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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz
4.
?mis?olomas.

"Gewiß war die Theilung Polens eine große, schwere Versündigung"
-- so sagte neulich ein versöhnungsdurstiger Deutscher zu dem Sohne eines der be-
rühmtesten polnischen Helden, Herrn v. D. -- "Glauben Sie das nicht," er¬
widerte der Angeredete, der dessen ohn^eachtet bei allen Agitationen mit¬
spielt, "das mußte so kommen. Die Wirthschaft ward zu toll. Der große
Fritz ist mein Mann" u. s. f.

In der That gibt es kein trüberes und zugleich kein lehrreicheres Blatt der
Geschichte, als das von dem Untergange Polens, nach dem Aussterben der
Jagellonen. "Polen gleicht einem Schiffe auf dem Meere," so sprach der letzte
derselben, Sigismund der Zweite August vor seinem Tode, "das dem Toben
aller vier Elemente ausgesetzt ist. Es nahen sich die schäumenden Wellen,
welche es hin- und herschleudern und endlich zertrümmern werden."

Der Warnungsruf ward überhört, durch die paew eorivont-i das Wahl¬
reich gegründet, und dadurch die Uebermacht des Adels über den König zum
Gesetz erhoben. Der sichere Weg zur Anarchie. Stephan Bathvry, der zweite
Wahlkönig, stand schon in offenem Streite mit den Magnaten, als er ihnen
auf dem Reichstage zu Thorn 1577 zurief: "Ich bin Euer rechtmäßiger König,
kein erdichteter, kein gemalter. Ich will herrschen und gebieten und dulde nicht,



') Herr Dr, Mcjzig zu Lissa bot in einem ebenso schwungvollen als unartigen Schreibe,
briefe unter Berufung auf Vcnnhagcns Ansicht über die Polen bei uns angehalten, die Fort-
schung dieser Berichte einzustellen. Wir bedauern, ihm nicht gefällig sei" zu können, da wir
zu denen gehören, die sich durch Schwung und Unart nicht überzeugen lassen, und denen der
selige Narnhagcn in polnischen Fragen eher alles Andere als eine Autorität ist, Dagegen er¬
laubt uns der Herr Docior vielleicht, ihm als Entgelt für die Mühe, die er sich mit un,erer
Bekehrung gemacht, einen doppelten Rath zu ertheilen. Wolle er sich über die bisher er-
schiene"-" Posener Briefe nicht vor der Zeit echauffncn; denn es kommt in den bewar dexter
schlimmer. Und wolle er. der möglicherweise Vieles gelernt hat, noch Eins dazu lernen --
ich D, Red. zu f.haln-"!'
Grenzboten I. 1863. 41
Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz
4.
?mis?olomas.

„Gewiß war die Theilung Polens eine große, schwere Versündigung"
— so sagte neulich ein versöhnungsdurstiger Deutscher zu dem Sohne eines der be-
rühmtesten polnischen Helden, Herrn v. D. — „Glauben Sie das nicht," er¬
widerte der Angeredete, der dessen ohn^eachtet bei allen Agitationen mit¬
spielt, „das mußte so kommen. Die Wirthschaft ward zu toll. Der große
Fritz ist mein Mann" u. s. f.

In der That gibt es kein trüberes und zugleich kein lehrreicheres Blatt der
Geschichte, als das von dem Untergange Polens, nach dem Aussterben der
Jagellonen. „Polen gleicht einem Schiffe auf dem Meere," so sprach der letzte
derselben, Sigismund der Zweite August vor seinem Tode, „das dem Toben
aller vier Elemente ausgesetzt ist. Es nahen sich die schäumenden Wellen,
welche es hin- und herschleudern und endlich zertrümmern werden."

Der Warnungsruf ward überhört, durch die paew eorivont-i das Wahl¬
reich gegründet, und dadurch die Uebermacht des Adels über den König zum
Gesetz erhoben. Der sichere Weg zur Anarchie. Stephan Bathvry, der zweite
Wahlkönig, stand schon in offenem Streite mit den Magnaten, als er ihnen
auf dem Reichstage zu Thorn 1577 zurief: „Ich bin Euer rechtmäßiger König,
kein erdichteter, kein gemalter. Ich will herrschen und gebieten und dulde nicht,



') Herr Dr, Mcjzig zu Lissa bot in einem ebenso schwungvollen als unartigen Schreibe,
briefe unter Berufung auf Vcnnhagcns Ansicht über die Polen bei uns angehalten, die Fort-
schung dieser Berichte einzustellen. Wir bedauern, ihm nicht gefällig sei» zu können, da wir
zu denen gehören, die sich durch Schwung und Unart nicht überzeugen lassen, und denen der
selige Narnhagcn in polnischen Fragen eher alles Andere als eine Autorität ist, Dagegen er¬
laubt uns der Herr Docior vielleicht, ihm als Entgelt für die Mühe, die er sich mit un,erer
Bekehrung gemacht, einen doppelten Rath zu ertheilen. Wolle er sich über die bisher er-
schiene»-» Posener Briefe nicht vor der Zeit echauffncn; denn es kommt in den bewar dexter
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[0329] Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz 4. ?mis?olomas. „Gewiß war die Theilung Polens eine große, schwere Versündigung" — so sagte neulich ein versöhnungsdurstiger Deutscher zu dem Sohne eines der be- rühmtesten polnischen Helden, Herrn v. D. — „Glauben Sie das nicht," er¬ widerte der Angeredete, der dessen ohn^eachtet bei allen Agitationen mit¬ spielt, „das mußte so kommen. Die Wirthschaft ward zu toll. Der große Fritz ist mein Mann" u. s. f. In der That gibt es kein trüberes und zugleich kein lehrreicheres Blatt der Geschichte, als das von dem Untergange Polens, nach dem Aussterben der Jagellonen. „Polen gleicht einem Schiffe auf dem Meere," so sprach der letzte derselben, Sigismund der Zweite August vor seinem Tode, „das dem Toben aller vier Elemente ausgesetzt ist. Es nahen sich die schäumenden Wellen, welche es hin- und herschleudern und endlich zertrümmern werden." Der Warnungsruf ward überhört, durch die paew eorivont-i das Wahl¬ reich gegründet, und dadurch die Uebermacht des Adels über den König zum Gesetz erhoben. Der sichere Weg zur Anarchie. Stephan Bathvry, der zweite Wahlkönig, stand schon in offenem Streite mit den Magnaten, als er ihnen auf dem Reichstage zu Thorn 1577 zurief: „Ich bin Euer rechtmäßiger König, kein erdichteter, kein gemalter. Ich will herrschen und gebieten und dulde nicht, ') Herr Dr, Mcjzig zu Lissa bot in einem ebenso schwungvollen als unartigen Schreibe, briefe unter Berufung auf Vcnnhagcns Ansicht über die Polen bei uns angehalten, die Fort- schung dieser Berichte einzustellen. Wir bedauern, ihm nicht gefällig sei» zu können, da wir zu denen gehören, die sich durch Schwung und Unart nicht überzeugen lassen, und denen der selige Narnhagcn in polnischen Fragen eher alles Andere als eine Autorität ist, Dagegen er¬ laubt uns der Herr Docior vielleicht, ihm als Entgelt für die Mühe, die er sich mit un,erer Bekehrung gemacht, einen doppelten Rath zu ertheilen. Wolle er sich über die bisher er- schiene»-» Posener Briefe nicht vor der Zeit echauffncn; denn es kommt in den bewar dexter schlimmer. Und wolle er. der möglicherweise Vieles gelernt hat, noch Eins dazu lernen — ich D, Red. zu f.haln-»!' Grenzboten I. 1863. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/329>, abgerufen am 26.04.2024.