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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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und Jacobus nicht, nennt neben der Offenbarung des Johannes auch noch die
des Petrus und empfiehlt wenigstens für den Privatgebrauch den Hirten des
Hermas. Die Verwerfung des Hcbräerbriefs blieb noch lange der abcndländisclven
Kirche eigenthümlich, während mit dem Anfang des dritten Jahrhunderts die
Verwerfung der Offenbarung des Johannes in der römischen Kirche beginnt.
In der morgenländischen Kirche zeigen die Schriften des Clemens von Alczan-
drien (geht. nach 211) die Grenzen des Kanonischen noch durchaus fliehend, und
es war ein Hauptbcstreben seines Nachfolgers, des Origenes (geht. 254), diese
Schwankungen zu beseitigen. Von ihm rührt die Unterscheidung der gangbaren
neutest'amentlieben Schriften in unbestrittene und bcsirittenc her, wobei aus¬
drücklich blos die thatsächliche Verbreitung und Anerkennung der Schriften den
Maßstab jener Cintheilung bilden sollte. Allein der Mangel einer scharfen
Grenzlinie zwischen bestrittenen und äußerkanvnischcn Schriften, der noch bei
Origenes sich zeigt, läßt erkennen, wie wenig im Grunde mit dieser Unter-
scheidung gewonnen war. Indem man jetzt die Schriften des Kanon in un¬
bestrittene und bestrittene eintheilte, war damit nichts gesagt, als daß eine An¬
zahl Schriften, wenn auch nicht ohne Widerspruch, doch mit Widerspruch, ja
trotz des Widerspruchs dasselbe seien, was die andern, nämlich apostolische,
kanonische Schriften. Man hatte jetzt eine bequeme Kategorie, in die man
solche Schriften unterbrachte, deren apostolischer Ursprung gar zu wenig bezeugt
war und die man gleichwohl im Kanon behalten wollte. Anstatt jene Zweifel
weiter zu verfolgen, war man vielmehr im Voraus geneigt, eine Schrift als
apostolisch aufzunehmen, wenn nur ihr Inhalt nicht anstößig war, vielmehr
dem kirchlichen Interesse diente.

Derselbe Kanon findet sich auch im Wesentlichen bei dem ersten Kirchen-
gcschichtschreiber Eusebius von Cäsarea (geht. 340) vor. Allein er bezeichnet
insofern einen weiteren Schritt auf der Bahn zur Fixirung des Kanons, als
er neben den unbestrittenen und bestrittenen noch eine dritte Abtheilung, "unechte"
Schriften, unterscheidet. Die bestrittenen sind die Briefe des Jacobus und
Judas, der zweite Petrus- und der zweite und dritte Johannesbrief. Zu den
Unechten rechnet er u. a. den Hirten des Hermas, die Offenbarung des Petrus,
den Brief des Barnabas, das Hebräerevangelium. Die unechten sind also
solche, bei welchen der Widerspruch so sehr überwog, daß sie im Grunde gar
nicht mehr in Betracht kamen. Aber sind schon die unechten, die doch wieder
von den Schriften rein ketzerischer Erfindung unterschieden werden, doch nur
eine Abart der bestrittenen, so ist überhaupt die Grenzlinie zwischen allen drei
Classen noch fließend. So schwankt die Offenbarung des Johannes zwischen
den unbestrittenen und unechten hin und her; so ist der Hebräerbrief einmal
zu den unbestrittenen, ein ander Mal zu den bestrittenen. der Jacobus- und der
Judasbrief das eine Mal zu den bestrittenen, das andere Mal zu den unechten ge-


Grcnzbow. II. 1864. 32

und Jacobus nicht, nennt neben der Offenbarung des Johannes auch noch die
des Petrus und empfiehlt wenigstens für den Privatgebrauch den Hirten des
Hermas. Die Verwerfung des Hcbräerbriefs blieb noch lange der abcndländisclven
Kirche eigenthümlich, während mit dem Anfang des dritten Jahrhunderts die
Verwerfung der Offenbarung des Johannes in der römischen Kirche beginnt.
In der morgenländischen Kirche zeigen die Schriften des Clemens von Alczan-
drien (geht. nach 211) die Grenzen des Kanonischen noch durchaus fliehend, und
es war ein Hauptbcstreben seines Nachfolgers, des Origenes (geht. 254), diese
Schwankungen zu beseitigen. Von ihm rührt die Unterscheidung der gangbaren
neutest'amentlieben Schriften in unbestrittene und bcsirittenc her, wobei aus¬
drücklich blos die thatsächliche Verbreitung und Anerkennung der Schriften den
Maßstab jener Cintheilung bilden sollte. Allein der Mangel einer scharfen
Grenzlinie zwischen bestrittenen und äußerkanvnischcn Schriften, der noch bei
Origenes sich zeigt, läßt erkennen, wie wenig im Grunde mit dieser Unter-
scheidung gewonnen war. Indem man jetzt die Schriften des Kanon in un¬
bestrittene und bestrittene eintheilte, war damit nichts gesagt, als daß eine An¬
zahl Schriften, wenn auch nicht ohne Widerspruch, doch mit Widerspruch, ja
trotz des Widerspruchs dasselbe seien, was die andern, nämlich apostolische,
kanonische Schriften. Man hatte jetzt eine bequeme Kategorie, in die man
solche Schriften unterbrachte, deren apostolischer Ursprung gar zu wenig bezeugt
war und die man gleichwohl im Kanon behalten wollte. Anstatt jene Zweifel
weiter zu verfolgen, war man vielmehr im Voraus geneigt, eine Schrift als
apostolisch aufzunehmen, wenn nur ihr Inhalt nicht anstößig war, vielmehr
dem kirchlichen Interesse diente.

Derselbe Kanon findet sich auch im Wesentlichen bei dem ersten Kirchen-
gcschichtschreiber Eusebius von Cäsarea (geht. 340) vor. Allein er bezeichnet
insofern einen weiteren Schritt auf der Bahn zur Fixirung des Kanons, als
er neben den unbestrittenen und bestrittenen noch eine dritte Abtheilung, „unechte"
Schriften, unterscheidet. Die bestrittenen sind die Briefe des Jacobus und
Judas, der zweite Petrus- und der zweite und dritte Johannesbrief. Zu den
Unechten rechnet er u. a. den Hirten des Hermas, die Offenbarung des Petrus,
den Brief des Barnabas, das Hebräerevangelium. Die unechten sind also
solche, bei welchen der Widerspruch so sehr überwog, daß sie im Grunde gar
nicht mehr in Betracht kamen. Aber sind schon die unechten, die doch wieder
von den Schriften rein ketzerischer Erfindung unterschieden werden, doch nur
eine Abart der bestrittenen, so ist überhaupt die Grenzlinie zwischen allen drei
Classen noch fließend. So schwankt die Offenbarung des Johannes zwischen
den unbestrittenen und unechten hin und her; so ist der Hebräerbrief einmal
zu den unbestrittenen, ein ander Mal zu den bestrittenen. der Jacobus- und der
Judasbrief das eine Mal zu den bestrittenen, das andere Mal zu den unechten ge-


Grcnzbow. II. 1864. 32
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[0257] und Jacobus nicht, nennt neben der Offenbarung des Johannes auch noch die des Petrus und empfiehlt wenigstens für den Privatgebrauch den Hirten des Hermas. Die Verwerfung des Hcbräerbriefs blieb noch lange der abcndländisclven Kirche eigenthümlich, während mit dem Anfang des dritten Jahrhunderts die Verwerfung der Offenbarung des Johannes in der römischen Kirche beginnt. In der morgenländischen Kirche zeigen die Schriften des Clemens von Alczan- drien (geht. nach 211) die Grenzen des Kanonischen noch durchaus fliehend, und es war ein Hauptbcstreben seines Nachfolgers, des Origenes (geht. 254), diese Schwankungen zu beseitigen. Von ihm rührt die Unterscheidung der gangbaren neutest'amentlieben Schriften in unbestrittene und bcsirittenc her, wobei aus¬ drücklich blos die thatsächliche Verbreitung und Anerkennung der Schriften den Maßstab jener Cintheilung bilden sollte. Allein der Mangel einer scharfen Grenzlinie zwischen bestrittenen und äußerkanvnischcn Schriften, der noch bei Origenes sich zeigt, läßt erkennen, wie wenig im Grunde mit dieser Unter- scheidung gewonnen war. Indem man jetzt die Schriften des Kanon in un¬ bestrittene und bestrittene eintheilte, war damit nichts gesagt, als daß eine An¬ zahl Schriften, wenn auch nicht ohne Widerspruch, doch mit Widerspruch, ja trotz des Widerspruchs dasselbe seien, was die andern, nämlich apostolische, kanonische Schriften. Man hatte jetzt eine bequeme Kategorie, in die man solche Schriften unterbrachte, deren apostolischer Ursprung gar zu wenig bezeugt war und die man gleichwohl im Kanon behalten wollte. Anstatt jene Zweifel weiter zu verfolgen, war man vielmehr im Voraus geneigt, eine Schrift als apostolisch aufzunehmen, wenn nur ihr Inhalt nicht anstößig war, vielmehr dem kirchlichen Interesse diente. Derselbe Kanon findet sich auch im Wesentlichen bei dem ersten Kirchen- gcschichtschreiber Eusebius von Cäsarea (geht. 340) vor. Allein er bezeichnet insofern einen weiteren Schritt auf der Bahn zur Fixirung des Kanons, als er neben den unbestrittenen und bestrittenen noch eine dritte Abtheilung, „unechte" Schriften, unterscheidet. Die bestrittenen sind die Briefe des Jacobus und Judas, der zweite Petrus- und der zweite und dritte Johannesbrief. Zu den Unechten rechnet er u. a. den Hirten des Hermas, die Offenbarung des Petrus, den Brief des Barnabas, das Hebräerevangelium. Die unechten sind also solche, bei welchen der Widerspruch so sehr überwog, daß sie im Grunde gar nicht mehr in Betracht kamen. Aber sind schon die unechten, die doch wieder von den Schriften rein ketzerischer Erfindung unterschieden werden, doch nur eine Abart der bestrittenen, so ist überhaupt die Grenzlinie zwischen allen drei Classen noch fließend. So schwankt die Offenbarung des Johannes zwischen den unbestrittenen und unechten hin und her; so ist der Hebräerbrief einmal zu den unbestrittenen, ein ander Mal zu den bestrittenen. der Jacobus- und der Judasbrief das eine Mal zu den bestrittenen, das andere Mal zu den unechten ge- Grcnzbow. II. 1864. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/257>, abgerufen am 27.05.2024.