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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Die Wahlen sind fast durch das ganze Land in den Händen der Fortschritts¬
partei, sie werden, wenige Wahlkreise ausgenommen, entschiedener oppositionell
als das letzte Mal.

Und wir wünschen mehr als wir hoffen, daß die Altliberalen sich in der
letzten Stunde entschließen, mit den Fractionen der Nationalpartei in ein Bünd-
niß zu treten, welches möglich macht, ihnen auch andere liberale Stimmen als
die unserer alten Freunde zuzuwenden. Denn die Lage Preußens ist so ge¬
worden, daß es für alle Theile der Opposition nur ein nächstes Ziel gibt,
worauf hingearbeitet werden muß, und dies Ziel ist eine neue Regierung. Je
schneller und entschlossener diese Umänderung durch die Energie der Volksver¬
treter bewirkt werden kann, desto besser für die Zukunft der Dynastie, für den
Staat Preußen, für uns Alle.




Von der polnischen Grenze.

Seit ich Ihnen das letzte Mal schrieb, haben die polnischen Insurgenten viele
und schwere Niederlagen erlitten. Taczanowski ist geflüchtet, Lelcwel gefallen; Kruk,
der Rabe, einem Gerücht zufolge ein Pseudonym für Bentkvwski, geht nach seinem
eignen Geständniß, von der Bevölkerung nirgends ausreichend unterstützt, einem ähn¬
lichen Geschick entgegen. Die diplomatische Action aber hat eine Wendung genom¬
men, welche den Russen wenigstens für den Augenblick die größte Freiheit der Be¬
wegung gibt, und sie scheinen dieselbe mit Eifer benutzen zu wollen. Großfürst Kon¬
stantin ist von Warschau abgereist, General v. Berg hat es übernommen, in der
Weise Murawieffs die Pacification Cvngreßpolens zu versuchen. Daß man ihm die
dazu nöthige Energie zutraue, bezeugen die Erlasse der Nationalregicrung, welche
die Bevölkerung auffordern, während der bevorstehenden Cernirung Warschaus auf
der Hut zu sein. Wird diese Absperrung der Stadt wirklich ausgeführt, so wird
sie auch nicht ohne Folgen bleiben, sind doch selbst unter der annoch herrschenden
Anarchie die Mörder Falkners und Richters ermittelt worden.

So möge denn die Nationalregicrung zusehen, daß sich das Blatt nicht wende.
Daß ihr die alte Kraft schon in etwas gebrochen sei, davon hat sie neuer¬
dings ein Zeichen gegeben. Ihrer Anordnung gehorsam waren die Censoren in
Warschau um ihre Entlassung eingekommen; die legitime Regierung stellte sie vor
die Alternative des Kriegsgerichtes oder des fortgesetzten Dienstes, und die nationale


Die Wahlen sind fast durch das ganze Land in den Händen der Fortschritts¬
partei, sie werden, wenige Wahlkreise ausgenommen, entschiedener oppositionell
als das letzte Mal.

Und wir wünschen mehr als wir hoffen, daß die Altliberalen sich in der
letzten Stunde entschließen, mit den Fractionen der Nationalpartei in ein Bünd-
niß zu treten, welches möglich macht, ihnen auch andere liberale Stimmen als
die unserer alten Freunde zuzuwenden. Denn die Lage Preußens ist so ge¬
worden, daß es für alle Theile der Opposition nur ein nächstes Ziel gibt,
worauf hingearbeitet werden muß, und dies Ziel ist eine neue Regierung. Je
schneller und entschlossener diese Umänderung durch die Energie der Volksver¬
treter bewirkt werden kann, desto besser für die Zukunft der Dynastie, für den
Staat Preußen, für uns Alle.




Von der polnischen Grenze.

Seit ich Ihnen das letzte Mal schrieb, haben die polnischen Insurgenten viele
und schwere Niederlagen erlitten. Taczanowski ist geflüchtet, Lelcwel gefallen; Kruk,
der Rabe, einem Gerücht zufolge ein Pseudonym für Bentkvwski, geht nach seinem
eignen Geständniß, von der Bevölkerung nirgends ausreichend unterstützt, einem ähn¬
lichen Geschick entgegen. Die diplomatische Action aber hat eine Wendung genom¬
men, welche den Russen wenigstens für den Augenblick die größte Freiheit der Be¬
wegung gibt, und sie scheinen dieselbe mit Eifer benutzen zu wollen. Großfürst Kon¬
stantin ist von Warschau abgereist, General v. Berg hat es übernommen, in der
Weise Murawieffs die Pacification Cvngreßpolens zu versuchen. Daß man ihm die
dazu nöthige Energie zutraue, bezeugen die Erlasse der Nationalregicrung, welche
die Bevölkerung auffordern, während der bevorstehenden Cernirung Warschaus auf
der Hut zu sein. Wird diese Absperrung der Stadt wirklich ausgeführt, so wird
sie auch nicht ohne Folgen bleiben, sind doch selbst unter der annoch herrschenden
Anarchie die Mörder Falkners und Richters ermittelt worden.

So möge denn die Nationalregicrung zusehen, daß sich das Blatt nicht wende.
Daß ihr die alte Kraft schon in etwas gebrochen sei, davon hat sie neuer¬
dings ein Zeichen gegeben. Ihrer Anordnung gehorsam waren die Censoren in
Warschau um ihre Entlassung eingekommen; die legitime Regierung stellte sie vor
die Alternative des Kriegsgerichtes oder des fortgesetzten Dienstes, und die nationale


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[0522] Die Wahlen sind fast durch das ganze Land in den Händen der Fortschritts¬ partei, sie werden, wenige Wahlkreise ausgenommen, entschiedener oppositionell als das letzte Mal. Und wir wünschen mehr als wir hoffen, daß die Altliberalen sich in der letzten Stunde entschließen, mit den Fractionen der Nationalpartei in ein Bünd- niß zu treten, welches möglich macht, ihnen auch andere liberale Stimmen als die unserer alten Freunde zuzuwenden. Denn die Lage Preußens ist so ge¬ worden, daß es für alle Theile der Opposition nur ein nächstes Ziel gibt, worauf hingearbeitet werden muß, und dies Ziel ist eine neue Regierung. Je schneller und entschlossener diese Umänderung durch die Energie der Volksver¬ treter bewirkt werden kann, desto besser für die Zukunft der Dynastie, für den Staat Preußen, für uns Alle. Von der polnischen Grenze. Seit ich Ihnen das letzte Mal schrieb, haben die polnischen Insurgenten viele und schwere Niederlagen erlitten. Taczanowski ist geflüchtet, Lelcwel gefallen; Kruk, der Rabe, einem Gerücht zufolge ein Pseudonym für Bentkvwski, geht nach seinem eignen Geständniß, von der Bevölkerung nirgends ausreichend unterstützt, einem ähn¬ lichen Geschick entgegen. Die diplomatische Action aber hat eine Wendung genom¬ men, welche den Russen wenigstens für den Augenblick die größte Freiheit der Be¬ wegung gibt, und sie scheinen dieselbe mit Eifer benutzen zu wollen. Großfürst Kon¬ stantin ist von Warschau abgereist, General v. Berg hat es übernommen, in der Weise Murawieffs die Pacification Cvngreßpolens zu versuchen. Daß man ihm die dazu nöthige Energie zutraue, bezeugen die Erlasse der Nationalregicrung, welche die Bevölkerung auffordern, während der bevorstehenden Cernirung Warschaus auf der Hut zu sein. Wird diese Absperrung der Stadt wirklich ausgeführt, so wird sie auch nicht ohne Folgen bleiben, sind doch selbst unter der annoch herrschenden Anarchie die Mörder Falkners und Richters ermittelt worden. So möge denn die Nationalregicrung zusehen, daß sich das Blatt nicht wende. Daß ihr die alte Kraft schon in etwas gebrochen sei, davon hat sie neuer¬ dings ein Zeichen gegeben. Ihrer Anordnung gehorsam waren die Censoren in Warschau um ihre Entlassung eingekommen; die legitime Regierung stellte sie vor die Alternative des Kriegsgerichtes oder des fortgesetzten Dienstes, und die nationale

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/522>, abgerufen am 29.04.2024.