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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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nach Reims geschickt. Man hatte sich nämlich darin gefallen, diejenigen Car¬
dinäle zu trennen, die auf vertraulichem Fuße miteinander gelebt hatten und
Paarte solche zusammen, die sich weniger kannten.

Consalvi schließt seine Erzählung damit, uns zu versichern, er habe von den
ihm als Reisegeld angewiesenen fünfzig Louis ebenso wenig Gebrauch gemacht,
wie von den zweihundert Franken, die man ihnen als monatliche Pension aus¬
gesetzt hatte.




Das Vermächtnis? des letzten Papst-Königs.

Wenn ein Papst des neunzehnten Jahrhunderts -- die Annalen des Papst¬
thums erzählen diese Geschichte von Leo dem Zwölften -- einen Mönch heilig
spricht, dessen Hauptverdienst in dem Wunder bestand, daß er Vögel, die schon
halb gebraten waren, vom Bratspieß abstreifte und lebendig wieder fortfliegen
ließ, so ist dies eine häusliche Angelegenheit, die in ihrer Harmlosigkeit nie¬
mandem zu nahe tritt, Viele erheitert. Wenn aber ein Papst in die Mitte der
modernen Gesellschaft hinein ein Manifest schleudert, daß der Autonomie der
Wissenschaft wie den Grundlagen des Staats den Krieg erklärt und seine sämmt¬
lichen Organe, die ihm zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet sind, anweist, diesen
Krieg mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu führen, so ist dies un-
läugbar ein Ereigniß, eine kühne Herausforderung, die verhängnißvoll sein muß
für den einen oder den andern Theil, denn sie constatirt die Macht oder die
Unmacht des Herausfordernden. In seiner Encyklika vom 8. December hat
Pius der Neunte das Gebäude des Katholicismus und die moderne Weltan¬
schauung als unversöhnliche Gegensätze hingestellt, er selbst ist es, der diesen
Gegensatz principiell formulirt hat, er selbst berechtigt dazu, in dem Erfolg seiner
Bulle die Antwort auf die Frage zu lesen, wem Gegenwart und Zukunft ge-
hören: der päpstlichen Hierarchie oder dem modernen Staate.

Bestünde' die neueste That des Vatikan nur in der Ankündigung des Ju¬
biläums, so wäre auch dies eine häusliche Angelegenheit, sie ginge nur die¬
jenigen an, welche Lust tragen, von der Ablaßgelegenheit Gebrauch zu machen,
und die übrige Welt könnte sich damit begnügen, es seltsam zu finden, daß der


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nach Reims geschickt. Man hatte sich nämlich darin gefallen, diejenigen Car¬
dinäle zu trennen, die auf vertraulichem Fuße miteinander gelebt hatten und
Paarte solche zusammen, die sich weniger kannten.

Consalvi schließt seine Erzählung damit, uns zu versichern, er habe von den
ihm als Reisegeld angewiesenen fünfzig Louis ebenso wenig Gebrauch gemacht,
wie von den zweihundert Franken, die man ihnen als monatliche Pension aus¬
gesetzt hatte.




Das Vermächtnis? des letzten Papst-Königs.

Wenn ein Papst des neunzehnten Jahrhunderts — die Annalen des Papst¬
thums erzählen diese Geschichte von Leo dem Zwölften — einen Mönch heilig
spricht, dessen Hauptverdienst in dem Wunder bestand, daß er Vögel, die schon
halb gebraten waren, vom Bratspieß abstreifte und lebendig wieder fortfliegen
ließ, so ist dies eine häusliche Angelegenheit, die in ihrer Harmlosigkeit nie¬
mandem zu nahe tritt, Viele erheitert. Wenn aber ein Papst in die Mitte der
modernen Gesellschaft hinein ein Manifest schleudert, daß der Autonomie der
Wissenschaft wie den Grundlagen des Staats den Krieg erklärt und seine sämmt¬
lichen Organe, die ihm zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet sind, anweist, diesen
Krieg mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu führen, so ist dies un-
läugbar ein Ereigniß, eine kühne Herausforderung, die verhängnißvoll sein muß
für den einen oder den andern Theil, denn sie constatirt die Macht oder die
Unmacht des Herausfordernden. In seiner Encyklika vom 8. December hat
Pius der Neunte das Gebäude des Katholicismus und die moderne Weltan¬
schauung als unversöhnliche Gegensätze hingestellt, er selbst ist es, der diesen
Gegensatz principiell formulirt hat, er selbst berechtigt dazu, in dem Erfolg seiner
Bulle die Antwort auf die Frage zu lesen, wem Gegenwart und Zukunft ge-
hören: der päpstlichen Hierarchie oder dem modernen Staate.

Bestünde' die neueste That des Vatikan nur in der Ankündigung des Ju¬
biläums, so wäre auch dies eine häusliche Angelegenheit, sie ginge nur die¬
jenigen an, welche Lust tragen, von der Ablaßgelegenheit Gebrauch zu machen,
und die übrige Welt könnte sich damit begnügen, es seltsam zu finden, daß der


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[0201] nach Reims geschickt. Man hatte sich nämlich darin gefallen, diejenigen Car¬ dinäle zu trennen, die auf vertraulichem Fuße miteinander gelebt hatten und Paarte solche zusammen, die sich weniger kannten. Consalvi schließt seine Erzählung damit, uns zu versichern, er habe von den ihm als Reisegeld angewiesenen fünfzig Louis ebenso wenig Gebrauch gemacht, wie von den zweihundert Franken, die man ihnen als monatliche Pension aus¬ gesetzt hatte. Das Vermächtnis? des letzten Papst-Königs. Wenn ein Papst des neunzehnten Jahrhunderts — die Annalen des Papst¬ thums erzählen diese Geschichte von Leo dem Zwölften — einen Mönch heilig spricht, dessen Hauptverdienst in dem Wunder bestand, daß er Vögel, die schon halb gebraten waren, vom Bratspieß abstreifte und lebendig wieder fortfliegen ließ, so ist dies eine häusliche Angelegenheit, die in ihrer Harmlosigkeit nie¬ mandem zu nahe tritt, Viele erheitert. Wenn aber ein Papst in die Mitte der modernen Gesellschaft hinein ein Manifest schleudert, daß der Autonomie der Wissenschaft wie den Grundlagen des Staats den Krieg erklärt und seine sämmt¬ lichen Organe, die ihm zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet sind, anweist, diesen Krieg mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu führen, so ist dies un- läugbar ein Ereigniß, eine kühne Herausforderung, die verhängnißvoll sein muß für den einen oder den andern Theil, denn sie constatirt die Macht oder die Unmacht des Herausfordernden. In seiner Encyklika vom 8. December hat Pius der Neunte das Gebäude des Katholicismus und die moderne Weltan¬ schauung als unversöhnliche Gegensätze hingestellt, er selbst ist es, der diesen Gegensatz principiell formulirt hat, er selbst berechtigt dazu, in dem Erfolg seiner Bulle die Antwort auf die Frage zu lesen, wem Gegenwart und Zukunft ge- hören: der päpstlichen Hierarchie oder dem modernen Staate. Bestünde' die neueste That des Vatikan nur in der Ankündigung des Ju¬ biläums, so wäre auch dies eine häusliche Angelegenheit, sie ginge nur die¬ jenigen an, welche Lust tragen, von der Ablaßgelegenheit Gebrauch zu machen, und die übrige Welt könnte sich damit begnügen, es seltsam zu finden, daß der 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/201>, abgerufen am 29.04.2024.