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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Die Münchener Maximiliansstraßc und der moderne Baustil.
3.

Nun zu jden Privatbauten. An ihnen sollte sich die neue Bauweise
ebenfalls bewahren, um -- so schien wenigstens der Wille des Königs -- auch
den Raum für das tägliche Dasein künstlerisch zu beleben und seine Gestalt,
erhoben über den bloßen Zweck des Bedürfnisses, in ein harmonisches Ver¬
hältniß zu der nachbarlichen "monumentalen" Architektur zu setzen. Wir
wollen sehen, was der neue Stil aus dem Privathause gemacht hat und zu¬
nächst den Bau betrachten, der sich dafür ausgibt, wieder ein ganz eigenthüm¬
licher Ausdruck desselben zu sein.

Der Gasthof zu den vier Jahreszeiten,

die Arbeit eines anderen, dritten Architekten. Das Haus scheint nicht ein, sondern
zwei Gebäude vorstellen zu wollen, von denen jedes in der Mitte in einem
Risalite einen besonderen spitzbogigen Eingang zeigt. Jeder dieser Risalite hat
in seinem obersten Theile eine Art von schmaler rundbogiger Loggie, kehrt
so in neuem Bauspiele die chronologische Ordnung um und läßt den romani¬
schen Stil sich über dem gothischen entwickeln; er endigt dann über der Höhe
des Hauptgesimses in einem flachauslaufcnden schwächlich gekrönten Giebel.
Die beiden Gebäude tragen, wie Zwillinge, ganz dasselbe Gewand; doch haben
sie, wie um nicht verwechselt zu werden, einige kleine unterscheidende Merk¬
male. Wie die Inschriften zeigen, gehört der eine Eingang zu dem "Gasthof
zu den vier Jahreszeiten", der andere zu dem ,MeI aux yuatro Bisons".
Ferner stehen auf der deutschen Seite die Statuen des Winters und Herbstes,
auf der französischen die des Sommers und Frühlings -- alle übrigens in der
plumpen Manier, die wir als Eigenschaft der neuen monumentalen Plastik
kennen gelernt haben -- zu beiden Seiten der Risalite auf Untcrsätzen, welche
in Form von Klingelbeuteln vor der Mauer hängen. Schließlich sehen wir zu¬
oberst in den Giebelfeldern zwei moderne Hausknechte sich herauslegcn, welche
durch die Grobheit ihrer Formen die deutsche Hauskncchtsnatur allerdings nicht


Grenzboten II. isss. 56
Die Münchener Maximiliansstraßc und der moderne Baustil.
3.

Nun zu jden Privatbauten. An ihnen sollte sich die neue Bauweise
ebenfalls bewahren, um — so schien wenigstens der Wille des Königs — auch
den Raum für das tägliche Dasein künstlerisch zu beleben und seine Gestalt,
erhoben über den bloßen Zweck des Bedürfnisses, in ein harmonisches Ver¬
hältniß zu der nachbarlichen „monumentalen" Architektur zu setzen. Wir
wollen sehen, was der neue Stil aus dem Privathause gemacht hat und zu¬
nächst den Bau betrachten, der sich dafür ausgibt, wieder ein ganz eigenthüm¬
licher Ausdruck desselben zu sein.

Der Gasthof zu den vier Jahreszeiten,

die Arbeit eines anderen, dritten Architekten. Das Haus scheint nicht ein, sondern
zwei Gebäude vorstellen zu wollen, von denen jedes in der Mitte in einem
Risalite einen besonderen spitzbogigen Eingang zeigt. Jeder dieser Risalite hat
in seinem obersten Theile eine Art von schmaler rundbogiger Loggie, kehrt
so in neuem Bauspiele die chronologische Ordnung um und läßt den romani¬
schen Stil sich über dem gothischen entwickeln; er endigt dann über der Höhe
des Hauptgesimses in einem flachauslaufcnden schwächlich gekrönten Giebel.
Die beiden Gebäude tragen, wie Zwillinge, ganz dasselbe Gewand; doch haben
sie, wie um nicht verwechselt zu werden, einige kleine unterscheidende Merk¬
male. Wie die Inschriften zeigen, gehört der eine Eingang zu dem „Gasthof
zu den vier Jahreszeiten", der andere zu dem ,MeI aux yuatro Bisons".
Ferner stehen auf der deutschen Seite die Statuen des Winters und Herbstes,
auf der französischen die des Sommers und Frühlings — alle übrigens in der
plumpen Manier, die wir als Eigenschaft der neuen monumentalen Plastik
kennen gelernt haben — zu beiden Seiten der Risalite auf Untcrsätzen, welche
in Form von Klingelbeuteln vor der Mauer hängen. Schließlich sehen wir zu¬
oberst in den Giebelfeldern zwei moderne Hausknechte sich herauslegcn, welche
durch die Grobheit ihrer Formen die deutsche Hauskncchtsnatur allerdings nicht


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[0445] Die Münchener Maximiliansstraßc und der moderne Baustil. 3. Nun zu jden Privatbauten. An ihnen sollte sich die neue Bauweise ebenfalls bewahren, um — so schien wenigstens der Wille des Königs — auch den Raum für das tägliche Dasein künstlerisch zu beleben und seine Gestalt, erhoben über den bloßen Zweck des Bedürfnisses, in ein harmonisches Ver¬ hältniß zu der nachbarlichen „monumentalen" Architektur zu setzen. Wir wollen sehen, was der neue Stil aus dem Privathause gemacht hat und zu¬ nächst den Bau betrachten, der sich dafür ausgibt, wieder ein ganz eigenthüm¬ licher Ausdruck desselben zu sein. Der Gasthof zu den vier Jahreszeiten, die Arbeit eines anderen, dritten Architekten. Das Haus scheint nicht ein, sondern zwei Gebäude vorstellen zu wollen, von denen jedes in der Mitte in einem Risalite einen besonderen spitzbogigen Eingang zeigt. Jeder dieser Risalite hat in seinem obersten Theile eine Art von schmaler rundbogiger Loggie, kehrt so in neuem Bauspiele die chronologische Ordnung um und läßt den romani¬ schen Stil sich über dem gothischen entwickeln; er endigt dann über der Höhe des Hauptgesimses in einem flachauslaufcnden schwächlich gekrönten Giebel. Die beiden Gebäude tragen, wie Zwillinge, ganz dasselbe Gewand; doch haben sie, wie um nicht verwechselt zu werden, einige kleine unterscheidende Merk¬ male. Wie die Inschriften zeigen, gehört der eine Eingang zu dem „Gasthof zu den vier Jahreszeiten", der andere zu dem ,MeI aux yuatro Bisons". Ferner stehen auf der deutschen Seite die Statuen des Winters und Herbstes, auf der französischen die des Sommers und Frühlings — alle übrigens in der plumpen Manier, die wir als Eigenschaft der neuen monumentalen Plastik kennen gelernt haben — zu beiden Seiten der Risalite auf Untcrsätzen, welche in Form von Klingelbeuteln vor der Mauer hängen. Schließlich sehen wir zu¬ oberst in den Giebelfeldern zwei moderne Hausknechte sich herauslegcn, welche durch die Grobheit ihrer Formen die deutsche Hauskncchtsnatur allerdings nicht Grenzboten II. isss. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/445>, abgerufen am 08.05.2024.