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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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^ Es ist bei solcher Sachlage nicht schwer vorauszusagen, welche Aufnahme
detaillirte Reformvorschläge. Preußens, im Sinne des gegenwärtigen Systems
aufgestellt, finden werden. Sie werden von der großdeutschen Partei mit
Hohn, von der Nationalpartei mit Unwillen aufgenommen werden, die drei¬
undzwanzig Regierungen, welche die Reformacte unterzeichnet haben, werden
sich die gute Gelegenheit nicht entgehen lassen, in ihrem eigenen Lande einen
gewissen liberalen Patriotismus geltend zu machen, indem sie hervorheben, wie
durch ihr Delegirtenproject die selbständige Entwicklung des innern parlamenta¬
rischen Lebens, welche bei fast allen Staaten -- mit Ausnahme Sachsens -- den
Wünschen des Volkes ziemlich genüge, weit weniger gefährdet sei als durch
das preußische Project. das doch nur die Bestimmung habe, allgemeine Reac¬
tion vorzubereiten und neue Verwickelung zwischen Fürsten und Völkern hervor¬
zubringen. Ja auch die wirklich nationale Seite eines preußischen Entwurfes,
und wir zweifeln nicht, daß er nach mancher Hinsicht mehr bieten würde, als
der östreichische, wird beim Volke keinen Anklang, bei den Regierungen ver¬
doppelte Animosität hervorrufen. Auch wer ein entschiedener Gegner des Mi¬
nisteriums ist, kann als Patriot nicht wünschen, daß es in der deutschen Frage
dem preußischen Staat eine neue Niederlage bereite. Und wir begreifen nicht,
weshalb Preußen die verhältnißmäßig günstige Stellung, in welche es durch
den Ausgang des Fürstentagcs gekommen ist. verlassen und sich ohne Noth in
neue Schwierigkeiten stürzen will. Ein Protest, welcher die Machtstellung Preu¬
ßens im Bunde wahrt und das Princip einer wirklichen Volksvertretung dem
Delegirtenprojecte entgegenhält, würde vorläufig genügen. Die Förderung der
deutschen Frage muß das Ministerium kräftigeren Nachfolgern überlassen.

Unterdeß beginnt in Preußen die Agitation für die neuen Wahlen. Un-
läugbar wird das Schloß, welches der preußischen Presse vor den Mund gelegt
ist. die Wirkung des Wahlkampfes für die öffentliche Meinung abschwächen,
auf das Resultat der Wahlen selbst wird das Schweigen der Macht, die jetzt
vorzugsweise zum Sprechen berufen ist, nur geringen Einfluß ausüben. Denn
selbst die Intriguen und Einschüchterungen, welche die feudale Partei anzuwenden
im Stande wäre, werden bei dem allgemeinen Unwillen nicht helfen. Wir
möchten aber hier einen Wunsch aussprechen: es wäre nicht unnütz, wenn die
Liberalen in jedem Wahlkreise einen Anwalt der freien Wahl bestimmten, wel¬
cher das Gesetzbuch in der Hand, alle Uebergriffe der Gegner abzuwehren oder
actenmäßig festzustellen hätte zur geeigneten Benutzung. Nachträglich, von der
Kammer aus, vielleicht nach längerer Frist, ist die Constatirung des Sachverhält-
nisses, wie wir erfahren haben, mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden.
Es ist wünschenswerth', daß auch nach dieser Richtung 'das Material für der-
einstigen Gebrauch reichlich und gesichert vorhanden sei.

Ueber den Ausfall der Wahlen ist auch die feudale Partei nicht im Zweifel.


^ Es ist bei solcher Sachlage nicht schwer vorauszusagen, welche Aufnahme
detaillirte Reformvorschläge. Preußens, im Sinne des gegenwärtigen Systems
aufgestellt, finden werden. Sie werden von der großdeutschen Partei mit
Hohn, von der Nationalpartei mit Unwillen aufgenommen werden, die drei¬
undzwanzig Regierungen, welche die Reformacte unterzeichnet haben, werden
sich die gute Gelegenheit nicht entgehen lassen, in ihrem eigenen Lande einen
gewissen liberalen Patriotismus geltend zu machen, indem sie hervorheben, wie
durch ihr Delegirtenproject die selbständige Entwicklung des innern parlamenta¬
rischen Lebens, welche bei fast allen Staaten — mit Ausnahme Sachsens — den
Wünschen des Volkes ziemlich genüge, weit weniger gefährdet sei als durch
das preußische Project. das doch nur die Bestimmung habe, allgemeine Reac¬
tion vorzubereiten und neue Verwickelung zwischen Fürsten und Völkern hervor¬
zubringen. Ja auch die wirklich nationale Seite eines preußischen Entwurfes,
und wir zweifeln nicht, daß er nach mancher Hinsicht mehr bieten würde, als
der östreichische, wird beim Volke keinen Anklang, bei den Regierungen ver¬
doppelte Animosität hervorrufen. Auch wer ein entschiedener Gegner des Mi¬
nisteriums ist, kann als Patriot nicht wünschen, daß es in der deutschen Frage
dem preußischen Staat eine neue Niederlage bereite. Und wir begreifen nicht,
weshalb Preußen die verhältnißmäßig günstige Stellung, in welche es durch
den Ausgang des Fürstentagcs gekommen ist. verlassen und sich ohne Noth in
neue Schwierigkeiten stürzen will. Ein Protest, welcher die Machtstellung Preu¬
ßens im Bunde wahrt und das Princip einer wirklichen Volksvertretung dem
Delegirtenprojecte entgegenhält, würde vorläufig genügen. Die Förderung der
deutschen Frage muß das Ministerium kräftigeren Nachfolgern überlassen.

Unterdeß beginnt in Preußen die Agitation für die neuen Wahlen. Un-
läugbar wird das Schloß, welches der preußischen Presse vor den Mund gelegt
ist. die Wirkung des Wahlkampfes für die öffentliche Meinung abschwächen,
auf das Resultat der Wahlen selbst wird das Schweigen der Macht, die jetzt
vorzugsweise zum Sprechen berufen ist, nur geringen Einfluß ausüben. Denn
selbst die Intriguen und Einschüchterungen, welche die feudale Partei anzuwenden
im Stande wäre, werden bei dem allgemeinen Unwillen nicht helfen. Wir
möchten aber hier einen Wunsch aussprechen: es wäre nicht unnütz, wenn die
Liberalen in jedem Wahlkreise einen Anwalt der freien Wahl bestimmten, wel¬
cher das Gesetzbuch in der Hand, alle Uebergriffe der Gegner abzuwehren oder
actenmäßig festzustellen hätte zur geeigneten Benutzung. Nachträglich, von der
Kammer aus, vielleicht nach längerer Frist, ist die Constatirung des Sachverhält-
nisses, wie wir erfahren haben, mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden.
Es ist wünschenswerth', daß auch nach dieser Richtung 'das Material für der-
einstigen Gebrauch reichlich und gesichert vorhanden sei.

Ueber den Ausfall der Wahlen ist auch die feudale Partei nicht im Zweifel.


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[0521] ^ Es ist bei solcher Sachlage nicht schwer vorauszusagen, welche Aufnahme detaillirte Reformvorschläge. Preußens, im Sinne des gegenwärtigen Systems aufgestellt, finden werden. Sie werden von der großdeutschen Partei mit Hohn, von der Nationalpartei mit Unwillen aufgenommen werden, die drei¬ undzwanzig Regierungen, welche die Reformacte unterzeichnet haben, werden sich die gute Gelegenheit nicht entgehen lassen, in ihrem eigenen Lande einen gewissen liberalen Patriotismus geltend zu machen, indem sie hervorheben, wie durch ihr Delegirtenproject die selbständige Entwicklung des innern parlamenta¬ rischen Lebens, welche bei fast allen Staaten — mit Ausnahme Sachsens — den Wünschen des Volkes ziemlich genüge, weit weniger gefährdet sei als durch das preußische Project. das doch nur die Bestimmung habe, allgemeine Reac¬ tion vorzubereiten und neue Verwickelung zwischen Fürsten und Völkern hervor¬ zubringen. Ja auch die wirklich nationale Seite eines preußischen Entwurfes, und wir zweifeln nicht, daß er nach mancher Hinsicht mehr bieten würde, als der östreichische, wird beim Volke keinen Anklang, bei den Regierungen ver¬ doppelte Animosität hervorrufen. Auch wer ein entschiedener Gegner des Mi¬ nisteriums ist, kann als Patriot nicht wünschen, daß es in der deutschen Frage dem preußischen Staat eine neue Niederlage bereite. Und wir begreifen nicht, weshalb Preußen die verhältnißmäßig günstige Stellung, in welche es durch den Ausgang des Fürstentagcs gekommen ist. verlassen und sich ohne Noth in neue Schwierigkeiten stürzen will. Ein Protest, welcher die Machtstellung Preu¬ ßens im Bunde wahrt und das Princip einer wirklichen Volksvertretung dem Delegirtenprojecte entgegenhält, würde vorläufig genügen. Die Förderung der deutschen Frage muß das Ministerium kräftigeren Nachfolgern überlassen. Unterdeß beginnt in Preußen die Agitation für die neuen Wahlen. Un- läugbar wird das Schloß, welches der preußischen Presse vor den Mund gelegt ist. die Wirkung des Wahlkampfes für die öffentliche Meinung abschwächen, auf das Resultat der Wahlen selbst wird das Schweigen der Macht, die jetzt vorzugsweise zum Sprechen berufen ist, nur geringen Einfluß ausüben. Denn selbst die Intriguen und Einschüchterungen, welche die feudale Partei anzuwenden im Stande wäre, werden bei dem allgemeinen Unwillen nicht helfen. Wir möchten aber hier einen Wunsch aussprechen: es wäre nicht unnütz, wenn die Liberalen in jedem Wahlkreise einen Anwalt der freien Wahl bestimmten, wel¬ cher das Gesetzbuch in der Hand, alle Uebergriffe der Gegner abzuwehren oder actenmäßig festzustellen hätte zur geeigneten Benutzung. Nachträglich, von der Kammer aus, vielleicht nach längerer Frist, ist die Constatirung des Sachverhält- nisses, wie wir erfahren haben, mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden. Es ist wünschenswerth', daß auch nach dieser Richtung 'das Material für der- einstigen Gebrauch reichlich und gesichert vorhanden sei. Ueber den Ausfall der Wahlen ist auch die feudale Partei nicht im Zweifel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/521>, abgerufen am 15.05.2024.