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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Ein süddeutsches Sonderbundsprojeet vom Jahre 1815.

Immer wieder, so oft der natürliche Lauf der Dinge an dem losen Ge¬
fügt unseres deutschen Staatenaggregates den Beweis liefert, daß es die Macht
allein ist. welche einen Staat bildet und erkalt; so oft die beiden Großstaaten
durch ein rasches, energisches Handeln die Nutzlosigkeit der Kleinstaaterei vor
die Augen aller, die sehen wollen, führt, tauchen Bestrebungen auf, die zersplit¬
terte Menge der Kleinen in einem Separatbunde den Großen gegenüberzustellen.
Regelmäßig scheitern diese Bestrebungen an der Unnatur einer solchen Verbin¬
dung, deren Symptome erstaunlich rasch zu Tage treten, aber immer wiede
(wir brauchen nicht an nahe liegende Beispiele zu erinnern) erneuern sich in
irgendeiner Form dieselben Versuche. Es sei erlaubt, hier ein todtgeborne"
Sonderbundsproject aus der Zeit des zweiten pariser Friedens in Erinnerung
zu bringen. Es ist nicht ganz genau, wenn Pertz in Steins Leben (IV. 586)
sagt: "Vergeblich suchte sich Bayern durch einen Bund mit Würtemberg und
Baden ein größeres Gewicht in den allgemeinen Angelegenheiten zu verschaffen."
Der Versuch ging nicht zunächst von Bayern aus und verfolgte doch noch wei¬
tere Zwecke als die eines momentanen Vortheils. Eine tiefe Verstimmung
hatte sich im Verlauf der Verhandlungen des zweiten pariser Friedens der klei-
neren Staaten bemächtigt; die Klage des Kronprinzen von Würtemberg (die
fast wie eine Ahnung von dem, was er acht Jahre später als König erdulden
mußte, klingt) über die "vierfache Despotie, welche seit dem Frieden von Paris
sich anmaßt, über die theuersten Interessen aller europäischen Völker in letzter
Instanz abzusprechen" ist bekannt und bezeichnend genug. Die Gesandten der
vier großen Mächte hüllten ihre Conferenzen in ein undurchdringliches Dunkel.
"Ohne die Zeitungen." klagt der Vertreter eines deutschen Kleinstaates. "wüß-
ten wir nicht einmal, daß Bonaparte in der Gewalt der Engländer ist und
nach Se. Helena gebracht wird." Und in dieser Abgeschlossenheit war System und
Tendenz. Durch die Indiscretion eines Eingeweihten erfuhren die im Dunkel
tastenden Diplomaten, daß dieses Geheimniß das Resultat einer Verabredung sei.
welche die Minister der vier großen Mächte getroffen. Auch vermochte nichts, die
verschlossenen Pforten zu öffnen. ,Mus vous p^sentous tous," schreibt unser Ge-


Vrenjbottn IV. 1864. 51
Ein süddeutsches Sonderbundsprojeet vom Jahre 1815.

Immer wieder, so oft der natürliche Lauf der Dinge an dem losen Ge¬
fügt unseres deutschen Staatenaggregates den Beweis liefert, daß es die Macht
allein ist. welche einen Staat bildet und erkalt; so oft die beiden Großstaaten
durch ein rasches, energisches Handeln die Nutzlosigkeit der Kleinstaaterei vor
die Augen aller, die sehen wollen, führt, tauchen Bestrebungen auf, die zersplit¬
terte Menge der Kleinen in einem Separatbunde den Großen gegenüberzustellen.
Regelmäßig scheitern diese Bestrebungen an der Unnatur einer solchen Verbin¬
dung, deren Symptome erstaunlich rasch zu Tage treten, aber immer wiede
(wir brauchen nicht an nahe liegende Beispiele zu erinnern) erneuern sich in
irgendeiner Form dieselben Versuche. Es sei erlaubt, hier ein todtgeborne«
Sonderbundsproject aus der Zeit des zweiten pariser Friedens in Erinnerung
zu bringen. Es ist nicht ganz genau, wenn Pertz in Steins Leben (IV. 586)
sagt: „Vergeblich suchte sich Bayern durch einen Bund mit Würtemberg und
Baden ein größeres Gewicht in den allgemeinen Angelegenheiten zu verschaffen."
Der Versuch ging nicht zunächst von Bayern aus und verfolgte doch noch wei¬
tere Zwecke als die eines momentanen Vortheils. Eine tiefe Verstimmung
hatte sich im Verlauf der Verhandlungen des zweiten pariser Friedens der klei-
neren Staaten bemächtigt; die Klage des Kronprinzen von Würtemberg (die
fast wie eine Ahnung von dem, was er acht Jahre später als König erdulden
mußte, klingt) über die „vierfache Despotie, welche seit dem Frieden von Paris
sich anmaßt, über die theuersten Interessen aller europäischen Völker in letzter
Instanz abzusprechen" ist bekannt und bezeichnend genug. Die Gesandten der
vier großen Mächte hüllten ihre Conferenzen in ein undurchdringliches Dunkel.
„Ohne die Zeitungen." klagt der Vertreter eines deutschen Kleinstaates. „wüß-
ten wir nicht einmal, daß Bonaparte in der Gewalt der Engländer ist und
nach Se. Helena gebracht wird." Und in dieser Abgeschlossenheit war System und
Tendenz. Durch die Indiscretion eines Eingeweihten erfuhren die im Dunkel
tastenden Diplomaten, daß dieses Geheimniß das Resultat einer Verabredung sei.
welche die Minister der vier großen Mächte getroffen. Auch vermochte nichts, die
verschlossenen Pforten zu öffnen. ,Mus vous p^sentous tous," schreibt unser Ge-


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[0405] Ein süddeutsches Sonderbundsprojeet vom Jahre 1815. Immer wieder, so oft der natürliche Lauf der Dinge an dem losen Ge¬ fügt unseres deutschen Staatenaggregates den Beweis liefert, daß es die Macht allein ist. welche einen Staat bildet und erkalt; so oft die beiden Großstaaten durch ein rasches, energisches Handeln die Nutzlosigkeit der Kleinstaaterei vor die Augen aller, die sehen wollen, führt, tauchen Bestrebungen auf, die zersplit¬ terte Menge der Kleinen in einem Separatbunde den Großen gegenüberzustellen. Regelmäßig scheitern diese Bestrebungen an der Unnatur einer solchen Verbin¬ dung, deren Symptome erstaunlich rasch zu Tage treten, aber immer wiede (wir brauchen nicht an nahe liegende Beispiele zu erinnern) erneuern sich in irgendeiner Form dieselben Versuche. Es sei erlaubt, hier ein todtgeborne« Sonderbundsproject aus der Zeit des zweiten pariser Friedens in Erinnerung zu bringen. Es ist nicht ganz genau, wenn Pertz in Steins Leben (IV. 586) sagt: „Vergeblich suchte sich Bayern durch einen Bund mit Würtemberg und Baden ein größeres Gewicht in den allgemeinen Angelegenheiten zu verschaffen." Der Versuch ging nicht zunächst von Bayern aus und verfolgte doch noch wei¬ tere Zwecke als die eines momentanen Vortheils. Eine tiefe Verstimmung hatte sich im Verlauf der Verhandlungen des zweiten pariser Friedens der klei- neren Staaten bemächtigt; die Klage des Kronprinzen von Würtemberg (die fast wie eine Ahnung von dem, was er acht Jahre später als König erdulden mußte, klingt) über die „vierfache Despotie, welche seit dem Frieden von Paris sich anmaßt, über die theuersten Interessen aller europäischen Völker in letzter Instanz abzusprechen" ist bekannt und bezeichnend genug. Die Gesandten der vier großen Mächte hüllten ihre Conferenzen in ein undurchdringliches Dunkel. „Ohne die Zeitungen." klagt der Vertreter eines deutschen Kleinstaates. „wüß- ten wir nicht einmal, daß Bonaparte in der Gewalt der Engländer ist und nach Se. Helena gebracht wird." Und in dieser Abgeschlossenheit war System und Tendenz. Durch die Indiscretion eines Eingeweihten erfuhren die im Dunkel tastenden Diplomaten, daß dieses Geheimniß das Resultat einer Verabredung sei. welche die Minister der vier großen Mächte getroffen. Auch vermochte nichts, die verschlossenen Pforten zu öffnen. ,Mus vous p^sentous tous," schreibt unser Ge- Vrenjbottn IV. 1864. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/405>, abgerufen am 05.05.2024.