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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Die protestantischen Puter.

Wiederholt schon wurde in d. Bl. kurz darauf hingewiesen, dnß ein nicht
kleiner Theil der polnischen Nation sich zum Protestantismus bekennt. Heute
geben wir über diese evangelischen Slaven des Nvrdostens an der Hand eines
der letzten Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins von dem Deputirten
für Posen überreichten Schriftchens*) ausführliche Mittheilungen.

Wir wissen, daß die Reformation kurz nach ihrem Beginn in Deutschland
auch in Polen rasche Eroberungen machte. Von drei Seiten her, durch die
deutschen Colonien des Sarmatenlandes, durch die aus Böhmen vertriebenen
Brüdergemeinden, endlich vom alten Ordenslande Preußen drang sie herein und
ergriff raschen Laufs vornehmlich die höhern Stände, die Städte und die Stät¬
ten wissenschaftlicher Bildung. In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahr¬
hunderts gehörten die mächtigsten Familien des Adels, darunter die Radziwill,
die Lesczynski. die Dembinski, sogar die heute auf die polnische Krone specu-
lirenden Dzialinski den evangelischen Glaubensbekenntnissen an, auf den Reichs¬
tagen wurde die Gleichberechtigung der Protestanten mit den Katholiken erstrit¬
ten, und in der Person Stephan Bathvrys bestieg sogar ein Neugläubiger den
polnischen Königsthron.

Ebenso bekannt ist, mindestens den Lesern d. Bl., daß diese Blüthe
Von kurzer Dauer war, und daß der Wurm, der ihr rasches Verblühen be¬
wirkte und damit zugleich die Zukunft des Landes zerstörte, in der Gesellschaft
Jesu über die Grenzen kam.

Vergleichen wir den heutigen Bestand des evangelischen Bekenntnisses in
den Gegenden, welche einst zu dem eigentlichen Polen gehörten, mit den Nach¬
richten, welche uns von dessen ehemaliger Ausbreitung.erhalten sind, so wird
uns zu Muthe wie vor der Ruine eines "einst "stolzen und weitgedehnten Ge¬
bäudes.

Am schwersten ist von der Verwüstung die reformirte und die mit die¬
ser vereinte böhmische Brüderkirche betroffen worden. Während im Palatinat
Krakau um das Jahr 1S69 sämmtliche Edelleute Protestanten waren und in den
übrigen Theilen deö Landes der hohe Adel überwiegend sich zur helvetischen Con-
fesston hielt, sind jetzt jene wie dieser mit Wenigen Ausnahmen schon längst
wieder zum Papstthum zurückgekehrt, und von den wenigen Adelsfamilien, die sich



*) Die evangelische" Polen im preußischen Staate, insbesondre in der Provinz Posen. Posen,
Druck und Verlag von Decker und Comp, September 1863,
67*
Die protestantischen Puter.

Wiederholt schon wurde in d. Bl. kurz darauf hingewiesen, dnß ein nicht
kleiner Theil der polnischen Nation sich zum Protestantismus bekennt. Heute
geben wir über diese evangelischen Slaven des Nvrdostens an der Hand eines
der letzten Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins von dem Deputirten
für Posen überreichten Schriftchens*) ausführliche Mittheilungen.

Wir wissen, daß die Reformation kurz nach ihrem Beginn in Deutschland
auch in Polen rasche Eroberungen machte. Von drei Seiten her, durch die
deutschen Colonien des Sarmatenlandes, durch die aus Böhmen vertriebenen
Brüdergemeinden, endlich vom alten Ordenslande Preußen drang sie herein und
ergriff raschen Laufs vornehmlich die höhern Stände, die Städte und die Stät¬
ten wissenschaftlicher Bildung. In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahr¬
hunderts gehörten die mächtigsten Familien des Adels, darunter die Radziwill,
die Lesczynski. die Dembinski, sogar die heute auf die polnische Krone specu-
lirenden Dzialinski den evangelischen Glaubensbekenntnissen an, auf den Reichs¬
tagen wurde die Gleichberechtigung der Protestanten mit den Katholiken erstrit¬
ten, und in der Person Stephan Bathvrys bestieg sogar ein Neugläubiger den
polnischen Königsthron.

Ebenso bekannt ist, mindestens den Lesern d. Bl., daß diese Blüthe
Von kurzer Dauer war, und daß der Wurm, der ihr rasches Verblühen be¬
wirkte und damit zugleich die Zukunft des Landes zerstörte, in der Gesellschaft
Jesu über die Grenzen kam.

Vergleichen wir den heutigen Bestand des evangelischen Bekenntnisses in
den Gegenden, welche einst zu dem eigentlichen Polen gehörten, mit den Nach¬
richten, welche uns von dessen ehemaliger Ausbreitung.erhalten sind, so wird
uns zu Muthe wie vor der Ruine eines "einst «stolzen und weitgedehnten Ge¬
bäudes.

Am schwersten ist von der Verwüstung die reformirte und die mit die¬
ser vereinte böhmische Brüderkirche betroffen worden. Während im Palatinat
Krakau um das Jahr 1S69 sämmtliche Edelleute Protestanten waren und in den
übrigen Theilen deö Landes der hohe Adel überwiegend sich zur helvetischen Con-
fesston hielt, sind jetzt jene wie dieser mit Wenigen Ausnahmen schon längst
wieder zum Papstthum zurückgekehrt, und von den wenigen Adelsfamilien, die sich



*) Die evangelische» Polen im preußischen Staate, insbesondre in der Provinz Posen. Posen,
Druck und Verlag von Decker und Comp, September 1863,
67*
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[0461] Die protestantischen Puter. Wiederholt schon wurde in d. Bl. kurz darauf hingewiesen, dnß ein nicht kleiner Theil der polnischen Nation sich zum Protestantismus bekennt. Heute geben wir über diese evangelischen Slaven des Nvrdostens an der Hand eines der letzten Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins von dem Deputirten für Posen überreichten Schriftchens*) ausführliche Mittheilungen. Wir wissen, daß die Reformation kurz nach ihrem Beginn in Deutschland auch in Polen rasche Eroberungen machte. Von drei Seiten her, durch die deutschen Colonien des Sarmatenlandes, durch die aus Böhmen vertriebenen Brüdergemeinden, endlich vom alten Ordenslande Preußen drang sie herein und ergriff raschen Laufs vornehmlich die höhern Stände, die Städte und die Stät¬ ten wissenschaftlicher Bildung. In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahr¬ hunderts gehörten die mächtigsten Familien des Adels, darunter die Radziwill, die Lesczynski. die Dembinski, sogar die heute auf die polnische Krone specu- lirenden Dzialinski den evangelischen Glaubensbekenntnissen an, auf den Reichs¬ tagen wurde die Gleichberechtigung der Protestanten mit den Katholiken erstrit¬ ten, und in der Person Stephan Bathvrys bestieg sogar ein Neugläubiger den polnischen Königsthron. Ebenso bekannt ist, mindestens den Lesern d. Bl., daß diese Blüthe Von kurzer Dauer war, und daß der Wurm, der ihr rasches Verblühen be¬ wirkte und damit zugleich die Zukunft des Landes zerstörte, in der Gesellschaft Jesu über die Grenzen kam. Vergleichen wir den heutigen Bestand des evangelischen Bekenntnisses in den Gegenden, welche einst zu dem eigentlichen Polen gehörten, mit den Nach¬ richten, welche uns von dessen ehemaliger Ausbreitung.erhalten sind, so wird uns zu Muthe wie vor der Ruine eines "einst «stolzen und weitgedehnten Ge¬ bäudes. Am schwersten ist von der Verwüstung die reformirte und die mit die¬ ser vereinte böhmische Brüderkirche betroffen worden. Während im Palatinat Krakau um das Jahr 1S69 sämmtliche Edelleute Protestanten waren und in den übrigen Theilen deö Landes der hohe Adel überwiegend sich zur helvetischen Con- fesston hielt, sind jetzt jene wie dieser mit Wenigen Ausnahmen schon längst wieder zum Papstthum zurückgekehrt, und von den wenigen Adelsfamilien, die sich *) Die evangelische» Polen im preußischen Staate, insbesondre in der Provinz Posen. Posen, Druck und Verlag von Decker und Comp, September 1863, 67*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/461>, abgerufen am 29.04.2024.