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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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nachgeholfen worden, so nöthigt uns die Gerechtigkeit, anzuerkennen, daß die
Verdeutschung Südschlcswigs durch eine ähnliche Nachhilfe beschleunigt wurde.
Und sind in der Sprache der Nordschleswiger unverkennbare Spuren deutschen
Charakters zurückgeblieben, so hat das Obige gezeigt, daß die Angler und ihre
Vettern im Westen ihrerseits gewisse Procente dänischer Art bewahren.




Das älteste Christenthum und seine Literatur.
4. Die drei ersten Evangelien. Die neueren Bearbeitungen des Lebens Jesu.

An die drei ersten Evangelien sind wir also gewiesen, um uns noch ein
annähernd zuverlässiges Bild vom Leben Jesu und dem Inhalt seiner Lehre
zu machen. Wir sagen absichtlich: ein annähernd zuverlässiges. Denn wir
wissen bereits, daß auch ihre Darstellung, obwohl älter und getreuer, im Ganzen
also verläßlicher als die johanneische, doch gleichfalls schon getrübt ist, unge¬
schichtliche Elemente in sich aufgenommen hat, nicht unberührt von späteren
Lehrmeinungen geblieben ist und erst ein secundärer Niederschlag einer älteren
Evangelienlitcratur ist. Auch die drei ersten Evangelien sind also zuvor
nach ihrer Individualität, nach ihren schriftstellerischen oder dogmatischen Motiven
zu untersuchen, bevor eine geschichtliche Darstellung auf sie gegründet werden
kann. Diese Untersuchung erst liefert dann die Mittel zur Beantwortung der
Frage, ob eines dieser Evangelien selbst wieder, als den Thatsachen am näch¬
sten stehend, den Vorzug verdient und welche Bestandtheile der synoptischen
Darstellung überhaupt als die echtesten ursprünglichsten anzusehen sind, die in
der Tradition am wenigsten Noth gelitten haben.

Halten wir die Evangelien des Matthäus, Lucas und Marcus neben ein¬
ander, so läßt sich die Verschiedenheit, welche sie bei großer innerer Verwandt¬
schaft zeigen, im Allgemeinen dahin bestimmen, daß Matthäus noch dem Juden-
thum am nächsten steht, Lucas sich am meisten der paulinischen Auffassung des
Christenthums nähert, während Marcus nach dieser dogmatischen Seite hin sich
völlig neutral und farblos zeigt. Bleiben wir bei diesen, allgemeinen Merk¬
malen stehen, so läßt sich freilich das gegenseitige Verhältniß der drei Evan¬
gelien noch aus sehr verschiedene Weise denken. Zwar daß Matthäus älter ist
als Lucas, wird uns schon jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit feststehen, aber


nachgeholfen worden, so nöthigt uns die Gerechtigkeit, anzuerkennen, daß die
Verdeutschung Südschlcswigs durch eine ähnliche Nachhilfe beschleunigt wurde.
Und sind in der Sprache der Nordschleswiger unverkennbare Spuren deutschen
Charakters zurückgeblieben, so hat das Obige gezeigt, daß die Angler und ihre
Vettern im Westen ihrerseits gewisse Procente dänischer Art bewahren.




Das älteste Christenthum und seine Literatur.
4. Die drei ersten Evangelien. Die neueren Bearbeitungen des Lebens Jesu.

An die drei ersten Evangelien sind wir also gewiesen, um uns noch ein
annähernd zuverlässiges Bild vom Leben Jesu und dem Inhalt seiner Lehre
zu machen. Wir sagen absichtlich: ein annähernd zuverlässiges. Denn wir
wissen bereits, daß auch ihre Darstellung, obwohl älter und getreuer, im Ganzen
also verläßlicher als die johanneische, doch gleichfalls schon getrübt ist, unge¬
schichtliche Elemente in sich aufgenommen hat, nicht unberührt von späteren
Lehrmeinungen geblieben ist und erst ein secundärer Niederschlag einer älteren
Evangelienlitcratur ist. Auch die drei ersten Evangelien sind also zuvor
nach ihrer Individualität, nach ihren schriftstellerischen oder dogmatischen Motiven
zu untersuchen, bevor eine geschichtliche Darstellung auf sie gegründet werden
kann. Diese Untersuchung erst liefert dann die Mittel zur Beantwortung der
Frage, ob eines dieser Evangelien selbst wieder, als den Thatsachen am näch¬
sten stehend, den Vorzug verdient und welche Bestandtheile der synoptischen
Darstellung überhaupt als die echtesten ursprünglichsten anzusehen sind, die in
der Tradition am wenigsten Noth gelitten haben.

Halten wir die Evangelien des Matthäus, Lucas und Marcus neben ein¬
ander, so läßt sich die Verschiedenheit, welche sie bei großer innerer Verwandt¬
schaft zeigen, im Allgemeinen dahin bestimmen, daß Matthäus noch dem Juden-
thum am nächsten steht, Lucas sich am meisten der paulinischen Auffassung des
Christenthums nähert, während Marcus nach dieser dogmatischen Seite hin sich
völlig neutral und farblos zeigt. Bleiben wir bei diesen, allgemeinen Merk¬
malen stehen, so läßt sich freilich das gegenseitige Verhältniß der drei Evan¬
gelien noch aus sehr verschiedene Weise denken. Zwar daß Matthäus älter ist
als Lucas, wird uns schon jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit feststehen, aber


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[0426] nachgeholfen worden, so nöthigt uns die Gerechtigkeit, anzuerkennen, daß die Verdeutschung Südschlcswigs durch eine ähnliche Nachhilfe beschleunigt wurde. Und sind in der Sprache der Nordschleswiger unverkennbare Spuren deutschen Charakters zurückgeblieben, so hat das Obige gezeigt, daß die Angler und ihre Vettern im Westen ihrerseits gewisse Procente dänischer Art bewahren. Das älteste Christenthum und seine Literatur. 4. Die drei ersten Evangelien. Die neueren Bearbeitungen des Lebens Jesu. An die drei ersten Evangelien sind wir also gewiesen, um uns noch ein annähernd zuverlässiges Bild vom Leben Jesu und dem Inhalt seiner Lehre zu machen. Wir sagen absichtlich: ein annähernd zuverlässiges. Denn wir wissen bereits, daß auch ihre Darstellung, obwohl älter und getreuer, im Ganzen also verläßlicher als die johanneische, doch gleichfalls schon getrübt ist, unge¬ schichtliche Elemente in sich aufgenommen hat, nicht unberührt von späteren Lehrmeinungen geblieben ist und erst ein secundärer Niederschlag einer älteren Evangelienlitcratur ist. Auch die drei ersten Evangelien sind also zuvor nach ihrer Individualität, nach ihren schriftstellerischen oder dogmatischen Motiven zu untersuchen, bevor eine geschichtliche Darstellung auf sie gegründet werden kann. Diese Untersuchung erst liefert dann die Mittel zur Beantwortung der Frage, ob eines dieser Evangelien selbst wieder, als den Thatsachen am näch¬ sten stehend, den Vorzug verdient und welche Bestandtheile der synoptischen Darstellung überhaupt als die echtesten ursprünglichsten anzusehen sind, die in der Tradition am wenigsten Noth gelitten haben. Halten wir die Evangelien des Matthäus, Lucas und Marcus neben ein¬ ander, so läßt sich die Verschiedenheit, welche sie bei großer innerer Verwandt¬ schaft zeigen, im Allgemeinen dahin bestimmen, daß Matthäus noch dem Juden- thum am nächsten steht, Lucas sich am meisten der paulinischen Auffassung des Christenthums nähert, während Marcus nach dieser dogmatischen Seite hin sich völlig neutral und farblos zeigt. Bleiben wir bei diesen, allgemeinen Merk¬ malen stehen, so läßt sich freilich das gegenseitige Verhältniß der drei Evan¬ gelien noch aus sehr verschiedene Weise denken. Zwar daß Matthäus älter ist als Lucas, wird uns schon jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit feststehen, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/426>, abgerufen am 06.05.2024.