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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Abgeordnete erhoben, standen dafür nunmehr achtzehn aus den versammelten
dreiundfünfzig auf-, da der Landeshauptmann nicht anstimmte, entschieden sich
also blos vierunddreißig für den bischöflichen Antrag; das gleiche Verhältniß
trat rücksichtlich ihres Erwerbs von Liegenschaften ein, den vor zwei Jahren
nur elf unterstützten; für die Beschränkung des evangelischen Bethauses in
Meran auf den Privatgottesdienst vereinigten sich allerdings achtunddreißig,
dagegen wuchs die Zahl derer, die den Schlußsatz wegen der unmittelbaren
Entscheidung durch den Kaiser verneinten, auf neunzehn an. Die ganze auf¬
fallende Umänderung mochte Bedenken erregen.

Uns scheint die Frage der Glaubenseinheit in Tirol von der dortigen Ent¬
wicklung der Cultur abzuhängen. Gewinne diese die Oberhand, so wird es auch
keine Protestantenhetze mehr geben. Dies scheinen sogar deren Anstifter ein¬
zusehen. Sie sagen ja selbst, daß "die moderne Intelligenz auf dem Lande
noch nicht heimathsberechtigt zu werden vermochte," nur die Städter dächten
anders über den Ankauf der Akatholiken. sie schelten über die "Judenblätter",
die diesen "Schacher" begünstigen, über die schlechte Presse, die ein Feind der
"Intoleranz und Finsterniß, des Ultramontanismus und Fanatismus, derblin¬
den Vorurtheile und des eingerosteten Mittelalters". In der "freien Forschung"
liege die höchste Gefahr für den Abfall vom Glauben oder wenigstens den
"Uebergang zum Jndifferentismus". Als Mittel dagegen erscheint ihnen die
geistige Absperrung, die Beschränkung des Verkehrs mit dem deutschen Zoll¬
verein auf die bloße Weinausfuhr, ihre eigene "gute" Presse, die noch mit
der Sprachlehre schwere Kämpfe besteht und an die Eleganz der Perückenzeit
erinnert, endlich die Errichtung einer katholischen Universität unter Leitung der
Jesuiten, das Küchenlatein dieser Gelehrten, ihre alle Scholastik, die Ver¬
bannung der deutschen Literatur aus ihren Schulen, und die für jeden Stand
passende Bildung, die jüngst der Bischof von Trient ihnen nachrühmte, dies
ohngefähr wäre die Bahn zum Glücke, das sie dem Lande gönnen. Dafür daß
diese Bäume nicht in den Himmel wachsen, ist doch gesorgt. Es retten uns davor
namentlich drei Dinge: erstens die Eisenbahnen, welche die Deutschen herein
und unsere Leute hinaus bringen, zweitens die freie Presse, die trotz des Ana-
thems über unsere Berge hereinspricht, drittens die Constitution, die auch Tirol
den allgemeinen Fortschritt octroyirt. Hier und da tragen selbst die frommen
Herren etwas zu unserer Aufklärung bei. Dafür nur ein Beispiel. Im letzten
Winter wurden zwei Geistliche aus verschiedenen Gegenden Tirols vom Kreis¬
gerichte'Bozen wegen gewisser Verbrechen gegen die Sittlichkeit, die man in
der gebildeten Gesellschaft nicht zu nennen pflegt, zu mehrern Jahren schweren
Kerkers verurtheilt. Sie hörten den Spruch ohne ein Zeichen der Reue an
und wurden zur Tröstung über ihr bevorstehendes Schicksal von den Abgeord¬
neten des Bischofs von Brixen, die sie in die einstweilige Haft übernahmen,


Abgeordnete erhoben, standen dafür nunmehr achtzehn aus den versammelten
dreiundfünfzig auf-, da der Landeshauptmann nicht anstimmte, entschieden sich
also blos vierunddreißig für den bischöflichen Antrag; das gleiche Verhältniß
trat rücksichtlich ihres Erwerbs von Liegenschaften ein, den vor zwei Jahren
nur elf unterstützten; für die Beschränkung des evangelischen Bethauses in
Meran auf den Privatgottesdienst vereinigten sich allerdings achtunddreißig,
dagegen wuchs die Zahl derer, die den Schlußsatz wegen der unmittelbaren
Entscheidung durch den Kaiser verneinten, auf neunzehn an. Die ganze auf¬
fallende Umänderung mochte Bedenken erregen.

Uns scheint die Frage der Glaubenseinheit in Tirol von der dortigen Ent¬
wicklung der Cultur abzuhängen. Gewinne diese die Oberhand, so wird es auch
keine Protestantenhetze mehr geben. Dies scheinen sogar deren Anstifter ein¬
zusehen. Sie sagen ja selbst, daß „die moderne Intelligenz auf dem Lande
noch nicht heimathsberechtigt zu werden vermochte," nur die Städter dächten
anders über den Ankauf der Akatholiken. sie schelten über die „Judenblätter",
die diesen „Schacher" begünstigen, über die schlechte Presse, die ein Feind der
„Intoleranz und Finsterniß, des Ultramontanismus und Fanatismus, derblin¬
den Vorurtheile und des eingerosteten Mittelalters". In der „freien Forschung"
liege die höchste Gefahr für den Abfall vom Glauben oder wenigstens den
„Uebergang zum Jndifferentismus". Als Mittel dagegen erscheint ihnen die
geistige Absperrung, die Beschränkung des Verkehrs mit dem deutschen Zoll¬
verein auf die bloße Weinausfuhr, ihre eigene „gute" Presse, die noch mit
der Sprachlehre schwere Kämpfe besteht und an die Eleganz der Perückenzeit
erinnert, endlich die Errichtung einer katholischen Universität unter Leitung der
Jesuiten, das Küchenlatein dieser Gelehrten, ihre alle Scholastik, die Ver¬
bannung der deutschen Literatur aus ihren Schulen, und die für jeden Stand
passende Bildung, die jüngst der Bischof von Trient ihnen nachrühmte, dies
ohngefähr wäre die Bahn zum Glücke, das sie dem Lande gönnen. Dafür daß
diese Bäume nicht in den Himmel wachsen, ist doch gesorgt. Es retten uns davor
namentlich drei Dinge: erstens die Eisenbahnen, welche die Deutschen herein
und unsere Leute hinaus bringen, zweitens die freie Presse, die trotz des Ana-
thems über unsere Berge hereinspricht, drittens die Constitution, die auch Tirol
den allgemeinen Fortschritt octroyirt. Hier und da tragen selbst die frommen
Herren etwas zu unserer Aufklärung bei. Dafür nur ein Beispiel. Im letzten
Winter wurden zwei Geistliche aus verschiedenen Gegenden Tirols vom Kreis¬
gerichte'Bozen wegen gewisser Verbrechen gegen die Sittlichkeit, die man in
der gebildeten Gesellschaft nicht zu nennen pflegt, zu mehrern Jahren schweren
Kerkers verurtheilt. Sie hörten den Spruch ohne ein Zeichen der Reue an
und wurden zur Tröstung über ihr bevorstehendes Schicksal von den Abgeord¬
neten des Bischofs von Brixen, die sie in die einstweilige Haft übernahmen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/301>, abgerufen am 15.05.2024.