Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die englischen Dialekte.

Koch C. Fr., historische Grammatik der englischen Sprache I. Bd.; Die Laut- und
Flexionslehre der englischen Sprache. Weimar, Bostan.

"Verglichen unter einander und als Objecte der Naturkunde des Geistes
betrachtet, nach der Analogie ihres innern Baues in Familien gesondert, sind
die Sprachen," sagt Alexander von Humboldt im zweiten Theile seines Kosmos,
"eine reiche Quelle des historischen Wissens geworden. Eben weil sie das Pco-
duct der geistigen Kraft des Menschen sind, führen sie uns mittelst der Grund-
züge ihres Organismus in eine dunkle Ferne, in eine solche, zu welcher keine
Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachstudium zeigt, wie durch große
Länderstrecken getrennte Volksstämme mit einander verwandt und aus einem ge¬
meinsamen Ursitze ausgezogen sind, es offenbart den Weg und die Richtung
alter Wanderungen, es erkennt, be" Entwickelungsmomenten nachspürend, in der
mehr oder minder veränderten Sprachgestaltung, in der Permanenz gewisser
Formen oder in der bereits fortgeschrittenen Zertrümmerung der Auflösung des
Formensystems, welcher Volksstamm der einst im gemeinsamen Wohnsitze üblichen
gemeinsamen Sprache näher geblieben ist." Die Sprachen so in ihrer histo¬
rischen Entwicklung zu betrachten ist eine der refultatvollsten Arbeiten der neue¬
ren Zeit, der letztverflossenen siebzig bis achtzig Jahre. Vor allen waren
es Männer deutscher Wissenschaft, welche das vergleichende Sprachstudium schufen
und förderten. Immer mehr Sprachen wurden in das Bereich scharfsinniger
Forschung gezogen, nie geahnte Resultate erzielt, eine große neue Wissenschaft
ist erstanden.

Eine bislang fühlbare Lücke ist durch Kochs historische Grammatik der eng¬
lischen Sprache ausgefüllt worden für die Sprache, welche die Vermittlerin
germanischen und romanischen Elementes ist. Auf die Sprache wirkt nicht
nur die ursprüngliche Anlage, die Stammeseigenthümlichkeit ein, sondern jede
durch die Zeit herbeigeführte Abänderung der innern Richtung und jedes äußere
Ereigniß, welches die Seele und den Geistesschwung der Nation hebt oder
niederdrückt, vor allem aber der Impuls ausgezeichneter Köpfe. Dies Alles
läßt sich bei der englischen Sprache sehr gut verfolgen, man denke an die vielen
Einwanderungen, an das Ringen des germanischen und romanischen Elementes,
um die Oberhand zu gewinnen, an die große Geschichte des Volkes, an die
Mannhaftigkeit und den Adel der geistigen Arbeit, welche sich in der Sprache
Englands niedergeschlagen haben.

Das erwähnte Werk hat auch die Mundarten in den Bereich seiner


Die englischen Dialekte.

Koch C. Fr., historische Grammatik der englischen Sprache I. Bd.; Die Laut- und
Flexionslehre der englischen Sprache. Weimar, Bostan.

„Verglichen unter einander und als Objecte der Naturkunde des Geistes
betrachtet, nach der Analogie ihres innern Baues in Familien gesondert, sind
die Sprachen," sagt Alexander von Humboldt im zweiten Theile seines Kosmos,
„eine reiche Quelle des historischen Wissens geworden. Eben weil sie das Pco-
duct der geistigen Kraft des Menschen sind, führen sie uns mittelst der Grund-
züge ihres Organismus in eine dunkle Ferne, in eine solche, zu welcher keine
Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachstudium zeigt, wie durch große
Länderstrecken getrennte Volksstämme mit einander verwandt und aus einem ge¬
meinsamen Ursitze ausgezogen sind, es offenbart den Weg und die Richtung
alter Wanderungen, es erkennt, be» Entwickelungsmomenten nachspürend, in der
mehr oder minder veränderten Sprachgestaltung, in der Permanenz gewisser
Formen oder in der bereits fortgeschrittenen Zertrümmerung der Auflösung des
Formensystems, welcher Volksstamm der einst im gemeinsamen Wohnsitze üblichen
gemeinsamen Sprache näher geblieben ist." Die Sprachen so in ihrer histo¬
rischen Entwicklung zu betrachten ist eine der refultatvollsten Arbeiten der neue¬
ren Zeit, der letztverflossenen siebzig bis achtzig Jahre. Vor allen waren
es Männer deutscher Wissenschaft, welche das vergleichende Sprachstudium schufen
und förderten. Immer mehr Sprachen wurden in das Bereich scharfsinniger
Forschung gezogen, nie geahnte Resultate erzielt, eine große neue Wissenschaft
ist erstanden.

Eine bislang fühlbare Lücke ist durch Kochs historische Grammatik der eng¬
lischen Sprache ausgefüllt worden für die Sprache, welche die Vermittlerin
germanischen und romanischen Elementes ist. Auf die Sprache wirkt nicht
nur die ursprüngliche Anlage, die Stammeseigenthümlichkeit ein, sondern jede
durch die Zeit herbeigeführte Abänderung der innern Richtung und jedes äußere
Ereigniß, welches die Seele und den Geistesschwung der Nation hebt oder
niederdrückt, vor allem aber der Impuls ausgezeichneter Köpfe. Dies Alles
läßt sich bei der englischen Sprache sehr gut verfolgen, man denke an die vielen
Einwanderungen, an das Ringen des germanischen und romanischen Elementes,
um die Oberhand zu gewinnen, an die große Geschichte des Volkes, an die
Mannhaftigkeit und den Adel der geistigen Arbeit, welche sich in der Sprache
Englands niedergeschlagen haben.

Das erwähnte Werk hat auch die Mundarten in den Bereich seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282522"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die englischen Dialekte.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_762"> Koch C. Fr., historische Grammatik der englischen Sprache I. Bd.; Die Laut- und<lb/>
Flexionslehre der englischen Sprache.  Weimar, Bostan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_763"> &#x201E;Verglichen unter einander und als Objecte der Naturkunde des Geistes<lb/>
betrachtet, nach der Analogie ihres innern Baues in Familien gesondert, sind<lb/>
die Sprachen," sagt Alexander von Humboldt im zweiten Theile seines Kosmos,<lb/>
&#x201E;eine reiche Quelle des historischen Wissens geworden. Eben weil sie das Pco-<lb/>
duct der geistigen Kraft des Menschen sind, führen sie uns mittelst der Grund-<lb/>
züge ihres Organismus in eine dunkle Ferne, in eine solche, zu welcher keine<lb/>
Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachstudium zeigt, wie durch große<lb/>
Länderstrecken getrennte Volksstämme mit einander verwandt und aus einem ge¬<lb/>
meinsamen Ursitze ausgezogen sind, es offenbart den Weg und die Richtung<lb/>
alter Wanderungen, es erkennt, be» Entwickelungsmomenten nachspürend, in der<lb/>
mehr oder minder veränderten Sprachgestaltung, in der Permanenz gewisser<lb/>
Formen oder in der bereits fortgeschrittenen Zertrümmerung der Auflösung des<lb/>
Formensystems, welcher Volksstamm der einst im gemeinsamen Wohnsitze üblichen<lb/>
gemeinsamen Sprache näher geblieben ist." Die Sprachen so in ihrer histo¬<lb/>
rischen Entwicklung zu betrachten ist eine der refultatvollsten Arbeiten der neue¬<lb/>
ren Zeit, der letztverflossenen siebzig bis achtzig Jahre. Vor allen waren<lb/>
es Männer deutscher Wissenschaft, welche das vergleichende Sprachstudium schufen<lb/>
und förderten. Immer mehr Sprachen wurden in das Bereich scharfsinniger<lb/>
Forschung gezogen, nie geahnte Resultate erzielt, eine große neue Wissenschaft<lb/>
ist erstanden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_764"> Eine bislang fühlbare Lücke ist durch Kochs historische Grammatik der eng¬<lb/>
lischen Sprache ausgefüllt worden für die Sprache, welche die Vermittlerin<lb/>
germanischen und romanischen Elementes ist. Auf die Sprache wirkt nicht<lb/>
nur die ursprüngliche Anlage, die Stammeseigenthümlichkeit ein, sondern jede<lb/>
durch die Zeit herbeigeführte Abänderung der innern Richtung und jedes äußere<lb/>
Ereigniß, welches die Seele und den Geistesschwung der Nation hebt oder<lb/>
niederdrückt, vor allem aber der Impuls ausgezeichneter Köpfe. Dies Alles<lb/>
läßt sich bei der englischen Sprache sehr gut verfolgen, man denke an die vielen<lb/>
Einwanderungen, an das Ringen des germanischen und romanischen Elementes,<lb/>
um die Oberhand zu gewinnen, an die große Geschichte des Volkes, an die<lb/>
Mannhaftigkeit und den Adel der geistigen Arbeit, welche sich in der Sprache<lb/>
Englands niedergeschlagen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_765" next="#ID_766"> Das erwähnte Werk hat auch die Mundarten in den Bereich seiner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0281] Die englischen Dialekte. Koch C. Fr., historische Grammatik der englischen Sprache I. Bd.; Die Laut- und Flexionslehre der englischen Sprache. Weimar, Bostan. „Verglichen unter einander und als Objecte der Naturkunde des Geistes betrachtet, nach der Analogie ihres innern Baues in Familien gesondert, sind die Sprachen," sagt Alexander von Humboldt im zweiten Theile seines Kosmos, „eine reiche Quelle des historischen Wissens geworden. Eben weil sie das Pco- duct der geistigen Kraft des Menschen sind, führen sie uns mittelst der Grund- züge ihres Organismus in eine dunkle Ferne, in eine solche, zu welcher keine Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachstudium zeigt, wie durch große Länderstrecken getrennte Volksstämme mit einander verwandt und aus einem ge¬ meinsamen Ursitze ausgezogen sind, es offenbart den Weg und die Richtung alter Wanderungen, es erkennt, be» Entwickelungsmomenten nachspürend, in der mehr oder minder veränderten Sprachgestaltung, in der Permanenz gewisser Formen oder in der bereits fortgeschrittenen Zertrümmerung der Auflösung des Formensystems, welcher Volksstamm der einst im gemeinsamen Wohnsitze üblichen gemeinsamen Sprache näher geblieben ist." Die Sprachen so in ihrer histo¬ rischen Entwicklung zu betrachten ist eine der refultatvollsten Arbeiten der neue¬ ren Zeit, der letztverflossenen siebzig bis achtzig Jahre. Vor allen waren es Männer deutscher Wissenschaft, welche das vergleichende Sprachstudium schufen und förderten. Immer mehr Sprachen wurden in das Bereich scharfsinniger Forschung gezogen, nie geahnte Resultate erzielt, eine große neue Wissenschaft ist erstanden. Eine bislang fühlbare Lücke ist durch Kochs historische Grammatik der eng¬ lischen Sprache ausgefüllt worden für die Sprache, welche die Vermittlerin germanischen und romanischen Elementes ist. Auf die Sprache wirkt nicht nur die ursprüngliche Anlage, die Stammeseigenthümlichkeit ein, sondern jede durch die Zeit herbeigeführte Abänderung der innern Richtung und jedes äußere Ereigniß, welches die Seele und den Geistesschwung der Nation hebt oder niederdrückt, vor allem aber der Impuls ausgezeichneter Köpfe. Dies Alles läßt sich bei der englischen Sprache sehr gut verfolgen, man denke an die vielen Einwanderungen, an das Ringen des germanischen und romanischen Elementes, um die Oberhand zu gewinnen, an die große Geschichte des Volkes, an die Mannhaftigkeit und den Adel der geistigen Arbeit, welche sich in der Sprache Englands niedergeschlagen haben. Das erwähnte Werk hat auch die Mundarten in den Bereich seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/281
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/281>, abgerufen am 29.04.2024.