Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Shakespeares "Wie es euch gefällt" aus der deutschen Bühne.

Im vorigen Jahre haben die meisten größern Bühnen Deutschlands sich
daran erinnert, daß es 300 Jahre her ist, seit Shakespeare gehören wurde,
mehre haben in dieser Zeit eine Reihenfolge seiner Stücke, die in dem Gesichts¬
kreis des Repertoirs waren, neu ausgestattet und einstudirt. Das Publikum
ließ sich das Dargebotene gern gefallen, selbst wo ihm durch die Zahl der
aufgeführten Stücke und die Auswahl viel zugemuthet wurde, denn es liebt
bei solcher Gelegenheit sich ein Großes zugetraut zu sehn. Das karlsruher
Theater hat unter Eduard Devrient seit zwölf Jahren so viele Dramen des
großen Dichters zu stehenden Repertoirstücken gemacht, daß es die Erinnerungs¬
feier wie ein Familien- und Freundessest begehn durfte. In diesem Winter
wird dort ein Drama nach dem andern zwischen Oper und den Tagesneuigkeiten
aufgeführt, die meisten sind alte Habe des Repertoirs; dadurch, daß ein und das
andere, an dem sich die Kräfte der Bühne noch nicht versucht hatten, zu dem
vorhandenem Schatz gefügt wird, hofft man die Zahl zwanzig zu erreichen.

Unter den neueinstudirten Stücken war auch das Lustspiel: "Wie es euch
gefällt", der deutschen Bühne fast fremd, dem Leser ein wunderliches, ver-
kraustes Spiel, das er gern überschlägt. Und doch war die Aufführung in
Karlsruhe reich an schönen Wirkungen auch dem großen Publikum willkommen,
sie stellte den Schauspielern, noch mehr dem Leiter der Bühne interessante
Aufgaben. Gerade dies Stück gewährt einen fesselnden Einblick in den höfischen
Geschmack jener Zeit und in des Dichters Methode zu schaffen.

Wie Viel auch in unserer schreiblustigen Zeit über Shakespeare geschrieben
ist. noch wird als empfindlicher Mangel fühlbar, daß keine Arbeit die Geschichte
der einzelnen Stücke nach den etwa erhaltenen abweichenden Recensionen, nach
den allerdings spärlichen Notizen über Zeit und Veranlassung ihrer Entstehung
und nach ihrer innern technischen Verschiedenheit, mit genauer Kenntniß des
alten und neuen Theaters auseinanderlegt. Was uns jetzt unter Shakespeares
Namen erhalten ist, Echtes und Angezweifeltes, zeigt eine so große Verschieden¬
heit in Bau, Ton und innerem Werth, wie bei keinem neueren Kunstdichter
möglich wäre. Auf dem weißen Papier unserer modernen Prachtausgaben stehn


Grenzbsten I. 1865. 31
Shakespeares „Wie es euch gefällt" aus der deutschen Bühne.

Im vorigen Jahre haben die meisten größern Bühnen Deutschlands sich
daran erinnert, daß es 300 Jahre her ist, seit Shakespeare gehören wurde,
mehre haben in dieser Zeit eine Reihenfolge seiner Stücke, die in dem Gesichts¬
kreis des Repertoirs waren, neu ausgestattet und einstudirt. Das Publikum
ließ sich das Dargebotene gern gefallen, selbst wo ihm durch die Zahl der
aufgeführten Stücke und die Auswahl viel zugemuthet wurde, denn es liebt
bei solcher Gelegenheit sich ein Großes zugetraut zu sehn. Das karlsruher
Theater hat unter Eduard Devrient seit zwölf Jahren so viele Dramen des
großen Dichters zu stehenden Repertoirstücken gemacht, daß es die Erinnerungs¬
feier wie ein Familien- und Freundessest begehn durfte. In diesem Winter
wird dort ein Drama nach dem andern zwischen Oper und den Tagesneuigkeiten
aufgeführt, die meisten sind alte Habe des Repertoirs; dadurch, daß ein und das
andere, an dem sich die Kräfte der Bühne noch nicht versucht hatten, zu dem
vorhandenem Schatz gefügt wird, hofft man die Zahl zwanzig zu erreichen.

Unter den neueinstudirten Stücken war auch das Lustspiel: „Wie es euch
gefällt", der deutschen Bühne fast fremd, dem Leser ein wunderliches, ver-
kraustes Spiel, das er gern überschlägt. Und doch war die Aufführung in
Karlsruhe reich an schönen Wirkungen auch dem großen Publikum willkommen,
sie stellte den Schauspielern, noch mehr dem Leiter der Bühne interessante
Aufgaben. Gerade dies Stück gewährt einen fesselnden Einblick in den höfischen
Geschmack jener Zeit und in des Dichters Methode zu schaffen.

Wie Viel auch in unserer schreiblustigen Zeit über Shakespeare geschrieben
ist. noch wird als empfindlicher Mangel fühlbar, daß keine Arbeit die Geschichte
der einzelnen Stücke nach den etwa erhaltenen abweichenden Recensionen, nach
den allerdings spärlichen Notizen über Zeit und Veranlassung ihrer Entstehung
und nach ihrer innern technischen Verschiedenheit, mit genauer Kenntniß des
alten und neuen Theaters auseinanderlegt. Was uns jetzt unter Shakespeares
Namen erhalten ist, Echtes und Angezweifeltes, zeigt eine so große Verschieden¬
heit in Bau, Ton und innerem Werth, wie bei keinem neueren Kunstdichter
möglich wäre. Auf dem weißen Papier unserer modernen Prachtausgaben stehn


Grenzbsten I. 1865. 31
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282500"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Shakespeares &#x201E;Wie es euch gefällt" aus der deutschen Bühne.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_683"> Im vorigen Jahre haben die meisten größern Bühnen Deutschlands sich<lb/>
daran erinnert, daß es 300 Jahre her ist, seit Shakespeare gehören wurde,<lb/>
mehre haben in dieser Zeit eine Reihenfolge seiner Stücke, die in dem Gesichts¬<lb/>
kreis des Repertoirs waren, neu ausgestattet und einstudirt. Das Publikum<lb/>
ließ sich das Dargebotene gern gefallen, selbst wo ihm durch die Zahl der<lb/>
aufgeführten Stücke und die Auswahl viel zugemuthet wurde, denn es liebt<lb/>
bei solcher Gelegenheit sich ein Großes zugetraut zu sehn. Das karlsruher<lb/>
Theater hat unter Eduard Devrient seit zwölf Jahren so viele Dramen des<lb/>
großen Dichters zu stehenden Repertoirstücken gemacht, daß es die Erinnerungs¬<lb/>
feier wie ein Familien- und Freundessest begehn durfte. In diesem Winter<lb/>
wird dort ein Drama nach dem andern zwischen Oper und den Tagesneuigkeiten<lb/>
aufgeführt, die meisten sind alte Habe des Repertoirs; dadurch, daß ein und das<lb/>
andere, an dem sich die Kräfte der Bühne noch nicht versucht hatten, zu dem<lb/>
vorhandenem Schatz gefügt wird, hofft man die Zahl zwanzig zu erreichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_684"> Unter den neueinstudirten Stücken war auch das Lustspiel: &#x201E;Wie es euch<lb/>
gefällt", der deutschen Bühne fast fremd, dem Leser ein wunderliches, ver-<lb/>
kraustes Spiel, das er gern überschlägt. Und doch war die Aufführung in<lb/>
Karlsruhe reich an schönen Wirkungen auch dem großen Publikum willkommen,<lb/>
sie stellte den Schauspielern, noch mehr dem Leiter der Bühne interessante<lb/>
Aufgaben. Gerade dies Stück gewährt einen fesselnden Einblick in den höfischen<lb/>
Geschmack jener Zeit und in des Dichters Methode zu schaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_685" next="#ID_686"> Wie Viel auch in unserer schreiblustigen Zeit über Shakespeare geschrieben<lb/>
ist. noch wird als empfindlicher Mangel fühlbar, daß keine Arbeit die Geschichte<lb/>
der einzelnen Stücke nach den etwa erhaltenen abweichenden Recensionen, nach<lb/>
den allerdings spärlichen Notizen über Zeit und Veranlassung ihrer Entstehung<lb/>
und nach ihrer innern technischen Verschiedenheit, mit genauer Kenntniß des<lb/>
alten und neuen Theaters auseinanderlegt. Was uns jetzt unter Shakespeares<lb/>
Namen erhalten ist, Echtes und Angezweifeltes, zeigt eine so große Verschieden¬<lb/>
heit in Bau, Ton und innerem Werth, wie bei keinem neueren Kunstdichter<lb/>
möglich wäre. Auf dem weißen Papier unserer modernen Prachtausgaben stehn</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbsten I. 1865. 31</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] Shakespeares „Wie es euch gefällt" aus der deutschen Bühne. Im vorigen Jahre haben die meisten größern Bühnen Deutschlands sich daran erinnert, daß es 300 Jahre her ist, seit Shakespeare gehören wurde, mehre haben in dieser Zeit eine Reihenfolge seiner Stücke, die in dem Gesichts¬ kreis des Repertoirs waren, neu ausgestattet und einstudirt. Das Publikum ließ sich das Dargebotene gern gefallen, selbst wo ihm durch die Zahl der aufgeführten Stücke und die Auswahl viel zugemuthet wurde, denn es liebt bei solcher Gelegenheit sich ein Großes zugetraut zu sehn. Das karlsruher Theater hat unter Eduard Devrient seit zwölf Jahren so viele Dramen des großen Dichters zu stehenden Repertoirstücken gemacht, daß es die Erinnerungs¬ feier wie ein Familien- und Freundessest begehn durfte. In diesem Winter wird dort ein Drama nach dem andern zwischen Oper und den Tagesneuigkeiten aufgeführt, die meisten sind alte Habe des Repertoirs; dadurch, daß ein und das andere, an dem sich die Kräfte der Bühne noch nicht versucht hatten, zu dem vorhandenem Schatz gefügt wird, hofft man die Zahl zwanzig zu erreichen. Unter den neueinstudirten Stücken war auch das Lustspiel: „Wie es euch gefällt", der deutschen Bühne fast fremd, dem Leser ein wunderliches, ver- kraustes Spiel, das er gern überschlägt. Und doch war die Aufführung in Karlsruhe reich an schönen Wirkungen auch dem großen Publikum willkommen, sie stellte den Schauspielern, noch mehr dem Leiter der Bühne interessante Aufgaben. Gerade dies Stück gewährt einen fesselnden Einblick in den höfischen Geschmack jener Zeit und in des Dichters Methode zu schaffen. Wie Viel auch in unserer schreiblustigen Zeit über Shakespeare geschrieben ist. noch wird als empfindlicher Mangel fühlbar, daß keine Arbeit die Geschichte der einzelnen Stücke nach den etwa erhaltenen abweichenden Recensionen, nach den allerdings spärlichen Notizen über Zeit und Veranlassung ihrer Entstehung und nach ihrer innern technischen Verschiedenheit, mit genauer Kenntniß des alten und neuen Theaters auseinanderlegt. Was uns jetzt unter Shakespeares Namen erhalten ist, Echtes und Angezweifeltes, zeigt eine so große Verschieden¬ heit in Bau, Ton und innerem Werth, wie bei keinem neueren Kunstdichter möglich wäre. Auf dem weißen Papier unserer modernen Prachtausgaben stehn Grenzbsten I. 1865. 31

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/259>, abgerufen am 29.04.2024.