Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dort mit einem kleinen Bankett und Rheinwein bewirthet. Sollten derlei
Vorfälle dem Volke nicht die Augen öffnen, oder gibt es eine bessere Antwort
auf den Vorwurf, daß sich die Protestanten zur Genußsucht und zum Wohl-
leben neigen? So wenig das ohnmächtige Bestreben der Sterblichen das
Licht verhüllen, die Sonne verdunkeln, den Zeiger der Weltenuhr zurückschieben
kann, so wenig wird es auch unsern Weltweisen glücken, ihre Herrschaft über
Tirol zu verewigen. Auch hier gilt der bekannte Spruch: N pur si move!




Darwins Theorie der Entstehung der Thier- und Pflanzenformen.

Oil ddo oriZill ot' Species Oil. varnill. -- Zeugnisse für die Stellung des
Menschen in der Natur. Von Thomas Henry Huxley. Aus d. Engl. von
I. V. Carus.

1.

In der Organisation der Thiere und Pflanzen macht sich ein merkwürdiger
Dualismus bemerklich. Sie ist einerseits den gesammten Lebensbedingungen
jedesmal in sehr vollkommener Art angepaßt, wie es a priori zu erwarten ist;
denn ohne diese Anpassung wäre das Bestehen der lebenden Wesen einfach un¬
möglich. Anderseits läßt sich aber die Form und Anordnung der Organe, das,
was man Bauplan nennen könnte, keineswegs ganz allein aus Nützlichkeitsrück¬
sichten erklären. Das Wesentlichste der Formen, das Ureigcnthümliche der verschie¬
denen Thier- und Pflanzengestalten ist unabhängig von der Rücksicht darauf, ob sie
zufällig im Wasser oder auf trockenem Lande leben, ob sie unter niederen oder
hohen geographischen Breiten geboren werden. An dem einmal gegebenen ty¬
pischen Charakter tritt vielmehr die Anpassung an die äußeren Bedingungen
der Existenz als ein secundäres, nur Modificirendes auf, aber doch so, daß
auch diese Adaptationen wieder mit der Grundform innig Harmoniren und sie
gewissermaßen durchdringen. Gleichnisse zur Erläuterung des eben Gesagten
ließen sich in Menge finden, aber sie leiden gerade in diesem Falle zu sehr an
dem bekannten Vorwurf der Gleichnisse; doch wählen wir wenigstens eines.
Ein Messer, ein Scalpell, eine Lanzette, ein Dolch, ein Degen, ein Schwert
sind sämmtlich nach derselben Grundform gebildet, Griff und Schneide sind
ihnen gemeinsam; aber jedes dieser Werkzeuge ist einem anderen Zweck an¬
gepaßt, die einen zu verschiedenen Arten des Schneidens, die anderen zum Stich
und eine dritte Sorte zu Stich und Hieb bestimmt, dabei ist noch auf Ort und
Zeit der Verwendung Rücksicht genommen und den Anforderungen der Be-


dort mit einem kleinen Bankett und Rheinwein bewirthet. Sollten derlei
Vorfälle dem Volke nicht die Augen öffnen, oder gibt es eine bessere Antwort
auf den Vorwurf, daß sich die Protestanten zur Genußsucht und zum Wohl-
leben neigen? So wenig das ohnmächtige Bestreben der Sterblichen das
Licht verhüllen, die Sonne verdunkeln, den Zeiger der Weltenuhr zurückschieben
kann, so wenig wird es auch unsern Weltweisen glücken, ihre Herrschaft über
Tirol zu verewigen. Auch hier gilt der bekannte Spruch: N pur si move!




Darwins Theorie der Entstehung der Thier- und Pflanzenformen.

Oil ddo oriZill ot' Species Oil. varnill. — Zeugnisse für die Stellung des
Menschen in der Natur. Von Thomas Henry Huxley. Aus d. Engl. von
I. V. Carus.

1.

In der Organisation der Thiere und Pflanzen macht sich ein merkwürdiger
Dualismus bemerklich. Sie ist einerseits den gesammten Lebensbedingungen
jedesmal in sehr vollkommener Art angepaßt, wie es a priori zu erwarten ist;
denn ohne diese Anpassung wäre das Bestehen der lebenden Wesen einfach un¬
möglich. Anderseits läßt sich aber die Form und Anordnung der Organe, das,
was man Bauplan nennen könnte, keineswegs ganz allein aus Nützlichkeitsrück¬
sichten erklären. Das Wesentlichste der Formen, das Ureigcnthümliche der verschie¬
denen Thier- und Pflanzengestalten ist unabhängig von der Rücksicht darauf, ob sie
zufällig im Wasser oder auf trockenem Lande leben, ob sie unter niederen oder
hohen geographischen Breiten geboren werden. An dem einmal gegebenen ty¬
pischen Charakter tritt vielmehr die Anpassung an die äußeren Bedingungen
der Existenz als ein secundäres, nur Modificirendes auf, aber doch so, daß
auch diese Adaptationen wieder mit der Grundform innig Harmoniren und sie
gewissermaßen durchdringen. Gleichnisse zur Erläuterung des eben Gesagten
ließen sich in Menge finden, aber sie leiden gerade in diesem Falle zu sehr an
dem bekannten Vorwurf der Gleichnisse; doch wählen wir wenigstens eines.
Ein Messer, ein Scalpell, eine Lanzette, ein Dolch, ein Degen, ein Schwert
sind sämmtlich nach derselben Grundform gebildet, Griff und Schneide sind
ihnen gemeinsam; aber jedes dieser Werkzeuge ist einem anderen Zweck an¬
gepaßt, die einen zu verschiedenen Arten des Schneidens, die anderen zum Stich
und eine dritte Sorte zu Stich und Hieb bestimmt, dabei ist noch auf Ort und
Zeit der Verwendung Rücksicht genommen und den Anforderungen der Be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115694"/>
          <p xml:id="ID_835" prev="#ID_834"> dort mit einem kleinen Bankett und Rheinwein bewirthet. Sollten derlei<lb/>
Vorfälle dem Volke nicht die Augen öffnen, oder gibt es eine bessere Antwort<lb/>
auf den Vorwurf, daß sich die Protestanten zur Genußsucht und zum Wohl-<lb/>
leben neigen? So wenig das ohnmächtige Bestreben der Sterblichen das<lb/>
Licht verhüllen, die Sonne verdunkeln, den Zeiger der Weltenuhr zurückschieben<lb/>
kann, so wenig wird es auch unsern Weltweisen glücken, ihre Herrschaft über<lb/>
Tirol zu verewigen.  Auch hier gilt der bekannte Spruch: N pur si move!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Darwins Theorie der Entstehung der Thier- und Pflanzenformen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_836"> Oil ddo oriZill ot' Species Oil. varnill. &#x2014; Zeugnisse für die Stellung des<lb/>
Menschen in der Natur. Von Thomas Henry Huxley. Aus d. Engl. von<lb/>
I. V. Carus.</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> 1.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_837" next="#ID_838"> In der Organisation der Thiere und Pflanzen macht sich ein merkwürdiger<lb/>
Dualismus bemerklich. Sie ist einerseits den gesammten Lebensbedingungen<lb/>
jedesmal in sehr vollkommener Art angepaßt, wie es a priori zu erwarten ist;<lb/>
denn ohne diese Anpassung wäre das Bestehen der lebenden Wesen einfach un¬<lb/>
möglich. Anderseits läßt sich aber die Form und Anordnung der Organe, das,<lb/>
was man Bauplan nennen könnte, keineswegs ganz allein aus Nützlichkeitsrück¬<lb/>
sichten erklären. Das Wesentlichste der Formen, das Ureigcnthümliche der verschie¬<lb/>
denen Thier- und Pflanzengestalten ist unabhängig von der Rücksicht darauf, ob sie<lb/>
zufällig im Wasser oder auf trockenem Lande leben, ob sie unter niederen oder<lb/>
hohen geographischen Breiten geboren werden. An dem einmal gegebenen ty¬<lb/>
pischen Charakter tritt vielmehr die Anpassung an die äußeren Bedingungen<lb/>
der Existenz als ein secundäres, nur Modificirendes auf, aber doch so, daß<lb/>
auch diese Adaptationen wieder mit der Grundform innig Harmoniren und sie<lb/>
gewissermaßen durchdringen. Gleichnisse zur Erläuterung des eben Gesagten<lb/>
ließen sich in Menge finden, aber sie leiden gerade in diesem Falle zu sehr an<lb/>
dem bekannten Vorwurf der Gleichnisse; doch wählen wir wenigstens eines.<lb/>
Ein Messer, ein Scalpell, eine Lanzette, ein Dolch, ein Degen, ein Schwert<lb/>
sind sämmtlich nach derselben Grundform gebildet, Griff und Schneide sind<lb/>
ihnen gemeinsam; aber jedes dieser Werkzeuge ist einem anderen Zweck an¬<lb/>
gepaßt, die einen zu verschiedenen Arten des Schneidens, die anderen zum Stich<lb/>
und eine dritte Sorte zu Stich und Hieb bestimmt, dabei ist noch auf Ort und<lb/>
Zeit der Verwendung Rücksicht genommen und den Anforderungen der Be-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] dort mit einem kleinen Bankett und Rheinwein bewirthet. Sollten derlei Vorfälle dem Volke nicht die Augen öffnen, oder gibt es eine bessere Antwort auf den Vorwurf, daß sich die Protestanten zur Genußsucht und zum Wohl- leben neigen? So wenig das ohnmächtige Bestreben der Sterblichen das Licht verhüllen, die Sonne verdunkeln, den Zeiger der Weltenuhr zurückschieben kann, so wenig wird es auch unsern Weltweisen glücken, ihre Herrschaft über Tirol zu verewigen. Auch hier gilt der bekannte Spruch: N pur si move! Darwins Theorie der Entstehung der Thier- und Pflanzenformen. Oil ddo oriZill ot' Species Oil. varnill. — Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur. Von Thomas Henry Huxley. Aus d. Engl. von I. V. Carus. 1. In der Organisation der Thiere und Pflanzen macht sich ein merkwürdiger Dualismus bemerklich. Sie ist einerseits den gesammten Lebensbedingungen jedesmal in sehr vollkommener Art angepaßt, wie es a priori zu erwarten ist; denn ohne diese Anpassung wäre das Bestehen der lebenden Wesen einfach un¬ möglich. Anderseits läßt sich aber die Form und Anordnung der Organe, das, was man Bauplan nennen könnte, keineswegs ganz allein aus Nützlichkeitsrück¬ sichten erklären. Das Wesentlichste der Formen, das Ureigcnthümliche der verschie¬ denen Thier- und Pflanzengestalten ist unabhängig von der Rücksicht darauf, ob sie zufällig im Wasser oder auf trockenem Lande leben, ob sie unter niederen oder hohen geographischen Breiten geboren werden. An dem einmal gegebenen ty¬ pischen Charakter tritt vielmehr die Anpassung an die äußeren Bedingungen der Existenz als ein secundäres, nur Modificirendes auf, aber doch so, daß auch diese Adaptationen wieder mit der Grundform innig Harmoniren und sie gewissermaßen durchdringen. Gleichnisse zur Erläuterung des eben Gesagten ließen sich in Menge finden, aber sie leiden gerade in diesem Falle zu sehr an dem bekannten Vorwurf der Gleichnisse; doch wählen wir wenigstens eines. Ein Messer, ein Scalpell, eine Lanzette, ein Dolch, ein Degen, ein Schwert sind sämmtlich nach derselben Grundform gebildet, Griff und Schneide sind ihnen gemeinsam; aber jedes dieser Werkzeuge ist einem anderen Zweck an¬ gepaßt, die einen zu verschiedenen Arten des Schneidens, die anderen zum Stich und eine dritte Sorte zu Stich und Hieb bestimmt, dabei ist noch auf Ort und Zeit der Verwendung Rücksicht genommen und den Anforderungen der Be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/302>, abgerufen am 29.04.2024.