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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Die althellenischer Nlttioimlseste.
i.

Wie die Familie ihre fröhlichen Festtage begeht, an denen alle Angehö¬
rigen ihres verwandtschaftlichen Zusammenhangs sich erst recht klar bewußt wer¬
den, so fühlen sich auch die Nationen gedrängt, von Zeit zu Zeit die Frische
und Gesundheit ihrer politischen Gliederung durch gemeinschaftliche, öffentliche
Festversammlungen zu bezeugen, und wo die nationale Freude nie zum Durch¬
bruch kommt, da ist es sicher auch übel bestellt mit dem nationalen Bewußtsein
und der patriotischen Gesinnung. Deshalb ist der allseitige Anklang, den
gegenwärtig die größeren Nationalfeste in Deutschland finden, ein sicheres Zei¬
chen von dem wiedererwachenden, sich nach Bethätigung sehnenden nationalen
Leben, sowie dieselben andererseits ein treffliches Mittel bilden, das so tief ge¬
sunkene Nationalgefühl zu heben und zu kräftigen. Den höchsten Aufschwung
der Festfreude, den nationalsten Act unter den Sänger- und Schützenfesten im
verflossenen Jahre machte ohne Zweifel das frankfurter Bundesschießen aus.
und hoffentlich wird das herannahende große Turnfest zu Leipzig ebensowenig
hinter den Erwartungen zurückbleiben. Unwillkürlich wendet sich inzwischen
der vergleichende Blick des Geschichtsfreundes demjenigen Lande zu, dessen
Bevölkerung im Alterthume hinsichtlich seiner Culturmomente und seiner po¬
litischen Gestaltung so mancherlei Aehnlichkeit mit der deutschen auszuweisen
hat und darum von einem unsrer geistreichsten Historiker "das Deutschland des
Alterthums" genannt worden ist. Allerdings zeigte sich in Griechenland die
Rivalität der verschiedenen Staaten und der Particularismus, auch was die
größeren Feste anlangt, in dem Bestreben jeder Stadt, ihren Festversammlungen
eine möglichst weite Ausdehnung und Anerkennung zu verschaffen; allein schon
sehr früh gelangten die vier Feste der Olympier, Pythien. Neuem und Jsth-
mien zu so allgemeiner Bedeutung, daß sie wirkliche Nationalfeste wurden, hin¬
ter denen selbst die vielbesuchten Panathenäen und Eleusinien der stolzen Thescus-
stadt zurückstehen mußten. Das älteste und angesehenste dieser Feste war be¬
kanntlich das olympische. Olympia selbst war nicht eine Ortschaft, sondern


Grenzboten III. 1SK3. 11
Die althellenischer Nlttioimlseste.
i.

Wie die Familie ihre fröhlichen Festtage begeht, an denen alle Angehö¬
rigen ihres verwandtschaftlichen Zusammenhangs sich erst recht klar bewußt wer¬
den, so fühlen sich auch die Nationen gedrängt, von Zeit zu Zeit die Frische
und Gesundheit ihrer politischen Gliederung durch gemeinschaftliche, öffentliche
Festversammlungen zu bezeugen, und wo die nationale Freude nie zum Durch¬
bruch kommt, da ist es sicher auch übel bestellt mit dem nationalen Bewußtsein
und der patriotischen Gesinnung. Deshalb ist der allseitige Anklang, den
gegenwärtig die größeren Nationalfeste in Deutschland finden, ein sicheres Zei¬
chen von dem wiedererwachenden, sich nach Bethätigung sehnenden nationalen
Leben, sowie dieselben andererseits ein treffliches Mittel bilden, das so tief ge¬
sunkene Nationalgefühl zu heben und zu kräftigen. Den höchsten Aufschwung
der Festfreude, den nationalsten Act unter den Sänger- und Schützenfesten im
verflossenen Jahre machte ohne Zweifel das frankfurter Bundesschießen aus.
und hoffentlich wird das herannahende große Turnfest zu Leipzig ebensowenig
hinter den Erwartungen zurückbleiben. Unwillkürlich wendet sich inzwischen
der vergleichende Blick des Geschichtsfreundes demjenigen Lande zu, dessen
Bevölkerung im Alterthume hinsichtlich seiner Culturmomente und seiner po¬
litischen Gestaltung so mancherlei Aehnlichkeit mit der deutschen auszuweisen
hat und darum von einem unsrer geistreichsten Historiker „das Deutschland des
Alterthums" genannt worden ist. Allerdings zeigte sich in Griechenland die
Rivalität der verschiedenen Staaten und der Particularismus, auch was die
größeren Feste anlangt, in dem Bestreben jeder Stadt, ihren Festversammlungen
eine möglichst weite Ausdehnung und Anerkennung zu verschaffen; allein schon
sehr früh gelangten die vier Feste der Olympier, Pythien. Neuem und Jsth-
mien zu so allgemeiner Bedeutung, daß sie wirkliche Nationalfeste wurden, hin¬
ter denen selbst die vielbesuchten Panathenäen und Eleusinien der stolzen Thescus-
stadt zurückstehen mußten. Das älteste und angesehenste dieser Feste war be¬
kanntlich das olympische. Olympia selbst war nicht eine Ortschaft, sondern


Grenzboten III. 1SK3. 11
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[0089] Die althellenischer Nlttioimlseste. i. Wie die Familie ihre fröhlichen Festtage begeht, an denen alle Angehö¬ rigen ihres verwandtschaftlichen Zusammenhangs sich erst recht klar bewußt wer¬ den, so fühlen sich auch die Nationen gedrängt, von Zeit zu Zeit die Frische und Gesundheit ihrer politischen Gliederung durch gemeinschaftliche, öffentliche Festversammlungen zu bezeugen, und wo die nationale Freude nie zum Durch¬ bruch kommt, da ist es sicher auch übel bestellt mit dem nationalen Bewußtsein und der patriotischen Gesinnung. Deshalb ist der allseitige Anklang, den gegenwärtig die größeren Nationalfeste in Deutschland finden, ein sicheres Zei¬ chen von dem wiedererwachenden, sich nach Bethätigung sehnenden nationalen Leben, sowie dieselben andererseits ein treffliches Mittel bilden, das so tief ge¬ sunkene Nationalgefühl zu heben und zu kräftigen. Den höchsten Aufschwung der Festfreude, den nationalsten Act unter den Sänger- und Schützenfesten im verflossenen Jahre machte ohne Zweifel das frankfurter Bundesschießen aus. und hoffentlich wird das herannahende große Turnfest zu Leipzig ebensowenig hinter den Erwartungen zurückbleiben. Unwillkürlich wendet sich inzwischen der vergleichende Blick des Geschichtsfreundes demjenigen Lande zu, dessen Bevölkerung im Alterthume hinsichtlich seiner Culturmomente und seiner po¬ litischen Gestaltung so mancherlei Aehnlichkeit mit der deutschen auszuweisen hat und darum von einem unsrer geistreichsten Historiker „das Deutschland des Alterthums" genannt worden ist. Allerdings zeigte sich in Griechenland die Rivalität der verschiedenen Staaten und der Particularismus, auch was die größeren Feste anlangt, in dem Bestreben jeder Stadt, ihren Festversammlungen eine möglichst weite Ausdehnung und Anerkennung zu verschaffen; allein schon sehr früh gelangten die vier Feste der Olympier, Pythien. Neuem und Jsth- mien zu so allgemeiner Bedeutung, daß sie wirkliche Nationalfeste wurden, hin¬ ter denen selbst die vielbesuchten Panathenäen und Eleusinien der stolzen Thescus- stadt zurückstehen mußten. Das älteste und angesehenste dieser Feste war be¬ kanntlich das olympische. Olympia selbst war nicht eine Ortschaft, sondern Grenzboten III. 1SK3. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/89>, abgerufen am 29.04.2024.