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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Herausgabe fördert. Die Herausgeber würden etwa folgende Gesichtspunkte
festzuhalten haben: 1) alle unnütze Weitläufigkeit im Abdruck des Materials
wird vermieden, 2) das Material wird möglichst vollständig "ach dein gegen¬
wärtigen Standpunkt der Wissenschaft verarbeitet, 3) vor allem wird das
Interesse der Wissenschaft ins Auge gefaßt. Die beste und anziehendste Lectüre
wird ein solches Werk gerade dann, wenn es eine ernste wissenschaftliche Leistung
in allgemein verständlicher Sprache wird.




Zur Geschichte des Urchristentums.
5. Die tübinger Schule und ihre Ausläufer.

Lange Zeit wollte Baur nichts davon hören, daß er der Stifter und
Meister einer neuen "Schule" sein sollte. Es widerstrebte ihm der Neben¬
begriff der Partei, der Coterie, der sich gern an diesen Ausdruck hängt. Ganz
besonders aber protestirte er gegen jene, wie er meinte, zweideutige Ehre, weil
er sich nicht denken konnte, daß an den von ihm befolgten Grundsätzen etwas
Neues sei, er sich vielmehr bewußt war, daß wenn auch die Resultate neu
waren, sie doch mittelst einer kritischen Methode gewonnen wurden, welche der
Wissenschaft überhaupt gemeinsam ist. Allein es zeigte sich wirklich, daß in
theologischen Dingen die freimüthige Anwendung der sonst giltigen kritischen
Principien nicht die Regel, sondern die Ausnahme war; es blieb ein besondrer
durch Baur unmittelbar angeregter Kreis, der sich die geschichtliche Erforschung
des Urchristenthums zu seiner besondrer Aufgabe machte, und durch dessen
Resultate von our an auch die anderen Leistungen auf diesem Gebiet wesentlich
veranlaßt waren. Später befreundete sich auch der Meister mit jener Bezcich.
mung. obwohl er eine solidarische Einheit der tübinger Schule selbstverständ.
lich zurückwies, und es berührte ihn schmerzlich, wenn Einzelne, die er mit
größter Anerkennung aus dem von ihm gelegten Grunde weiter bauen sah, jede
Gemeinschaft mit dem verpöntem Namen mit ängstlichem Eifer von sich fern¬
zuhalten suchten und sich auf ihre norddeutsche Grenzlinie beriefen. Eine seiner
letzten und vollendetsten Schriften führt den Namen: Die tübinger Schule
(2. Aufl. 1860) und ist deren Rechtfertigung gewidmet. Mit schweren Waffe"
zieht er darin zu Feld gegen die vornehme Affectation einer neugläubigen Theo-


Herausgabe fördert. Die Herausgeber würden etwa folgende Gesichtspunkte
festzuhalten haben: 1) alle unnütze Weitläufigkeit im Abdruck des Materials
wird vermieden, 2) das Material wird möglichst vollständig »ach dein gegen¬
wärtigen Standpunkt der Wissenschaft verarbeitet, 3) vor allem wird das
Interesse der Wissenschaft ins Auge gefaßt. Die beste und anziehendste Lectüre
wird ein solches Werk gerade dann, wenn es eine ernste wissenschaftliche Leistung
in allgemein verständlicher Sprache wird.




Zur Geschichte des Urchristentums.
5. Die tübinger Schule und ihre Ausläufer.

Lange Zeit wollte Baur nichts davon hören, daß er der Stifter und
Meister einer neuen „Schule" sein sollte. Es widerstrebte ihm der Neben¬
begriff der Partei, der Coterie, der sich gern an diesen Ausdruck hängt. Ganz
besonders aber protestirte er gegen jene, wie er meinte, zweideutige Ehre, weil
er sich nicht denken konnte, daß an den von ihm befolgten Grundsätzen etwas
Neues sei, er sich vielmehr bewußt war, daß wenn auch die Resultate neu
waren, sie doch mittelst einer kritischen Methode gewonnen wurden, welche der
Wissenschaft überhaupt gemeinsam ist. Allein es zeigte sich wirklich, daß in
theologischen Dingen die freimüthige Anwendung der sonst giltigen kritischen
Principien nicht die Regel, sondern die Ausnahme war; es blieb ein besondrer
durch Baur unmittelbar angeregter Kreis, der sich die geschichtliche Erforschung
des Urchristenthums zu seiner besondrer Aufgabe machte, und durch dessen
Resultate von our an auch die anderen Leistungen auf diesem Gebiet wesentlich
veranlaßt waren. Später befreundete sich auch der Meister mit jener Bezcich.
mung. obwohl er eine solidarische Einheit der tübinger Schule selbstverständ.
lich zurückwies, und es berührte ihn schmerzlich, wenn Einzelne, die er mit
größter Anerkennung aus dem von ihm gelegten Grunde weiter bauen sah, jede
Gemeinschaft mit dem verpöntem Namen mit ängstlichem Eifer von sich fern¬
zuhalten suchten und sich auf ihre norddeutsche Grenzlinie beriefen. Eine seiner
letzten und vollendetsten Schriften führt den Namen: Die tübinger Schule
(2. Aufl. 1860) und ist deren Rechtfertigung gewidmet. Mit schweren Waffe»
zieht er darin zu Feld gegen die vornehme Affectation einer neugläubigen Theo-


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[0228] Herausgabe fördert. Die Herausgeber würden etwa folgende Gesichtspunkte festzuhalten haben: 1) alle unnütze Weitläufigkeit im Abdruck des Materials wird vermieden, 2) das Material wird möglichst vollständig »ach dein gegen¬ wärtigen Standpunkt der Wissenschaft verarbeitet, 3) vor allem wird das Interesse der Wissenschaft ins Auge gefaßt. Die beste und anziehendste Lectüre wird ein solches Werk gerade dann, wenn es eine ernste wissenschaftliche Leistung in allgemein verständlicher Sprache wird. Zur Geschichte des Urchristentums. 5. Die tübinger Schule und ihre Ausläufer. Lange Zeit wollte Baur nichts davon hören, daß er der Stifter und Meister einer neuen „Schule" sein sollte. Es widerstrebte ihm der Neben¬ begriff der Partei, der Coterie, der sich gern an diesen Ausdruck hängt. Ganz besonders aber protestirte er gegen jene, wie er meinte, zweideutige Ehre, weil er sich nicht denken konnte, daß an den von ihm befolgten Grundsätzen etwas Neues sei, er sich vielmehr bewußt war, daß wenn auch die Resultate neu waren, sie doch mittelst einer kritischen Methode gewonnen wurden, welche der Wissenschaft überhaupt gemeinsam ist. Allein es zeigte sich wirklich, daß in theologischen Dingen die freimüthige Anwendung der sonst giltigen kritischen Principien nicht die Regel, sondern die Ausnahme war; es blieb ein besondrer durch Baur unmittelbar angeregter Kreis, der sich die geschichtliche Erforschung des Urchristenthums zu seiner besondrer Aufgabe machte, und durch dessen Resultate von our an auch die anderen Leistungen auf diesem Gebiet wesentlich veranlaßt waren. Später befreundete sich auch der Meister mit jener Bezcich. mung. obwohl er eine solidarische Einheit der tübinger Schule selbstverständ. lich zurückwies, und es berührte ihn schmerzlich, wenn Einzelne, die er mit größter Anerkennung aus dem von ihm gelegten Grunde weiter bauen sah, jede Gemeinschaft mit dem verpöntem Namen mit ängstlichem Eifer von sich fern¬ zuhalten suchten und sich auf ihre norddeutsche Grenzlinie beriefen. Eine seiner letzten und vollendetsten Schriften führt den Namen: Die tübinger Schule (2. Aufl. 1860) und ist deren Rechtfertigung gewidmet. Mit schweren Waffe» zieht er darin zu Feld gegen die vornehme Affectation einer neugläubigen Theo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/228>, abgerufen am 07.05.2024.