich eine ihren mäßigen An¬ sprüchen entsprechende behagliche Existenz verschaffen, der Gebildete aber seinem Streben nach einem durch Wissenschaft und Kunst verfeinerten Lebensgenusse sich ohne Sorge hingeben könnte. Ein lebhaftes und energisches Freiheitsstreben des Jtalieners glaubte man nicht fürchten zu dürfen. Das Nationalgefühl aber war ein Factor. der, bei dem wiener Congresse überhaupt wenig in Rechnung gezogen, für Italien insbesondere leine Rücksicht zu verdienen schien. Italien war ein geographischer Begriff, und das stark ausgebildete Municipalbcwußt- sein und der Stolz der einzelnen Städte auf ihn Geschichte, jenes particula- ristische Selbstgefühl, welches dem patricischen Familienstolz eine höhere'Weihe verlieh, indem es ihn mit einer zwar engen und in sich abgeschlossenen, aber in der Vergangenheit und zum Theil noch in der Gegenwart glänzenden ruhm¬ vollen Gemeinschaft verknüpfte, jenes Selbstgefühl, an welchem sich bürgerliche Tüchtigkeit, Industrie, Kunst und Wissenschaft üppig emporgerankt halten, schienen die beste Bürgschaft dafür zu bieten, daß Italien auch in Zukunft ein geographischer Begriff bleiben werde. Der Gang, den die Geschichte Italiens seit den ältesten Zeiten genommen hatte, schien diese Ansicht nur zu bestätigen. Im Alterthum war die Halbinsel durch die römischen Waffen zwar zu einer poli- Grenzbotm III. 1863, 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/249>, abgerufen am 29.04.2024.