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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Zur sächsischen Cisenvahnfrage.

"Jbissen kairs".

In dem Decrete vom 10. Mai dieses Jahres, wodurch der jetzt lagerten
Ständeversammlung Eröffnungen über die Grundsätze gemacht werden, "nach
welchen dieser in jeder Beziehung so wichtige Gegenstand für die Zukunft zu
behandeln sei", tritt uns gleich Anfangs das bemerkenswerthe Geständniß der
Regierung entgegen, daß man bisher das System befolgt habe, eben kein System
zu haben, d. h. daß man sich weder einen für das ganze Land entworfenen
Plan vorgezeichnet, noch auch darüber klar geworden, ob man den Eisenbahn¬
bau als Staatssache oder als Aufgabe der Privatindustrie zu behandeln habe.
Mit einem Worte, man sei nicht nach einem allgemeinen Gesichtspunkte ver¬
fahren, sondern nach Zeit und Gelegenheit.

Wir würden dies Verfahren, die so oft und bitter getadelte Politik der
freien Hand, unter der Voraussetzung, daß sie immer in einer angemessenen,
billigen und gerechten Weise angewendet werde, von vornherein unbedingt zu
tadeln nicht geneigt sein. Wir verkennen nicht, daß der Staat, so lange die
Eisenbahnen noch als ein sehr zweifelhaftes Problem zu betrachten waren, wohl
daran that die Lösung desselben Privatunternehmern, die kühn genug dazu waren,
zu überlassen. Ob es nicht ebenso wohl gethan wäre, dies auch in Bezug auf
die weitere Explvitirung des neuen Communicationsmittels zu thun, darauf
werden wir später zurückkommen. Für jetzt wollen wir nur bemerken, daß der
Staat in der Ausübung dieser Politik der freien Hand unseres Erachtens nicht
immer angemessen, billig oder gerecht gehandelt hat, und werden trachten diese
allerdings schwere Beschuldigung mit Thatsachen zu belegen.

Die erste derselben entnehmen wir der Geschichte der sächsisch-bayerschen
Eisenbahngesellschaft, welche letztere als Privatunternehmung daran scheiterte,
daß es ihr nicht gelang ein beabsichtigtes Aruesen, unter den damaligen un¬
günstigen Zeitverhältnissen zu dem von der Staatsregierung genehmigten Zins¬
fuße zu realisiren, während die letztere ihr die Gewährung einer höheren Ver¬
zinsung, bei welcher die Ausführung unzweifelhaft möglich geworden wäre, aus
höheren Gründen untersagte. Unter diesem Zwange verloren die Actionäre


Grenzboten III. 1864. 6
Zur sächsischen Cisenvahnfrage.

„Jbissen kairs".

In dem Decrete vom 10. Mai dieses Jahres, wodurch der jetzt lagerten
Ständeversammlung Eröffnungen über die Grundsätze gemacht werden, „nach
welchen dieser in jeder Beziehung so wichtige Gegenstand für die Zukunft zu
behandeln sei", tritt uns gleich Anfangs das bemerkenswerthe Geständniß der
Regierung entgegen, daß man bisher das System befolgt habe, eben kein System
zu haben, d. h. daß man sich weder einen für das ganze Land entworfenen
Plan vorgezeichnet, noch auch darüber klar geworden, ob man den Eisenbahn¬
bau als Staatssache oder als Aufgabe der Privatindustrie zu behandeln habe.
Mit einem Worte, man sei nicht nach einem allgemeinen Gesichtspunkte ver¬
fahren, sondern nach Zeit und Gelegenheit.

Wir würden dies Verfahren, die so oft und bitter getadelte Politik der
freien Hand, unter der Voraussetzung, daß sie immer in einer angemessenen,
billigen und gerechten Weise angewendet werde, von vornherein unbedingt zu
tadeln nicht geneigt sein. Wir verkennen nicht, daß der Staat, so lange die
Eisenbahnen noch als ein sehr zweifelhaftes Problem zu betrachten waren, wohl
daran that die Lösung desselben Privatunternehmern, die kühn genug dazu waren,
zu überlassen. Ob es nicht ebenso wohl gethan wäre, dies auch in Bezug auf
die weitere Explvitirung des neuen Communicationsmittels zu thun, darauf
werden wir später zurückkommen. Für jetzt wollen wir nur bemerken, daß der
Staat in der Ausübung dieser Politik der freien Hand unseres Erachtens nicht
immer angemessen, billig oder gerecht gehandelt hat, und werden trachten diese
allerdings schwere Beschuldigung mit Thatsachen zu belegen.

Die erste derselben entnehmen wir der Geschichte der sächsisch-bayerschen
Eisenbahngesellschaft, welche letztere als Privatunternehmung daran scheiterte,
daß es ihr nicht gelang ein beabsichtigtes Aruesen, unter den damaligen un¬
günstigen Zeitverhältnissen zu dem von der Staatsregierung genehmigten Zins¬
fuße zu realisiren, während die letztere ihr die Gewährung einer höheren Ver¬
zinsung, bei welcher die Ausführung unzweifelhaft möglich geworden wäre, aus
höheren Gründen untersagte. Unter diesem Zwange verloren die Actionäre


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[0049] Zur sächsischen Cisenvahnfrage. „Jbissen kairs". In dem Decrete vom 10. Mai dieses Jahres, wodurch der jetzt lagerten Ständeversammlung Eröffnungen über die Grundsätze gemacht werden, „nach welchen dieser in jeder Beziehung so wichtige Gegenstand für die Zukunft zu behandeln sei", tritt uns gleich Anfangs das bemerkenswerthe Geständniß der Regierung entgegen, daß man bisher das System befolgt habe, eben kein System zu haben, d. h. daß man sich weder einen für das ganze Land entworfenen Plan vorgezeichnet, noch auch darüber klar geworden, ob man den Eisenbahn¬ bau als Staatssache oder als Aufgabe der Privatindustrie zu behandeln habe. Mit einem Worte, man sei nicht nach einem allgemeinen Gesichtspunkte ver¬ fahren, sondern nach Zeit und Gelegenheit. Wir würden dies Verfahren, die so oft und bitter getadelte Politik der freien Hand, unter der Voraussetzung, daß sie immer in einer angemessenen, billigen und gerechten Weise angewendet werde, von vornherein unbedingt zu tadeln nicht geneigt sein. Wir verkennen nicht, daß der Staat, so lange die Eisenbahnen noch als ein sehr zweifelhaftes Problem zu betrachten waren, wohl daran that die Lösung desselben Privatunternehmern, die kühn genug dazu waren, zu überlassen. Ob es nicht ebenso wohl gethan wäre, dies auch in Bezug auf die weitere Explvitirung des neuen Communicationsmittels zu thun, darauf werden wir später zurückkommen. Für jetzt wollen wir nur bemerken, daß der Staat in der Ausübung dieser Politik der freien Hand unseres Erachtens nicht immer angemessen, billig oder gerecht gehandelt hat, und werden trachten diese allerdings schwere Beschuldigung mit Thatsachen zu belegen. Die erste derselben entnehmen wir der Geschichte der sächsisch-bayerschen Eisenbahngesellschaft, welche letztere als Privatunternehmung daran scheiterte, daß es ihr nicht gelang ein beabsichtigtes Aruesen, unter den damaligen un¬ günstigen Zeitverhältnissen zu dem von der Staatsregierung genehmigten Zins¬ fuße zu realisiren, während die letztere ihr die Gewährung einer höheren Ver¬ zinsung, bei welcher die Ausführung unzweifelhaft möglich geworden wäre, aus höheren Gründen untersagte. Unter diesem Zwange verloren die Actionäre Grenzboten III. 1864. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/49>, abgerufen am 03.05.2024.