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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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unpassend vertreten; jeder zu beiden Seiten von dem Kopf eines seltsamen Ge¬
schöpfes aus entlegenen Welttheilen begleitet. In dieser liebenswürdigen Sym¬
bolik ist ein neuer Versuch gemacht worden, das Komische in die Architektur
einzuführen, und wir können allerdings versichern, daß wir niemals einen
schlechteren Witz versteinert gesehen haben. -- Bon diesen kleinen Unterschieden
also abgesehen sind die beiden aneinanderstoßenden Gebäudcthcile ganz gleich
gebildet: eine Zweitheilung eines und desselben Baues, eine neue Art von
"Gliederung", sür die sich ebenfalls ein zweites Beispiel so leicht nicht finden
mag. Man glaubte bisher, daß ein Bau zur Gliederung eines Centrums oder
doch eines Haupttheils bedürfe; doch der neue Stil versteht das besser und weiß
einen Körper aus zwei Beinen zu machen.

Das Haus hat fünf Stockwerke mit mannigfach variirten Fensterformen,
worunter zweimal der Spitzbogen. Eine merkwürdige Form -- die denn auch
einzig geblieben ist -- zeigt sich in dem Fünfecke, das hier zur Fenstcr-
bildung benutzt ist. Es kann eigentlich Wundernehmen, daß diese neue Form,
die ebenso unconstructiv als unästhetisch und daher in jeder Beziehung wider¬
sinnig ist, in der neuen Straße nicht weiter ausgebeutet worden. Auch die Reihe
von verglasten plumpen Vierpässen, welche unter dem Hauptgesimse einem Dach¬
geschosse zu entsprechen scheinen, je zwei zwischen einer Art von Trommelschlä¬
geln, die an dem Hauptgesimse hängen, hat keine Nachahmung gefunden, und
so ist dieses Gebäude doch nicht durchaus das Muster geworden, als das es
vor allen andern in der Straße aufgeführt wurde. Darin aber ist es Vorbild
für die übrigen geblieben, daß es durch Strecklisenen vom Erdgeschosse bis hin¬
auf unter die Vierpaßgarnitur Mauerfüllungcn bildet, in welchen die Fenster
stehen. Diese Füllungen geben nach Belieben durch ein oder zwei Stockwerke
durch, je nachdem es den Stockwerksgurten oder auch den Gesimsen der Fen-
sterbrüstungen ihre wagrechte Theilung durch das ganze Gebäude oder nur
durch die Füllungen zu führen einfällt: eine Verwirrung der Theilung, die
jede Massenwirkung aufhebt. In der Mitte der Höhe des Baues ist noch¬
mals eine zweite Füllung in die erste gestellt, wodurch die Liscnen in den
mittleren Stockwerken breiter erscheinen als in den unteren und oberen: wieder
eine ebenso sinnreiche als geschmackvolle Neuerung. Daß dadurch der obere
Theil schwerer wird, als der untere, ist natürlich: ein Mißvcrhältmß, das durch
die Bogenfriese und Zahnschnittträgcr. mit welchen die Füllungen oben wäg-,
recht abschließen, noch stärker hervortritt. Allein was liegt daran! Augen¬
scheinlich will nun einmal diese Architektur mit den althergebrachten Grund¬
sätzen, "wie z. B. mit dem, daß das Leichte auf das Schwere zu folgen habe,
entschieden brechen, um ihre Neuheit durch das Gegentheil zu beweisen.

Daher sind wohl auch die Ornamente -- bald maßwcrk- bald stickmuster-
artig -- in einer Weise behandelt, die sich mit keiner Ornamentirung früherer


unpassend vertreten; jeder zu beiden Seiten von dem Kopf eines seltsamen Ge¬
schöpfes aus entlegenen Welttheilen begleitet. In dieser liebenswürdigen Sym¬
bolik ist ein neuer Versuch gemacht worden, das Komische in die Architektur
einzuführen, und wir können allerdings versichern, daß wir niemals einen
schlechteren Witz versteinert gesehen haben. — Bon diesen kleinen Unterschieden
also abgesehen sind die beiden aneinanderstoßenden Gebäudcthcile ganz gleich
gebildet: eine Zweitheilung eines und desselben Baues, eine neue Art von
„Gliederung", sür die sich ebenfalls ein zweites Beispiel so leicht nicht finden
mag. Man glaubte bisher, daß ein Bau zur Gliederung eines Centrums oder
doch eines Haupttheils bedürfe; doch der neue Stil versteht das besser und weiß
einen Körper aus zwei Beinen zu machen.

Das Haus hat fünf Stockwerke mit mannigfach variirten Fensterformen,
worunter zweimal der Spitzbogen. Eine merkwürdige Form — die denn auch
einzig geblieben ist — zeigt sich in dem Fünfecke, das hier zur Fenstcr-
bildung benutzt ist. Es kann eigentlich Wundernehmen, daß diese neue Form,
die ebenso unconstructiv als unästhetisch und daher in jeder Beziehung wider¬
sinnig ist, in der neuen Straße nicht weiter ausgebeutet worden. Auch die Reihe
von verglasten plumpen Vierpässen, welche unter dem Hauptgesimse einem Dach¬
geschosse zu entsprechen scheinen, je zwei zwischen einer Art von Trommelschlä¬
geln, die an dem Hauptgesimse hängen, hat keine Nachahmung gefunden, und
so ist dieses Gebäude doch nicht durchaus das Muster geworden, als das es
vor allen andern in der Straße aufgeführt wurde. Darin aber ist es Vorbild
für die übrigen geblieben, daß es durch Strecklisenen vom Erdgeschosse bis hin¬
auf unter die Vierpaßgarnitur Mauerfüllungcn bildet, in welchen die Fenster
stehen. Diese Füllungen geben nach Belieben durch ein oder zwei Stockwerke
durch, je nachdem es den Stockwerksgurten oder auch den Gesimsen der Fen-
sterbrüstungen ihre wagrechte Theilung durch das ganze Gebäude oder nur
durch die Füllungen zu führen einfällt: eine Verwirrung der Theilung, die
jede Massenwirkung aufhebt. In der Mitte der Höhe des Baues ist noch¬
mals eine zweite Füllung in die erste gestellt, wodurch die Liscnen in den
mittleren Stockwerken breiter erscheinen als in den unteren und oberen: wieder
eine ebenso sinnreiche als geschmackvolle Neuerung. Daß dadurch der obere
Theil schwerer wird, als der untere, ist natürlich: ein Mißvcrhältmß, das durch
die Bogenfriese und Zahnschnittträgcr. mit welchen die Füllungen oben wäg-,
recht abschließen, noch stärker hervortritt. Allein was liegt daran! Augen¬
scheinlich will nun einmal diese Architektur mit den althergebrachten Grund¬
sätzen, «wie z. B. mit dem, daß das Leichte auf das Schwere zu folgen habe,
entschieden brechen, um ihre Neuheit durch das Gegentheil zu beweisen.

Daher sind wohl auch die Ornamente — bald maßwcrk- bald stickmuster-
artig — in einer Weise behandelt, die sich mit keiner Ornamentirung früherer


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[0446] unpassend vertreten; jeder zu beiden Seiten von dem Kopf eines seltsamen Ge¬ schöpfes aus entlegenen Welttheilen begleitet. In dieser liebenswürdigen Sym¬ bolik ist ein neuer Versuch gemacht worden, das Komische in die Architektur einzuführen, und wir können allerdings versichern, daß wir niemals einen schlechteren Witz versteinert gesehen haben. — Bon diesen kleinen Unterschieden also abgesehen sind die beiden aneinanderstoßenden Gebäudcthcile ganz gleich gebildet: eine Zweitheilung eines und desselben Baues, eine neue Art von „Gliederung", sür die sich ebenfalls ein zweites Beispiel so leicht nicht finden mag. Man glaubte bisher, daß ein Bau zur Gliederung eines Centrums oder doch eines Haupttheils bedürfe; doch der neue Stil versteht das besser und weiß einen Körper aus zwei Beinen zu machen. Das Haus hat fünf Stockwerke mit mannigfach variirten Fensterformen, worunter zweimal der Spitzbogen. Eine merkwürdige Form — die denn auch einzig geblieben ist — zeigt sich in dem Fünfecke, das hier zur Fenstcr- bildung benutzt ist. Es kann eigentlich Wundernehmen, daß diese neue Form, die ebenso unconstructiv als unästhetisch und daher in jeder Beziehung wider¬ sinnig ist, in der neuen Straße nicht weiter ausgebeutet worden. Auch die Reihe von verglasten plumpen Vierpässen, welche unter dem Hauptgesimse einem Dach¬ geschosse zu entsprechen scheinen, je zwei zwischen einer Art von Trommelschlä¬ geln, die an dem Hauptgesimse hängen, hat keine Nachahmung gefunden, und so ist dieses Gebäude doch nicht durchaus das Muster geworden, als das es vor allen andern in der Straße aufgeführt wurde. Darin aber ist es Vorbild für die übrigen geblieben, daß es durch Strecklisenen vom Erdgeschosse bis hin¬ auf unter die Vierpaßgarnitur Mauerfüllungcn bildet, in welchen die Fenster stehen. Diese Füllungen geben nach Belieben durch ein oder zwei Stockwerke durch, je nachdem es den Stockwerksgurten oder auch den Gesimsen der Fen- sterbrüstungen ihre wagrechte Theilung durch das ganze Gebäude oder nur durch die Füllungen zu führen einfällt: eine Verwirrung der Theilung, die jede Massenwirkung aufhebt. In der Mitte der Höhe des Baues ist noch¬ mals eine zweite Füllung in die erste gestellt, wodurch die Liscnen in den mittleren Stockwerken breiter erscheinen als in den unteren und oberen: wieder eine ebenso sinnreiche als geschmackvolle Neuerung. Daß dadurch der obere Theil schwerer wird, als der untere, ist natürlich: ein Mißvcrhältmß, das durch die Bogenfriese und Zahnschnittträgcr. mit welchen die Füllungen oben wäg-, recht abschließen, noch stärker hervortritt. Allein was liegt daran! Augen¬ scheinlich will nun einmal diese Architektur mit den althergebrachten Grund¬ sätzen, «wie z. B. mit dem, daß das Leichte auf das Schwere zu folgen habe, entschieden brechen, um ihre Neuheit durch das Gegentheil zu beweisen. Daher sind wohl auch die Ornamente — bald maßwcrk- bald stickmuster- artig — in einer Weise behandelt, die sich mit keiner Ornamentirung früherer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/446>, abgerufen am 20.05.2024.