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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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rechnet. Ueberhaupt finden wir bei Eusebius nicht ein sicheres kritisches Urtheil,
sondern blos die Constatirung des Zustands, in welchem sich der Kanon zu
seiner Zeit befand, allerdings auf einem Punkte, wo die Grenzen sich nun fester
zogen, indem vom jetzt an allgemein die von Eusebius als bestritten angeführten
Schriften als Apokryphen dem Kanon einverleibt werden, die Unterabtheilung
der unechten ausgeschieden wird und so unser jetziger Kanon zu Stande kommt.

Von untergeordneten Schwankungen abgesehen, setzte sich nur noch gegen
die Offenbarung des Johannes im Morgenland, gegen den Hebräerbrief im
Abendland der Widerspruch fort, der dann im fünften Jahrhundert vollends
verschwindet. Die Kritik war nun zum Schweigen gebracht. Lange Jahrhun¬
derte erfreute sich die Kirche ungestörter Ruhe vor diesem ungebetenen Gast.
Im Gefolge der humanistischen Bestrebungen klopfte er zum ersten Mal wieder
an die Thüre. Die Kirchenversammlung von Trient (1546) fand sich dadurch
veranlaßt, die neuerdings wieder angegriffenen Bücher, die Offenbarung des
Johannes, den Ebräer- und einige andere Briefe nochmals feierlich in den
Kanon aufzunehmen. Es war, wie Hilgenfeld mit Recht bemerkt, bezeichnend,
daß der neuere Katholicismus gerade bei der Lostrennung des Protestantis¬
mus mit einer endgiltigen Entscheidung über den Kanon hervortrat und dem
Schwanken der altkatholischcn Kirche ein Ende bereitete. Die Schriftforschung
war hier für alle Zeit gebunden. Eine freie Bewegung der Schriftforschung
ließ sich hinfort nur auf Seiten des Protestantismus erwarten, der zwar nach
den ersten freimüthigen Anläufen Luthers sich in die Fesseln des starren Glauvens-
satzes von der unmittelbaren göttlichen Eingebung sämmtlicher neutestamentlicher
Schriften bannte, aber auf die Dauer diese unnatürlichen Fesseln nicht ertragen
konnte.




Kaiser Friedrich der Zweite.

Dr. Ed. Winkebman", Geschichte Kaiser Friedrich des Zweiten und seiner Reiche
1212 - 1235. Berlin, 1863.

Auf wenige historische Personen mag das oft citirte Wort aus Schillers
Prolog zum Wallenstein in solchem Maße Anwendung finden als auf Kaiser
Friedrich den Zweiten. Dreht sich bei der Beurtheilung anderer Männer der
Streit theils um die Berechtigung der von ihnen vertretenen Principien, theils


rechnet. Ueberhaupt finden wir bei Eusebius nicht ein sicheres kritisches Urtheil,
sondern blos die Constatirung des Zustands, in welchem sich der Kanon zu
seiner Zeit befand, allerdings auf einem Punkte, wo die Grenzen sich nun fester
zogen, indem vom jetzt an allgemein die von Eusebius als bestritten angeführten
Schriften als Apokryphen dem Kanon einverleibt werden, die Unterabtheilung
der unechten ausgeschieden wird und so unser jetziger Kanon zu Stande kommt.

Von untergeordneten Schwankungen abgesehen, setzte sich nur noch gegen
die Offenbarung des Johannes im Morgenland, gegen den Hebräerbrief im
Abendland der Widerspruch fort, der dann im fünften Jahrhundert vollends
verschwindet. Die Kritik war nun zum Schweigen gebracht. Lange Jahrhun¬
derte erfreute sich die Kirche ungestörter Ruhe vor diesem ungebetenen Gast.
Im Gefolge der humanistischen Bestrebungen klopfte er zum ersten Mal wieder
an die Thüre. Die Kirchenversammlung von Trient (1546) fand sich dadurch
veranlaßt, die neuerdings wieder angegriffenen Bücher, die Offenbarung des
Johannes, den Ebräer- und einige andere Briefe nochmals feierlich in den
Kanon aufzunehmen. Es war, wie Hilgenfeld mit Recht bemerkt, bezeichnend,
daß der neuere Katholicismus gerade bei der Lostrennung des Protestantis¬
mus mit einer endgiltigen Entscheidung über den Kanon hervortrat und dem
Schwanken der altkatholischcn Kirche ein Ende bereitete. Die Schriftforschung
war hier für alle Zeit gebunden. Eine freie Bewegung der Schriftforschung
ließ sich hinfort nur auf Seiten des Protestantismus erwarten, der zwar nach
den ersten freimüthigen Anläufen Luthers sich in die Fesseln des starren Glauvens-
satzes von der unmittelbaren göttlichen Eingebung sämmtlicher neutestamentlicher
Schriften bannte, aber auf die Dauer diese unnatürlichen Fesseln nicht ertragen
konnte.




Kaiser Friedrich der Zweite.

Dr. Ed. Winkebman», Geschichte Kaiser Friedrich des Zweiten und seiner Reiche
1212 - 1235. Berlin, 1863.

Auf wenige historische Personen mag das oft citirte Wort aus Schillers
Prolog zum Wallenstein in solchem Maße Anwendung finden als auf Kaiser
Friedrich den Zweiten. Dreht sich bei der Beurtheilung anderer Männer der
Streit theils um die Berechtigung der von ihnen vertretenen Principien, theils


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[0258] rechnet. Ueberhaupt finden wir bei Eusebius nicht ein sicheres kritisches Urtheil, sondern blos die Constatirung des Zustands, in welchem sich der Kanon zu seiner Zeit befand, allerdings auf einem Punkte, wo die Grenzen sich nun fester zogen, indem vom jetzt an allgemein die von Eusebius als bestritten angeführten Schriften als Apokryphen dem Kanon einverleibt werden, die Unterabtheilung der unechten ausgeschieden wird und so unser jetziger Kanon zu Stande kommt. Von untergeordneten Schwankungen abgesehen, setzte sich nur noch gegen die Offenbarung des Johannes im Morgenland, gegen den Hebräerbrief im Abendland der Widerspruch fort, der dann im fünften Jahrhundert vollends verschwindet. Die Kritik war nun zum Schweigen gebracht. Lange Jahrhun¬ derte erfreute sich die Kirche ungestörter Ruhe vor diesem ungebetenen Gast. Im Gefolge der humanistischen Bestrebungen klopfte er zum ersten Mal wieder an die Thüre. Die Kirchenversammlung von Trient (1546) fand sich dadurch veranlaßt, die neuerdings wieder angegriffenen Bücher, die Offenbarung des Johannes, den Ebräer- und einige andere Briefe nochmals feierlich in den Kanon aufzunehmen. Es war, wie Hilgenfeld mit Recht bemerkt, bezeichnend, daß der neuere Katholicismus gerade bei der Lostrennung des Protestantis¬ mus mit einer endgiltigen Entscheidung über den Kanon hervortrat und dem Schwanken der altkatholischcn Kirche ein Ende bereitete. Die Schriftforschung war hier für alle Zeit gebunden. Eine freie Bewegung der Schriftforschung ließ sich hinfort nur auf Seiten des Protestantismus erwarten, der zwar nach den ersten freimüthigen Anläufen Luthers sich in die Fesseln des starren Glauvens- satzes von der unmittelbaren göttlichen Eingebung sämmtlicher neutestamentlicher Schriften bannte, aber auf die Dauer diese unnatürlichen Fesseln nicht ertragen konnte. Kaiser Friedrich der Zweite. Dr. Ed. Winkebman», Geschichte Kaiser Friedrich des Zweiten und seiner Reiche 1212 - 1235. Berlin, 1863. Auf wenige historische Personen mag das oft citirte Wort aus Schillers Prolog zum Wallenstein in solchem Maße Anwendung finden als auf Kaiser Friedrich den Zweiten. Dreht sich bei der Beurtheilung anderer Männer der Streit theils um die Berechtigung der von ihnen vertretenen Principien, theils

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/258>, abgerufen am 06.05.2024.