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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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die großen sorgfältig gearbeiteten Tragödien, welche nicht nur die Gewalt seines
Genies, auch die volle Sorgfalt des gereiften Künstlers zeigen, neben rohen
Jugendwerken, flüchtigen Gelegenheitsstücken, neben Tagesarbeiten, zu denen
ihn der Bedarf seiner hungrigen Bühne zwang, ja wohl auch neben fremdem
Gut, das er nur eilig zurichtete und durch eingesetzte Scenen besserte. Polter¬
abendscherze, wie der Sommernachtstraum. Staatsactionen wie Heinrich der
Fünfte, leichte Waare des Sommertheaters, welche auf offenem Brettergerüst
ohne jede Decoration unter freiem Himmel aufgeführt wurde, und Stücke der
Winterhäuser, bei denen auf die Architektur der Scene und die dadurch mög¬
lichen Effecte sorgfältig Rücksicht genommen ist. Äus den Bänden det Shake¬
speareausgaben und ihrer Uebersetzung sind die Dramen auf unsere Potier
übergegangen und einige derselben sehn bei den vergoldeten Schnörkeln und
Gasflammen der modernen Salvnlheater sehr seltsam aus.

William Shakespeare war Schauspieler und Regisseur und zugleich Theater¬
dichter, eine Thätigkeit, die in seiner Zeit mit den beiden ersten häufig in Ver¬
bindung stand. Für den täglichen Bedarf seiner Truppe mußte er sich in
seinen Dichtungen den localen und persönlichen Verhältnissen seines Publikums
und seiner Gönner anschmiegen. Nur die Rücksicht und geübte Beachtung
des momentanen schauspielerischen Erfolges konnte ihn leiten, selten die Absicht,
kaum wohl die Hoffnung: seine Werke würden seine Zeit überleben.

Für seine Zwecke griff er nach Novellen, nach Lalladen, nach schon vor-
handenen Dramen, die er mit der sichern Hand des Regisseurs seinen Kollegen
und seinem Publikum anpaßte. '

Dies der Grund, warum wir in mehren seiner Stücke nur ab und zu,
wie Körner in der Spreu, eine Scene finden, aus welcher der volle, warme
Hauch seines schöpferischen Odems uns anhaucht. Wenn sich die großen Werke
seiner Kunst in der Form, der poetischen Ausarbeitung, der großartigen Ent¬
wicklung der Charaktere so weit von den Eintagsfliege" seiner Theaterzeit unter¬
scheide", so dürfen wir schließen, daß dies Vorwürfe waren, die er besonders
lieb gewonnen hatte. Sie unterwarf er einer mehrfachen Umarbeitung, ihnen
lies; er, wie echten unter Pflegekindern, auch volle Liebe und volle Zucht an-
gedeihen, ehe er sie in die Welt hinaussandte.

Das vorliegende Stück gehört, wenn irgendeines, in die Zahl der Gelegen-
lmtsstücke und darf nur als solches beurtheilt werden.

Es ist einer Novelle von Thomas Lodge entnommen, RosalMä, or Lu-
xkue's (Zolävii I^ML^o, 4. 1590. Die Novelle führt in der zweiten Aus¬
gabe von 1592 den langen wunderlichen Titel: "Rvsalynde. Euphues goldenes
Vermächtnis!, nach seinem Tode in seiner Zelle in Silexedra aufgefunden. Den
Söhnen des Philautus vermacht, die mit ihrem Vater in England erzogen
worden. Von den Canarischen Inseln hergebracht von T. L. Edelmann."


die großen sorgfältig gearbeiteten Tragödien, welche nicht nur die Gewalt seines
Genies, auch die volle Sorgfalt des gereiften Künstlers zeigen, neben rohen
Jugendwerken, flüchtigen Gelegenheitsstücken, neben Tagesarbeiten, zu denen
ihn der Bedarf seiner hungrigen Bühne zwang, ja wohl auch neben fremdem
Gut, das er nur eilig zurichtete und durch eingesetzte Scenen besserte. Polter¬
abendscherze, wie der Sommernachtstraum. Staatsactionen wie Heinrich der
Fünfte, leichte Waare des Sommertheaters, welche auf offenem Brettergerüst
ohne jede Decoration unter freiem Himmel aufgeführt wurde, und Stücke der
Winterhäuser, bei denen auf die Architektur der Scene und die dadurch mög¬
lichen Effecte sorgfältig Rücksicht genommen ist. Äus den Bänden det Shake¬
speareausgaben und ihrer Uebersetzung sind die Dramen auf unsere Potier
übergegangen und einige derselben sehn bei den vergoldeten Schnörkeln und
Gasflammen der modernen Salvnlheater sehr seltsam aus.

William Shakespeare war Schauspieler und Regisseur und zugleich Theater¬
dichter, eine Thätigkeit, die in seiner Zeit mit den beiden ersten häufig in Ver¬
bindung stand. Für den täglichen Bedarf seiner Truppe mußte er sich in
seinen Dichtungen den localen und persönlichen Verhältnissen seines Publikums
und seiner Gönner anschmiegen. Nur die Rücksicht und geübte Beachtung
des momentanen schauspielerischen Erfolges konnte ihn leiten, selten die Absicht,
kaum wohl die Hoffnung: seine Werke würden seine Zeit überleben.

Für seine Zwecke griff er nach Novellen, nach Lalladen, nach schon vor-
handenen Dramen, die er mit der sichern Hand des Regisseurs seinen Kollegen
und seinem Publikum anpaßte. '

Dies der Grund, warum wir in mehren seiner Stücke nur ab und zu,
wie Körner in der Spreu, eine Scene finden, aus welcher der volle, warme
Hauch seines schöpferischen Odems uns anhaucht. Wenn sich die großen Werke
seiner Kunst in der Form, der poetischen Ausarbeitung, der großartigen Ent¬
wicklung der Charaktere so weit von den Eintagsfliege» seiner Theaterzeit unter¬
scheide», so dürfen wir schließen, daß dies Vorwürfe waren, die er besonders
lieb gewonnen hatte. Sie unterwarf er einer mehrfachen Umarbeitung, ihnen
lies; er, wie echten unter Pflegekindern, auch volle Liebe und volle Zucht an-
gedeihen, ehe er sie in die Welt hinaussandte.

Das vorliegende Stück gehört, wenn irgendeines, in die Zahl der Gelegen-
lmtsstücke und darf nur als solches beurtheilt werden.

Es ist einer Novelle von Thomas Lodge entnommen, RosalMä, or Lu-
xkue's (Zolävii I^ML^o, 4. 1590. Die Novelle führt in der zweiten Aus¬
gabe von 1592 den langen wunderlichen Titel: „Rvsalynde. Euphues goldenes
Vermächtnis!, nach seinem Tode in seiner Zelle in Silexedra aufgefunden. Den
Söhnen des Philautus vermacht, die mit ihrem Vater in England erzogen
worden. Von den Canarischen Inseln hergebracht von T. L. Edelmann."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/260>, abgerufen am 16.05.2024.