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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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lich eines Morgens eine haushohe Sandwelle vor das Portal gelagert sah.
Der Pfarrer sprach darauf ein kurzes Gebet und gab dann der Empfindung
Gemeinde mit den Worten Ausdruck:

"Unser Herrgott hat dieses sein Haus jetzt geschlossen, wir müssen ihm
anderswo ein anderes bauen."

So wenigstens berichtet- Andersen, dem wir einen Theil dieser Schilderung
Gkagens entnahmen. Am 5. Juni 179Z wurde infolge königlicher Resolution
die Kirche aufgegeben. Fünfzehn Jahre lang vertheidigte die Liebe der Ge¬
meinde zu ihren Todten noch den Friedhof, dann mußte auch dieser dem Winde
und Sande überlassen werden, und Kirche und Kirchhof sind jetzt nur noch eine
gewaltige Düne, aus welcher oben der Thurm als Seezeichen heraussieht. Das
Me Bleidach über dem Kirchenboten hat man abgebrochen, über den Spitz¬
bogenwölbungen des Schiffs liegt hochaufgeweht das weiße Sandmehl. Auch die
Fenster und die Thüren find verschwunden, und im Innern ist es finster wie
in einer Gruft. Vielleicht, daß in spätern Zeiten ein günstigerer Wind die
begrabene Kirche aus ihrer Verborgenheit auferstehen läßt und der Sonnenstrahl
wieder die Bilder im Chor beleuchtet. Jetzt liegen die todten Sandwellen über
ihr. Sandhafer und Dorngestrüpp mit gelben Beeren wuchert aus der Ver¬
schüttung, wilde Rose" setzen hier ihre Blüthen und Hagebutten an, und von
dem Thurme schallt statt des einstigen Gockenkiangs nur noch das Gekrächz der
Ra benschwärme, die in ihm nisten.




Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller.
Von
E. L. Rochholz.
Zweiter Abschnitt.

Jakob Ruoffs Elter Heini aus Schwcizcrland und desselben erneutes Spiel von
Wilhelm Tell, v. I. 1514 bis 1545. Historischer Nachweis über die gleichzeitig
wechselnde Zahl der angeblichen drei Landvögte und der drei ersten Eidgenossen.

Der erste und der letzte bekannte Dichter, der den Stoss des Wilhelm Tell
dvamaÄM hat, sind beiderseits Schwaben: Ruoff und Schiller. Lebensgang


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lich eines Morgens eine haushohe Sandwelle vor das Portal gelagert sah.
Der Pfarrer sprach darauf ein kurzes Gebet und gab dann der Empfindung
Gemeinde mit den Worten Ausdruck:

„Unser Herrgott hat dieses sein Haus jetzt geschlossen, wir müssen ihm
anderswo ein anderes bauen."

So wenigstens berichtet- Andersen, dem wir einen Theil dieser Schilderung
Gkagens entnahmen. Am 5. Juni 179Z wurde infolge königlicher Resolution
die Kirche aufgegeben. Fünfzehn Jahre lang vertheidigte die Liebe der Ge¬
meinde zu ihren Todten noch den Friedhof, dann mußte auch dieser dem Winde
und Sande überlassen werden, und Kirche und Kirchhof sind jetzt nur noch eine
gewaltige Düne, aus welcher oben der Thurm als Seezeichen heraussieht. Das
Me Bleidach über dem Kirchenboten hat man abgebrochen, über den Spitz¬
bogenwölbungen des Schiffs liegt hochaufgeweht das weiße Sandmehl. Auch die
Fenster und die Thüren find verschwunden, und im Innern ist es finster wie
in einer Gruft. Vielleicht, daß in spätern Zeiten ein günstigerer Wind die
begrabene Kirche aus ihrer Verborgenheit auferstehen läßt und der Sonnenstrahl
wieder die Bilder im Chor beleuchtet. Jetzt liegen die todten Sandwellen über
ihr. Sandhafer und Dorngestrüpp mit gelben Beeren wuchert aus der Ver¬
schüttung, wilde Rose« setzen hier ihre Blüthen und Hagebutten an, und von
dem Thurme schallt statt des einstigen Gockenkiangs nur noch das Gekrächz der
Ra benschwärme, die in ihm nisten.




Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller.
Von
E. L. Rochholz.
Zweiter Abschnitt.

Jakob Ruoffs Elter Heini aus Schwcizcrland und desselben erneutes Spiel von
Wilhelm Tell, v. I. 1514 bis 1545. Historischer Nachweis über die gleichzeitig
wechselnde Zahl der angeblichen drei Landvögte und der drei ersten Eidgenossen.

Der erste und der letzte bekannte Dichter, der den Stoss des Wilhelm Tell
dvamaÄM hat, sind beiderseits Schwaben: Ruoff und Schiller. Lebensgang


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[0187] lich eines Morgens eine haushohe Sandwelle vor das Portal gelagert sah. Der Pfarrer sprach darauf ein kurzes Gebet und gab dann der Empfindung Gemeinde mit den Worten Ausdruck: „Unser Herrgott hat dieses sein Haus jetzt geschlossen, wir müssen ihm anderswo ein anderes bauen." So wenigstens berichtet- Andersen, dem wir einen Theil dieser Schilderung Gkagens entnahmen. Am 5. Juni 179Z wurde infolge königlicher Resolution die Kirche aufgegeben. Fünfzehn Jahre lang vertheidigte die Liebe der Ge¬ meinde zu ihren Todten noch den Friedhof, dann mußte auch dieser dem Winde und Sande überlassen werden, und Kirche und Kirchhof sind jetzt nur noch eine gewaltige Düne, aus welcher oben der Thurm als Seezeichen heraussieht. Das Me Bleidach über dem Kirchenboten hat man abgebrochen, über den Spitz¬ bogenwölbungen des Schiffs liegt hochaufgeweht das weiße Sandmehl. Auch die Fenster und die Thüren find verschwunden, und im Innern ist es finster wie in einer Gruft. Vielleicht, daß in spätern Zeiten ein günstigerer Wind die begrabene Kirche aus ihrer Verborgenheit auferstehen läßt und der Sonnenstrahl wieder die Bilder im Chor beleuchtet. Jetzt liegen die todten Sandwellen über ihr. Sandhafer und Dorngestrüpp mit gelben Beeren wuchert aus der Ver¬ schüttung, wilde Rose« setzen hier ihre Blüthen und Hagebutten an, und von dem Thurme schallt statt des einstigen Gockenkiangs nur noch das Gekrächz der Ra benschwärme, die in ihm nisten. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. Von E. L. Rochholz. Zweiter Abschnitt. Jakob Ruoffs Elter Heini aus Schwcizcrland und desselben erneutes Spiel von Wilhelm Tell, v. I. 1514 bis 1545. Historischer Nachweis über die gleichzeitig wechselnde Zahl der angeblichen drei Landvögte und der drei ersten Eidgenossen. Der erste und der letzte bekannte Dichter, der den Stoss des Wilhelm Tell dvamaÄM hat, sind beiderseits Schwaben: Ruoff und Schiller. Lebensgang 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/187>, abgerufen am 03.05.2024.