Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Kuartal,
welches durch alle Wuchhandllmgen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im Juni 1863.Die Verlaftshandlung.

Oestreich unter Metternich.

Geschichte Oestreichs seit dem Wiener Frieden 1809. Von Anton Springer. Erster
Theil. Der Verfall des alten Reiches. Leipzig, Verlag von S. Hirzel. 1863.

Der erste Theil des obenangeführten Werkes umfaßt den Zeitabschnitt vom
wiener Frieden bis zu den der Revolution des Jahres 1848 unmittelbar vor¬
hergehenden Begebenheiten, also eine Periode, deren Ereignisse vor den Augen
der älteren, zum Theil selbst der jüngeren Zeitgenossen, sich entwickelt haben.
Sie betreffen einen Staat, der vielfach den Mittelpunkt der europäischen Po¬
litik gebildet hat, zu jeder Zeit aber der Gegenstand der aufmerksamsten, theils
Wohlwollenden, theils argwöhnischen Beobachtung gewesen ist. Und dennoch
wird auch, wer aufmerksam eine Reihe von Jahren hindurch ohne Unterbrechung
dem Gange der Begebenheiten gefolgt ist, aus dem vorliegenden Buche nicht
nur erneuere Anregung, sondern auch reichste Belehrung schöpfen. Gewiß ist der
unmittelbare Eindruck des mit Bewußtsein Miterlebten auf unsere Seele kräfti¬
ger und wirkungsvoller als die treueste Schilderung des Geschehenen. Wir
nehmen an den Begebenheiten der Zeit nicht blos mit dem Verstände, sondern
auch mit dem Gemüthe, mit Neigung und Abneigung, Furcht und Hoffnung
Theil. Gerade diese gemüthliche Theilnahme, diese Parteinahme aber ist für
eine klare und zusammenhängende Erkenntniß nicht gerade förderlich, da das
Urtheil des Einzelnen, meist von dem augenblicklichen Eindruck bestimmt, den
Wandlungen der Dinge folgt und den Zusammenhang der Begebenheiten zu
erkennen glaubt; wenn er im Stande ist, jeden Punkt der Entwickelung mit
dem unmittelbar vorhergehenden Momente nach den Kategorien von Ursache und
Wirkung zu verknüpfen. Dem unmittelbaren Bedürfniß des Verstandes ist da¬
mit genug gethan, eine wahre Erkenntniß des Geschehenen wird aber nur da¬
durch gewonnen, daß jedes einer Entwickelungskette Angehörige Ereigniß stets
mit dem Anfangsgliede der Kette in Beziehung gesetzt, mit andern Worten,
daß jede Begebenheit als Glied einer Kette erkannt wird.

Daß die zeitgenössische Geschichte einer derartigen zusammenhängenden Er¬
kenntniß nicht widerstrebt, ist unzweifelhaft. Selbst wo die innersten, geheimsten
Triebfedern der Handlungen noch in Archiven, Cabineten und geheimen Cor-


Grenzboten II. 1863.

Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Kuartal,
welches durch alle Wuchhandllmgen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im Juni 1863.Die Verlaftshandlung.

Oestreich unter Metternich.

Geschichte Oestreichs seit dem Wiener Frieden 1809. Von Anton Springer. Erster
Theil. Der Verfall des alten Reiches. Leipzig, Verlag von S. Hirzel. 1863.

Der erste Theil des obenangeführten Werkes umfaßt den Zeitabschnitt vom
wiener Frieden bis zu den der Revolution des Jahres 1848 unmittelbar vor¬
hergehenden Begebenheiten, also eine Periode, deren Ereignisse vor den Augen
der älteren, zum Theil selbst der jüngeren Zeitgenossen, sich entwickelt haben.
Sie betreffen einen Staat, der vielfach den Mittelpunkt der europäischen Po¬
litik gebildet hat, zu jeder Zeit aber der Gegenstand der aufmerksamsten, theils
Wohlwollenden, theils argwöhnischen Beobachtung gewesen ist. Und dennoch
wird auch, wer aufmerksam eine Reihe von Jahren hindurch ohne Unterbrechung
dem Gange der Begebenheiten gefolgt ist, aus dem vorliegenden Buche nicht
nur erneuere Anregung, sondern auch reichste Belehrung schöpfen. Gewiß ist der
unmittelbare Eindruck des mit Bewußtsein Miterlebten auf unsere Seele kräfti¬
ger und wirkungsvoller als die treueste Schilderung des Geschehenen. Wir
nehmen an den Begebenheiten der Zeit nicht blos mit dem Verstände, sondern
auch mit dem Gemüthe, mit Neigung und Abneigung, Furcht und Hoffnung
Theil. Gerade diese gemüthliche Theilnahme, diese Parteinahme aber ist für
eine klare und zusammenhängende Erkenntniß nicht gerade förderlich, da das
Urtheil des Einzelnen, meist von dem augenblicklichen Eindruck bestimmt, den
Wandlungen der Dinge folgt und den Zusammenhang der Begebenheiten zu
erkennen glaubt; wenn er im Stande ist, jeden Punkt der Entwickelung mit
dem unmittelbar vorhergehenden Momente nach den Kategorien von Ursache und
Wirkung zu verknüpfen. Dem unmittelbaren Bedürfniß des Verstandes ist da¬
mit genug gethan, eine wahre Erkenntniß des Geschehenen wird aber nur da¬
durch gewonnen, daß jedes einer Entwickelungskette Angehörige Ereigniß stets
mit dem Anfangsgliede der Kette in Beziehung gesetzt, mit andern Worten,
daß jede Begebenheit als Glied einer Kette erkannt wird.

Daß die zeitgenössische Geschichte einer derartigen zusammenhängenden Er¬
kenntniß nicht widerstrebt, ist unzweifelhaft. Selbst wo die innersten, geheimsten
Triebfedern der Handlungen noch in Archiven, Cabineten und geheimen Cor-


Grenzboten II. 1863.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0485" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188512"/>
          </div>
        </div>
        <div>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="advertisement">
                <p> Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Kuartal,<lb/>
welches durch alle Wuchhandllmgen und Postämter zu be¬<lb/>
ziehen ist.<lb/>
Leipzig, im Juni 1863.Die Verlaftshandlung.</p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Oestreich unter Metternich.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1661"> Geschichte Oestreichs seit dem Wiener Frieden 1809.  Von Anton Springer. Erster<lb/>
Theil. Der Verfall des alten Reiches. Leipzig, Verlag von S. Hirzel. 1863.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1662"> Der erste Theil des obenangeführten Werkes umfaßt den Zeitabschnitt vom<lb/>
wiener Frieden bis zu den der Revolution des Jahres 1848 unmittelbar vor¬<lb/>
hergehenden Begebenheiten, also eine Periode, deren Ereignisse vor den Augen<lb/>
der älteren, zum Theil selbst der jüngeren Zeitgenossen, sich entwickelt haben.<lb/>
Sie betreffen einen Staat, der vielfach den Mittelpunkt der europäischen Po¬<lb/>
litik gebildet hat, zu jeder Zeit aber der Gegenstand der aufmerksamsten, theils<lb/>
Wohlwollenden, theils argwöhnischen Beobachtung gewesen ist. Und dennoch<lb/>
wird auch, wer aufmerksam eine Reihe von Jahren hindurch ohne Unterbrechung<lb/>
dem Gange der Begebenheiten gefolgt ist, aus dem vorliegenden Buche nicht<lb/>
nur erneuere Anregung, sondern auch reichste Belehrung schöpfen. Gewiß ist der<lb/>
unmittelbare Eindruck des mit Bewußtsein Miterlebten auf unsere Seele kräfti¬<lb/>
ger und wirkungsvoller als die treueste Schilderung des Geschehenen. Wir<lb/>
nehmen an den Begebenheiten der Zeit nicht blos mit dem Verstände, sondern<lb/>
auch mit dem Gemüthe, mit Neigung und Abneigung, Furcht und Hoffnung<lb/>
Theil. Gerade diese gemüthliche Theilnahme, diese Parteinahme aber ist für<lb/>
eine klare und zusammenhängende Erkenntniß nicht gerade förderlich, da das<lb/>
Urtheil des Einzelnen, meist von dem augenblicklichen Eindruck bestimmt, den<lb/>
Wandlungen der Dinge folgt und den Zusammenhang der Begebenheiten zu<lb/>
erkennen glaubt; wenn er im Stande ist, jeden Punkt der Entwickelung mit<lb/>
dem unmittelbar vorhergehenden Momente nach den Kategorien von Ursache und<lb/>
Wirkung zu verknüpfen. Dem unmittelbaren Bedürfniß des Verstandes ist da¬<lb/>
mit genug gethan, eine wahre Erkenntniß des Geschehenen wird aber nur da¬<lb/>
durch gewonnen, daß jedes einer Entwickelungskette Angehörige Ereigniß stets<lb/>
mit dem Anfangsgliede der Kette in Beziehung gesetzt, mit andern Worten,<lb/>
daß jede Begebenheit als Glied einer Kette erkannt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1663" next="#ID_1664"> Daß die zeitgenössische Geschichte einer derartigen zusammenhängenden Er¬<lb/>
kenntniß nicht widerstrebt, ist unzweifelhaft. Selbst wo die innersten, geheimsten<lb/>
Triebfedern der Handlungen noch in Archiven, Cabineten und geheimen Cor-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1863.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0485] Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Kuartal, welches durch alle Wuchhandllmgen und Postämter zu be¬ ziehen ist. Leipzig, im Juni 1863.Die Verlaftshandlung. Oestreich unter Metternich. Geschichte Oestreichs seit dem Wiener Frieden 1809. Von Anton Springer. Erster Theil. Der Verfall des alten Reiches. Leipzig, Verlag von S. Hirzel. 1863. Der erste Theil des obenangeführten Werkes umfaßt den Zeitabschnitt vom wiener Frieden bis zu den der Revolution des Jahres 1848 unmittelbar vor¬ hergehenden Begebenheiten, also eine Periode, deren Ereignisse vor den Augen der älteren, zum Theil selbst der jüngeren Zeitgenossen, sich entwickelt haben. Sie betreffen einen Staat, der vielfach den Mittelpunkt der europäischen Po¬ litik gebildet hat, zu jeder Zeit aber der Gegenstand der aufmerksamsten, theils Wohlwollenden, theils argwöhnischen Beobachtung gewesen ist. Und dennoch wird auch, wer aufmerksam eine Reihe von Jahren hindurch ohne Unterbrechung dem Gange der Begebenheiten gefolgt ist, aus dem vorliegenden Buche nicht nur erneuere Anregung, sondern auch reichste Belehrung schöpfen. Gewiß ist der unmittelbare Eindruck des mit Bewußtsein Miterlebten auf unsere Seele kräfti¬ ger und wirkungsvoller als die treueste Schilderung des Geschehenen. Wir nehmen an den Begebenheiten der Zeit nicht blos mit dem Verstände, sondern auch mit dem Gemüthe, mit Neigung und Abneigung, Furcht und Hoffnung Theil. Gerade diese gemüthliche Theilnahme, diese Parteinahme aber ist für eine klare und zusammenhängende Erkenntniß nicht gerade förderlich, da das Urtheil des Einzelnen, meist von dem augenblicklichen Eindruck bestimmt, den Wandlungen der Dinge folgt und den Zusammenhang der Begebenheiten zu erkennen glaubt; wenn er im Stande ist, jeden Punkt der Entwickelung mit dem unmittelbar vorhergehenden Momente nach den Kategorien von Ursache und Wirkung zu verknüpfen. Dem unmittelbaren Bedürfniß des Verstandes ist da¬ mit genug gethan, eine wahre Erkenntniß des Geschehenen wird aber nur da¬ durch gewonnen, daß jedes einer Entwickelungskette Angehörige Ereigniß stets mit dem Anfangsgliede der Kette in Beziehung gesetzt, mit andern Worten, daß jede Begebenheit als Glied einer Kette erkannt wird. Daß die zeitgenössische Geschichte einer derartigen zusammenhängenden Er¬ kenntniß nicht widerstrebt, ist unzweifelhaft. Selbst wo die innersten, geheimsten Triebfedern der Handlungen noch in Archiven, Cabineten und geheimen Cor- Grenzboten II. 1863.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/485
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/485>, abgerufen am 08.05.2024.