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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Durch die dänische Reaction gegen die Verdeutschung Nordschleswigs wurde
dies hier ebenso verändert, als anderwärts, wo ähnliche Zustände sich entwickelt
hatten. Die Intelligenten wurden großenteils vertrieben und durch Kopen-
hagner oder andere Dänen ersetzt, welche bis zum März d. I. alle Beamten-
und Lehrerposten inne hatten. Schon vor dem Jahre 1848 hatte die kopen-
hagner Propaganda, an deren Spitze als unsichtbarer Drahtzieher König Chri¬
stian der Achte stand, die Danisirung des Gymnasiums durchgesetzt. Nach 1849
wurden die übrigen Schulen derselben Procedur unterworfen. Die zurück¬
gebliebnen Deutschen schüchterte man ein. Die dänische Einwanderung führte
von nun an das große Wort, und immermehr mußte unter solchen Umständen
deutsches Wesen und deutsche Sprache zusammenschwinden. Wenn einige teutsch-
gesinnte Familien hier wie anderwärts die letztere dadurch zu erhalten versuchten,
daß sie mit den Kindern im Hause nur deutsch redeten, so war das ein Nothbehelf,
der nicht lange vorhalten konnte. Ein Jahrzehnt Unterdrückung noch, und
Hadersleben hätte in Betreff der Sprachverhältnisse denselben Charakter ange¬
nommen wie Svnderburg. Schon jetzt oder, wenn man will, noch jetzt, über¬
wiegt das dänische Element sehr beträchtlich das deutsche, und von Hadersleben
als von einer deutschen Stadt zu reden, wie manche Blätter thun, würde
lächerlich genannt werden müssen, wenn man nicht die gute Absicht zu ehren
hätte.

Die N o rd s est eswig e r sind -- daraufführt unsre bisherige Betrachtung
unabweislich hin -- nach Sprache und Sitte, nach ihren Sagen und Sprich¬
wörtern, nach der Bauart ihrer Gehöfte, mit Ausnahme der auf dem Lande an¬
gesiedelten nicht zahlreichen Deutschen und eines Theils der Städter, der ent¬
weder deutsch geboren oder deutsch gebildet ist, Südjütcn.

Und zweitens : da die Südjütcn den Jnseldäne" in den meisten Beziehungen
näher stehen als uns Deutschen, da serner die ursprüngliche Natur der Nord-
schleswigcr durch ihre Lage nahe an Fühnen und (bis zur Erbauung guter
Straßen) fern von Deutschland, durch Unterricht und Gottesdienst im Schrift-
dänischen und in den letzten Jahrzehnten durch reichliche Verbreitung dänischer
Literatur unter ihnen der eigentlich dänischen, wie sie auf den Inseln sich aus¬
geprägt hat, noch verwandter geworden ist, so stehen wir nicht an. die jetzigen
Bewohner des Herzogthums Schleswig nördlich von der Linie, welche durch
die bis 1860 üblich gewesene, jetzt wieder angeordnete Vertheilung der Kirchen-
und Schulsprache gegeben ist, ganz in dem Sinne für einen Zweig der dä¬
nischen Nation zu erklären, in welchem wir die Angler und die verdeutsch¬
ten Südjüten der Landesmitte für die deutsche Nationalität reclamiren.

Ist bei den Nordschleswigern dem natürlichen Processe, der sie aus einem
Mittelgliede zwischen Skandinaviern und Deutschen zu einem vorwiegend däni¬
schen Volk werden ließ, auf künstlichem Wege (durch die dänische Propaganda)


Greiijboten II. 1864. 53

Durch die dänische Reaction gegen die Verdeutschung Nordschleswigs wurde
dies hier ebenso verändert, als anderwärts, wo ähnliche Zustände sich entwickelt
hatten. Die Intelligenten wurden großenteils vertrieben und durch Kopen-
hagner oder andere Dänen ersetzt, welche bis zum März d. I. alle Beamten-
und Lehrerposten inne hatten. Schon vor dem Jahre 1848 hatte die kopen-
hagner Propaganda, an deren Spitze als unsichtbarer Drahtzieher König Chri¬
stian der Achte stand, die Danisirung des Gymnasiums durchgesetzt. Nach 1849
wurden die übrigen Schulen derselben Procedur unterworfen. Die zurück¬
gebliebnen Deutschen schüchterte man ein. Die dänische Einwanderung führte
von nun an das große Wort, und immermehr mußte unter solchen Umständen
deutsches Wesen und deutsche Sprache zusammenschwinden. Wenn einige teutsch-
gesinnte Familien hier wie anderwärts die letztere dadurch zu erhalten versuchten,
daß sie mit den Kindern im Hause nur deutsch redeten, so war das ein Nothbehelf,
der nicht lange vorhalten konnte. Ein Jahrzehnt Unterdrückung noch, und
Hadersleben hätte in Betreff der Sprachverhältnisse denselben Charakter ange¬
nommen wie Svnderburg. Schon jetzt oder, wenn man will, noch jetzt, über¬
wiegt das dänische Element sehr beträchtlich das deutsche, und von Hadersleben
als von einer deutschen Stadt zu reden, wie manche Blätter thun, würde
lächerlich genannt werden müssen, wenn man nicht die gute Absicht zu ehren
hätte.

Die N o rd s est eswig e r sind — daraufführt unsre bisherige Betrachtung
unabweislich hin — nach Sprache und Sitte, nach ihren Sagen und Sprich¬
wörtern, nach der Bauart ihrer Gehöfte, mit Ausnahme der auf dem Lande an¬
gesiedelten nicht zahlreichen Deutschen und eines Theils der Städter, der ent¬
weder deutsch geboren oder deutsch gebildet ist, Südjütcn.

Und zweitens : da die Südjütcn den Jnseldäne» in den meisten Beziehungen
näher stehen als uns Deutschen, da serner die ursprüngliche Natur der Nord-
schleswigcr durch ihre Lage nahe an Fühnen und (bis zur Erbauung guter
Straßen) fern von Deutschland, durch Unterricht und Gottesdienst im Schrift-
dänischen und in den letzten Jahrzehnten durch reichliche Verbreitung dänischer
Literatur unter ihnen der eigentlich dänischen, wie sie auf den Inseln sich aus¬
geprägt hat, noch verwandter geworden ist, so stehen wir nicht an. die jetzigen
Bewohner des Herzogthums Schleswig nördlich von der Linie, welche durch
die bis 1860 üblich gewesene, jetzt wieder angeordnete Vertheilung der Kirchen-
und Schulsprache gegeben ist, ganz in dem Sinne für einen Zweig der dä¬
nischen Nation zu erklären, in welchem wir die Angler und die verdeutsch¬
ten Südjüten der Landesmitte für die deutsche Nationalität reclamiren.

Ist bei den Nordschleswigern dem natürlichen Processe, der sie aus einem
Mittelgliede zwischen Skandinaviern und Deutschen zu einem vorwiegend däni¬
schen Volk werden ließ, auf künstlichem Wege (durch die dänische Propaganda)


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[0425] Durch die dänische Reaction gegen die Verdeutschung Nordschleswigs wurde dies hier ebenso verändert, als anderwärts, wo ähnliche Zustände sich entwickelt hatten. Die Intelligenten wurden großenteils vertrieben und durch Kopen- hagner oder andere Dänen ersetzt, welche bis zum März d. I. alle Beamten- und Lehrerposten inne hatten. Schon vor dem Jahre 1848 hatte die kopen- hagner Propaganda, an deren Spitze als unsichtbarer Drahtzieher König Chri¬ stian der Achte stand, die Danisirung des Gymnasiums durchgesetzt. Nach 1849 wurden die übrigen Schulen derselben Procedur unterworfen. Die zurück¬ gebliebnen Deutschen schüchterte man ein. Die dänische Einwanderung führte von nun an das große Wort, und immermehr mußte unter solchen Umständen deutsches Wesen und deutsche Sprache zusammenschwinden. Wenn einige teutsch- gesinnte Familien hier wie anderwärts die letztere dadurch zu erhalten versuchten, daß sie mit den Kindern im Hause nur deutsch redeten, so war das ein Nothbehelf, der nicht lange vorhalten konnte. Ein Jahrzehnt Unterdrückung noch, und Hadersleben hätte in Betreff der Sprachverhältnisse denselben Charakter ange¬ nommen wie Svnderburg. Schon jetzt oder, wenn man will, noch jetzt, über¬ wiegt das dänische Element sehr beträchtlich das deutsche, und von Hadersleben als von einer deutschen Stadt zu reden, wie manche Blätter thun, würde lächerlich genannt werden müssen, wenn man nicht die gute Absicht zu ehren hätte. Die N o rd s est eswig e r sind — daraufführt unsre bisherige Betrachtung unabweislich hin — nach Sprache und Sitte, nach ihren Sagen und Sprich¬ wörtern, nach der Bauart ihrer Gehöfte, mit Ausnahme der auf dem Lande an¬ gesiedelten nicht zahlreichen Deutschen und eines Theils der Städter, der ent¬ weder deutsch geboren oder deutsch gebildet ist, Südjütcn. Und zweitens : da die Südjütcn den Jnseldäne» in den meisten Beziehungen näher stehen als uns Deutschen, da serner die ursprüngliche Natur der Nord- schleswigcr durch ihre Lage nahe an Fühnen und (bis zur Erbauung guter Straßen) fern von Deutschland, durch Unterricht und Gottesdienst im Schrift- dänischen und in den letzten Jahrzehnten durch reichliche Verbreitung dänischer Literatur unter ihnen der eigentlich dänischen, wie sie auf den Inseln sich aus¬ geprägt hat, noch verwandter geworden ist, so stehen wir nicht an. die jetzigen Bewohner des Herzogthums Schleswig nördlich von der Linie, welche durch die bis 1860 üblich gewesene, jetzt wieder angeordnete Vertheilung der Kirchen- und Schulsprache gegeben ist, ganz in dem Sinne für einen Zweig der dä¬ nischen Nation zu erklären, in welchem wir die Angler und die verdeutsch¬ ten Südjüten der Landesmitte für die deutsche Nationalität reclamiren. Ist bei den Nordschleswigern dem natürlichen Processe, der sie aus einem Mittelgliede zwischen Skandinaviern und Deutschen zu einem vorwiegend däni¬ schen Volk werden ließ, auf künstlichem Wege (durch die dänische Propaganda) Greiijboten II. 1864. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/425>, abgerufen am 19.05.2024.