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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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GemeindeMliothekm im Elsaß.

Am 3, November 1864 fand im großen Saal der Judustriegesellschasi zu
Mühlhausen die erste Jahresversammlung des oberrheinischen Vereins für Ge-
meindebibliotheken statt. Es verlieh ihr einen besondern Glanz, daß der an¬
gesehene Akademiker Jules Simon, der Versasser des "Arbeiters" und der "Schule"
zugegen war und die Provinz durch seine hauptstädtische Beredsamkeit elektri-
sirte. Aber die Versammlung hätte dieses glänzenden Ornaments nicht bedurft,
um Beachtung auch über die Grenzen der Provinz und selbst des Staates
hinaus zu verdienen. Die Bewegung, deren Symptom sie war, und deren
bisherige Resultate der Sekretär der Gesellschaft, Jean Mace, in seinem Be¬
uchte zusammenstellte, ist ein heuere'en.swerthes Zeugniß des im heutigen Frank-
" reich sich regenden Triebs nach Erweiterung und Vertiefung der Volksbildung,
und gleichzeitig des Triebs der persönlichen Initiative, der municipalen Auto¬
nomie. Sie ist ein vielleicht unscheinbares, aber darum nicht bedeutungsloses
Stück französischer Geschichte.

Daß gerade das Elsaß der Ausgangspunkt dieser Bewegung ist, welche
bis jetzt auch hier allein Wurzeln zu schlagen vermochte, dürfen wir mit schmerz¬
lichem Stolze zum Theil der Erbschaft zuschreiben, welche diese Provinz von
der mütterlichen Nationalität in ihr Adoptivvaterland mitgebracht hat. Aber
wer selbst in den letzten Jahren Zeuge des materiellen und geistigen Aufschwungs
"n Elsaß gewesen ist. wird auch den Werth des praktischen Geschicks, der ent¬
schlossenen Initiative schätzen gelernt haben, welche nicht von uns ererbt ist
und durch welche uns die Franzosen ebenso überlegen sind, als sie bei den,
Austausch der Ideen noch immer mehr die Nehmenden als die Gebenden sind.
Die Arbeiterverhältnisse in Mühlhausen gelten bekanntlich geradezu als muster-
haft für die Art und Weise, wie die socialen Fragen der Gegenwart auf prak¬
tischem Wege zu lösen sind; die schulze-delitzschen Voll'sbankcn haben im Elsaß
einen Anklang gefunden, der manche Provinz unsres Vaterlands beschämt. I"
der theologischen Wissenschaft hat Straßburg die Erbschaft der tübinger Schule
angetreten, und im Temps und in der Revue germanique finden wir den Ein¬
fluß des Elsasses in wirksamster Weise b,S in die hauptstädtische Presse vorge¬
schoben. Das Elsaß, dessen Bewohner in der französischen Komödie als Typus
eines gutmüthigen Tölpels eingebürgert ist. ist heutzutag ein wichtiges Ferment
für die innere Entwicklung der französischen Gesellschaft geworden, und wenn
wir auch den Verlust des schönen Landes schwerlich je verschmerzen werden,
können,wir doch die Fügung anerkennen, welche, als Frucht der blutigen Er-


GemeindeMliothekm im Elsaß.

Am 3, November 1864 fand im großen Saal der Judustriegesellschasi zu
Mühlhausen die erste Jahresversammlung des oberrheinischen Vereins für Ge-
meindebibliotheken statt. Es verlieh ihr einen besondern Glanz, daß der an¬
gesehene Akademiker Jules Simon, der Versasser des „Arbeiters" und der „Schule"
zugegen war und die Provinz durch seine hauptstädtische Beredsamkeit elektri-
sirte. Aber die Versammlung hätte dieses glänzenden Ornaments nicht bedurft,
um Beachtung auch über die Grenzen der Provinz und selbst des Staates
hinaus zu verdienen. Die Bewegung, deren Symptom sie war, und deren
bisherige Resultate der Sekretär der Gesellschaft, Jean Mace, in seinem Be¬
uchte zusammenstellte, ist ein heuere'en.swerthes Zeugniß des im heutigen Frank-
" reich sich regenden Triebs nach Erweiterung und Vertiefung der Volksbildung,
und gleichzeitig des Triebs der persönlichen Initiative, der municipalen Auto¬
nomie. Sie ist ein vielleicht unscheinbares, aber darum nicht bedeutungsloses
Stück französischer Geschichte.

Daß gerade das Elsaß der Ausgangspunkt dieser Bewegung ist, welche
bis jetzt auch hier allein Wurzeln zu schlagen vermochte, dürfen wir mit schmerz¬
lichem Stolze zum Theil der Erbschaft zuschreiben, welche diese Provinz von
der mütterlichen Nationalität in ihr Adoptivvaterland mitgebracht hat. Aber
wer selbst in den letzten Jahren Zeuge des materiellen und geistigen Aufschwungs
»n Elsaß gewesen ist. wird auch den Werth des praktischen Geschicks, der ent¬
schlossenen Initiative schätzen gelernt haben, welche nicht von uns ererbt ist
und durch welche uns die Franzosen ebenso überlegen sind, als sie bei den,
Austausch der Ideen noch immer mehr die Nehmenden als die Gebenden sind.
Die Arbeiterverhältnisse in Mühlhausen gelten bekanntlich geradezu als muster-
haft für die Art und Weise, wie die socialen Fragen der Gegenwart auf prak¬
tischem Wege zu lösen sind; die schulze-delitzschen Voll'sbankcn haben im Elsaß
einen Anklang gefunden, der manche Provinz unsres Vaterlands beschämt. I»
der theologischen Wissenschaft hat Straßburg die Erbschaft der tübinger Schule
angetreten, und im Temps und in der Revue germanique finden wir den Ein¬
fluß des Elsasses in wirksamster Weise b,S in die hauptstädtische Presse vorge¬
schoben. Das Elsaß, dessen Bewohner in der französischen Komödie als Typus
eines gutmüthigen Tölpels eingebürgert ist. ist heutzutag ein wichtiges Ferment
für die innere Entwicklung der französischen Gesellschaft geworden, und wenn
wir auch den Verlust des schönen Landes schwerlich je verschmerzen werden,
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[0029] GemeindeMliothekm im Elsaß. Am 3, November 1864 fand im großen Saal der Judustriegesellschasi zu Mühlhausen die erste Jahresversammlung des oberrheinischen Vereins für Ge- meindebibliotheken statt. Es verlieh ihr einen besondern Glanz, daß der an¬ gesehene Akademiker Jules Simon, der Versasser des „Arbeiters" und der „Schule" zugegen war und die Provinz durch seine hauptstädtische Beredsamkeit elektri- sirte. Aber die Versammlung hätte dieses glänzenden Ornaments nicht bedurft, um Beachtung auch über die Grenzen der Provinz und selbst des Staates hinaus zu verdienen. Die Bewegung, deren Symptom sie war, und deren bisherige Resultate der Sekretär der Gesellschaft, Jean Mace, in seinem Be¬ uchte zusammenstellte, ist ein heuere'en.swerthes Zeugniß des im heutigen Frank- " reich sich regenden Triebs nach Erweiterung und Vertiefung der Volksbildung, und gleichzeitig des Triebs der persönlichen Initiative, der municipalen Auto¬ nomie. Sie ist ein vielleicht unscheinbares, aber darum nicht bedeutungsloses Stück französischer Geschichte. Daß gerade das Elsaß der Ausgangspunkt dieser Bewegung ist, welche bis jetzt auch hier allein Wurzeln zu schlagen vermochte, dürfen wir mit schmerz¬ lichem Stolze zum Theil der Erbschaft zuschreiben, welche diese Provinz von der mütterlichen Nationalität in ihr Adoptivvaterland mitgebracht hat. Aber wer selbst in den letzten Jahren Zeuge des materiellen und geistigen Aufschwungs »n Elsaß gewesen ist. wird auch den Werth des praktischen Geschicks, der ent¬ schlossenen Initiative schätzen gelernt haben, welche nicht von uns ererbt ist und durch welche uns die Franzosen ebenso überlegen sind, als sie bei den, Austausch der Ideen noch immer mehr die Nehmenden als die Gebenden sind. Die Arbeiterverhältnisse in Mühlhausen gelten bekanntlich geradezu als muster- haft für die Art und Weise, wie die socialen Fragen der Gegenwart auf prak¬ tischem Wege zu lösen sind; die schulze-delitzschen Voll'sbankcn haben im Elsaß einen Anklang gefunden, der manche Provinz unsres Vaterlands beschämt. I» der theologischen Wissenschaft hat Straßburg die Erbschaft der tübinger Schule angetreten, und im Temps und in der Revue germanique finden wir den Ein¬ fluß des Elsasses in wirksamster Weise b,S in die hauptstädtische Presse vorge¬ schoben. Das Elsaß, dessen Bewohner in der französischen Komödie als Typus eines gutmüthigen Tölpels eingebürgert ist. ist heutzutag ein wichtiges Ferment für die innere Entwicklung der französischen Gesellschaft geworden, und wenn wir auch den Verlust des schönen Landes schwerlich je verschmerzen werden, können,wir doch die Fügung anerkennen, welche, als Frucht der blutigen Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/29>, abgerufen am 29.04.2024.